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Neues wagen. Szene aus Karlheinz Stockhausens „Originale“ an der Berliner Staatsoper mit Irm Hermann (rechts).

©  Vincent Stefan

Bühne und Dramaturgie: Das Ende der Ironie

Wie können Schauspiel und Oper auf unsere krisengeschüttelte Wirklichkeit reagieren? Zwei junge Dramaturgen unterhalten sich.

Die Schillerbar der Staatsoper Berlin ist eigentlich für Premierenfeiern vorgesehen. Durch das plüschige Interieur bekommt hier jede Diskussion etwas Behagliches. Auch dann, wenn unbequeme Themen das Gespräch dominieren. 2015 war geprägt von Turbulenzen historischen Ausmaßes. Griechenland, Pegida, Flüchtlinge: Kein Schlagwort reicht hin, um das zu beschreiben, was uns als Gesellschaft derzeit beschäftigt. Denkt David Heiligers an das zurückliegende Jahr, kommen ihm Begriffe wie „Einbruch und Umbruch“ in den Kopf. „Säulen, die wir als fest geglaubt haben, wurden erschüttert“. Heiligers ist Dramaturg am Deutschen Theater Berlin, und heute will er sich mit seinem Kollegen Roman Reeger von der Staatsoper unterhalten über den Einbruch von Wirklichkeit an den Bühnen – einer Wirklichkeit die vielleicht zu lange gemieden wurde. Wie kann eine eher schwerfällige Institution wie das Theater auf diese Einschnitte reagieren?

David Heiligers, geboren 1984 in Karlsruhe, hat als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen und am Berliner Maxim Gorki Theater gearbeitet und an beiden Häusern auch selbst inszeniert. Dramaturgie war für ihn letztendlich aber doch interessanter. Seit dieser Spielzeit ist er angestellt am Deutschen Theater. Zum Gespräch kommt er zu spät – weil ihm die Fahrradkette rausgesprungen ist. Roman Reeger hingegen muss nur die Treppe hinab und über die Bühne der Werkstatt laufen. 1989 in Bremen geboren, hat er am Oldenburgischen Staatstheater und der Oper Kiel hospitiert und 2013 seine erste feste Anstellung bekommen – direkt hier an diesem prestigeträchtigen Haus. Als Dramaturgen bestimmen beide mit der Intendanz die künstlerische Ausrichtung des Hauses. In der täglichen Arbeit mit Regisseuren und Darstellern gestalten sie die Inszenierung der Stücke mit. Sie sind involviert in viele Prozesse am Theater und können so einen umfassenden Einblick geben in den Alltag am Theater.

Roman Reeger (r.) und David Heiligers im Foyer des Schillertheaters.
Roman Reeger (r.) und David Heiligers im Foyer des Schillertheaters.

© Matthias Kreienbrink

Besonders in der Oper werden Spielpläne Jahre im Voraus geplant. „Wir versuchen den Zeitgeist mitzunehmen, aber müssen auch weitsichtig sein. Die Gefahr ist, dass man sich gerade in turbulenten Zeiten zurückzieht, sich auf das bekannte Repertoire stützt, ohne Neues zu wagen“, so Roman Reeger. Dabei seien es zuletzt die Wagnisse gewesen, die vom Publikum belohnt wurden. „Neuer Musik gegenüber habe ich eine starke Offenheit erlebt, viele Menschen sind diesbezüglich sehr aufgeschlossen“. So etwa beim Festival für zeitgenössische Musik „Infektion!“, das 2015 etwa Karlheinz Stockhausens musikalisches Theater „Originale“ gezeigt hat (Uraufführung 1961). Allerdings kann Oper, meint Reeger, nur selten Tagespolitisches vermitteln. Weil zu jedem Text die Musik kommt, gibt es verschiedene Ebenen künstlerischer und gesellschaftlicher Verhandlungen. Ebenen, die sich aber auch konterkarieren können. Die Musik löst dann den Text auf, führt das Publikum in die Irre. „Diese Reibung schafft eine andere Realität“, die über den reinen Text hinausgeht“, sagt Reeger.

