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Lothar Zagrosek: Höllenqualen mit Ernst Krenek

Lothar Zagrosek entdeckt den Komponisten Krenek. Die Balance, die Zagrosek in der hochkomplexen Partitur zwischen Riesenorchester, Ernst-Senff-Chor und den Solisten herstellt, ist exzellent.

Auch die Puppe darf mitspielen. Eine lebensgroße Kopie der Figur, die Oskar Kokoschka einst von seiner Geliebten Alma Mahler anfertigte, sitzt im ersten Rang des Konzerthauses. Später wird ihre Zerstörung auf Video in den Saal gebeamt – so wie der Künstler selbst zum guten Schluss mit dem geliebt-gehassten Abbild verfuhr.

Hart ist Regisseur Karsten Wiegand in seiner szenischen Einrichtung von „Orpheus und Eurydike“ – der Dichter-Maler schrieb sich damit den Trennungsschmerz von der Seele – an der realen Geschichte geblieben. Da sind immer wieder Kriegsbilder zu sehen, zerstörte Landschaften, bandagierte Gesichter. Kokoschka wurde im 1. Weltkrieg schwer verwundet. Das Morden im Geschlechterkampf versinnbildlichen jedoch auch immer wieder Aufnahmen gejagter und gequälter Tiere. Ausgerechnet Almas Schwiegersohn Ernst Krenek vertonte das düstere Libretto, in dem Liebesschwüre wie die Eisdecke auf dem Fluss sind, unter dem die wilden Wasser von Hass und Verlustangst strömen. Auch von Orpheus’ Furien bezwingendem Gesang, Urbild der versöhnenden Macht der Musik, ist wenig die Rede: „Warum ist mir denn, als ob ich vor Glück trunken wäre?“, singt Daniel Kirch mit sehnigem Tenor schon im ersten Akt. Da steht Eurydikes (ausdrucksstark: Brigitte Pinter) Abgang in die Unterwelt noch bevor, durch den der Sänger erst wieder frei und kreativ werden kann. Psyche (mit wunderbar leichten Soprantönen: Claudia Barainsky) ist hier die einzige, kluge Beschützerin der Liebe.

Mit glühenden Klangwogen umgibt das Konzerthausorchester unter Lothar Zagrosek die in expressionistischer Freitonalität hochdramatisch geführten Gesangspartien. Die Balance, die Zagrosek in der hochkomplexen Partitur zwischen Riesenorchester, Ernst-Senff-Chor und den Solisten herstellt, ist exzellent. Der große Wurf einer Ausgrabung. Denn Kreneks Oper, 1926 uraufgeführt, geriet nur ein Jahr später in den Schatten seines ein Welterfolgs „Jonny spielt auf“. Zudem musste der österreichische Komponist, der gerade dieser „Jazzoper“ wegen den Nazis als „entartet“ galt, 1938 fliehen. In den USA baute er eine neue Karriere auf, in der er sich nach expressionistischen und neusachlichen Anfängen auch die Zwölftönigkeit und die Elektronik eroberte – noch die letzten Kompositionen des 1991 Verstorbenen verblüffen durch ihre lebendige Zeitgenossenschaft. In Zusammenarbeit mit dem Ernst-Krenek-Institut Krems widmet das Konzerthaus Berlin sein ganzes Februarprogramm diesem „bekannten unbekannten“ Komponisten, präsentiert Kammermusik aus allen Schaffensperioden sowie die im Wildwest-Milieu angesiedelte Kammeroper „Dark Waters“ von 1950. 

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