Politik mit den Mitteln der Kunst

Für David Heiligers ist ausschlaggebend, dass politische Themen mit den Mitteln der Kunst auf die Bühne gebracht werden. „Die Leute brauchen die Kunst wieder. Auch als einen Ort, an dem man sich auf andere Art mit politischen Themen auseinandersetzt als beim Lesen der Nachrichten“. Auch Themen wie die Flüchtlingskrise könnten so der Tagesaktualität enthoben werden und ins Universelle wachsen.

Die Entfernung vom Plakativen, dem lediglich Darstellenden, dem rein Performativen, ist ein Schritt, den das Theater und die Oper gehen müssen. Zu oft erschöpft sich die inszenatorische Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsthematik darin, eine Gruppe Flüchtlinge auf die Bühne zu stellen. Wenn diese dann nur die Funktion hat, Flüchtlinge zu sein, wem ist damit geholfen? Das „Andere“ wird damit auf der Bühne geschaffen, die künstlerische Auseinandersetzung bleibt aus. Und damit auch jede Aussage. „Ich habe das Gefühl, dass die Phase der reinen Performance und Dekonstruktion vorbei ist“, konstatiert David Heiligers. Es gebe eine Sehnsucht nach Geschichten, Themen und Figuren, die ernsthaft etwas übers Menschsein, über Gemeinschaft erzählen können. „Die Zeit der Ironie ist zu Ende. Es scheint, als könne man sich das nicht mehr leisten“.

Eine Rolle für das Ungeschönte

Sich besinnen auf eine ernsthafte und thematische Auseinandersetzung mit einem Stoff, den gesellschaftsbildenden Auftrag wahrnehmen. Weniger einem Stück die tagespolitische Lage überstülpen, als vielmehr dem Publikum darin zu vertrauen, dass es seine eigenen Fragen und Konflikte an ein Stück heranträgt – so kann diese so wichtige Institution auf verunsichernde Zeiten reagieren. Dennoch: „Das Ungeschönte und Rohe sollte eine große Rolle spielen. Es braucht etwas, das einem entgegenschlägt, einen konfrontiert“, sagt Roman Reeger. Dies könne in der Oper auch die Musik sein, die im wahrsten Sinne ausgehalten werden muss. Gerade in der Neuen Musik wird mit Konventionen gespielt, wird eine Anspannung durch die Musik erzeugt, die geradezu physische Reaktionen hervorrufen kann. „Unangenehmes setzt aber einen inneren Prozess in Gang, es kommt zu einem interessanten Erkenntnisprozess“.

Beide Dramaturgen wünschen sich, dass Theater ein Ort bleibt, an dem das Publikum noch mit Beklemmung konfrontiert wird, an dem weder Trigger-Warnungen noch glattpolierte Pop-Ästhetik das Publikum davor bewahren, sich einem fundamentalen Unbehagen auszusetzen. Zuletzt trat das Theater aber auch immer mehr als sozialer Raum auf. Flüchtenden Menschen wurde konkret geholfen, Geld gesammelt, Unterkünfte zur Verfügung gestellt, Begegnungsstätten geschaffen. Während Regisseur Alvis Hermanis dies kürzlich zum Anlass nahm, ein Engagement am Thalia Theater zu kündigen, lässt es David Heiligers auch glücklich aufs vergangene Jahr blicken. „Es ging eine Welle der Empathie und Hilfsbereitschaft durch das Theater. Über die Arbeit in der Notunterkunft und bei den Deutschkursen wurde ein neues Miteinander entdeckt“. Und dieses Engagement wiederum beeinflusse dann erneut die künstlerische Arbeit, manifestiere sich auch in jeder Inszenierung.

Und dann löst sich die kleine Runde auf, wird die plüschige Bar über die Werkstattbühne wieder verlassen. Was sowohl bei David Heiligers als bei Roman Reeger bleibt: die Gewissheit, dass Musik- und Sprechtheater auch in Zukunft Orte sein werden, an dem Unbehagen und Ekstase, Erschütterung und Vergewisserung gleichzeitig existieren können. Und beide Dramaturgen wollen daran mitarbeiten.

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