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Immer in Eile. Von der Arbeit zur Kita und wieder zurück – die tägliche Hetze macht berufstätigen Eltern zu schaffen. Die Autorinnen des neuen Buchs „Die Alles ist möglich-Lüge“ plädieren für andere Arbeitszeitmodelle.

© p-a / dpa

Britta Sembach und Susanne Garsoffky im Interview: „Wir müssen die Rushhour des Lebens entzerren“

Die Autorinnen Britta Sembach und Susanne Garsoffky erklären, warum Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind – und was sich ändern muss.

In Ihrem gemeinsamen Buch „Die Alles ist möglich-Lüge“ schreiben Sie, Beruf und Familie seien nicht zu vereinbaren. Wollen Sie damit junge Mütter abschrecken?

Wir wollen niemanden abschrecken, sondern aufrütteln und ein bisschen provozieren. Wir haben versucht einen Gegenton zu dem ständigen „Alles muss möglich sein“ zu setzen. Eigentlich könnte man den Titel noch durch ein „so“ ergänzen. Familie und Beruf sind „so“ nicht zu vereinbaren. Natürlich sollen Frauen arbeiten. Aber warum muss alles immer in der Rushhour des Lebens stattfinden? Junge Menschen müssen heute genau in dieser Zeit alles bewerkstelligen – Karriere, Familie, Kinder. Wir müssen unsere gesamte Biografie entzerren.

Lassen sich Beruf und Familie denn vereinbaren, wenn eine Frau auf ihre Karrierepläne verzichtet und sich mit einem gewöhnlichen Job zufriedengibt?

Natürlich kann man Vorstandsvorsitzende werden und Familie haben. Aber die Bedingungen, die wir in unseren Sozialsystemen und in der Wirtschaft vorfinden, machen die Vereinbarkeit fast unmöglich, auch mit normalen Berufen. In den meisten Unternehmen gibt es Regularien wie Präsenzpflicht oder gar Erfolgswege, die nur durch Vollzeitarbeit möglich sind. Wer berufstätig ist und eine Familie hat, trägt eine enorme Doppelbelastung. Dieser Umstand erfährt in Deutschland einfach nicht genug Anerkennung.

Haben Mütter mit Karrieren aus Ihrer Sicht die falschen Werte?

Mütter, die Karriere machen, haben oft einfach bessere Gelingensbedingungen, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Aber was bedeutet überhaupt Vereinbarkeit? Eine 80-Stunden-Woche und Familie sind nicht zu vereinbaren. Unser Buch ist weder ein Plädoyer für den Herd noch für eine Vollzeitstelle. Es ist ein Plädoyer für mehr Freiheit, in bestimmten Lebensphasen genau das zu machen, was einem wichtig ist. Das aktuelle System benachteiligt substanziell diejenigen, die sich kümmern. Dann ist es kaum verwunderlich, wenn sich immer weniger Menschen um Angehörige kümmern.

Powerfrauen machen keinen Mut, sondern Druck, schreiben Sie. Wie sollten Frauen und Mütter Ihrer Meinung nach richtig dargestellt werden?

Richtige Vorbilder wären Menschen, die sich immer wieder Fürsorgephasen widmen und dann trotzdem wieder in den Beruf einsteigen können. Die gegenwärtigen Vorbilder beziehen sich lediglich auf rein lineare Biografien, orientiert an männlichen Lebenssituationen aus dem vorigen Jahrhundert. Dabei könnten wir es uns leisten, unsere Erwerbs- und Fürsorgebiografien anders zu gestalten. Vor allem plädieren wir für mehr Ehrlichkeit. Vielen Müttern dürfte es selbst mit einer Teilzeitstelle schwer fallen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Die falschen Vorbilder üben nur unnötig Druck aus.

Sind also alle arbeitenden Mütter gestresst? Und fühlen sich erwerbslose Mütter im Gegenzug alle nicht wertgeschätzt?

Viele nicht berufstätige Mütter fühlen sich tatsächlich wenig wertgeschätzt. Sie sehen sich häufig mit Fragen wie: „Was machst du eigentlich so den ganzen Tag?“ konfrontiert. Natürlich gibt es auch sehr glückliche und voll berufstätige Mütter. Wobei es dann wahrscheinlich jemanden zu Hause gibt, der ihnen den Rücken freihält.

Was ist mit den Männern? Wie sollten sie sich ändern um die Situation ihrer Frauen zu verbessern?

Männer müssen für bessere Arbeitsbedingungen streiten, die es ihnen erlauben, sich um Familie zu kümmern. Sie müssen sich bewusst machen, dass es sich hier um ein gesellschaftliches Problem handelt. Reduzieren Frauen die Arbeitszeit zugunsten der Familie, ist dies ein allgemein akzeptierter Umstand. Man geht einfach davon aus, dass Frauen gerne die Nachteile dafür in Kauf nehmen. Die Vätermonate bewirken zwar einen leichten Kulturwandel, doch leider nur in homöopathischer Dosis. In Teilzeit zu arbeiten, sollte auch für Männer keine Einbahnstraße mehr sein.

Wie sehen Ihrer Meinung nach realistische Lösungen für unsere Gesellschaft aus?

Die Teams der Unternehmen müssen heterogener werden. Wenn nur noch junge Hochschulabsolventen eingestellt werden, wird das zu Problemen führen. Was passiert, wenn die Hälfte des Teams in Elternzeit gehen möchte? Widereinsteigerinnen von Mitte vierzig könnten genau diese Fehlzeiten kompensieren. Hier geht es auch um Diversity. Familie ist ein lebendiger Prozess. Studien belegen, je mehr ein Unternehmen auf Familien eingeht, desto loyaler sind auch die Arbeitnehmer ihrem Unternehmen gegenüber. Auch in der Politik und Wirtschaft ist mittlerweile klar, dass zwei Vollzeitjobs und Familie nicht vereinbar sind. Wir brauchen flexible Konzepte, mit denen man Arbeitszeiten in bestimmten Lebensphasen reduzieren kann. Mehr Flexibilität von Unternehmen den Familien gegenüber könnte sogar profitabel sein. Neue Konzepte könnten Fachkräfte aktivieren, die im Moment nicht arbeiten, weil sie auf schlechte Bedingungen treffen.

In Schweden ist alles gut, hört man oft. Ist in Schweden wirklich alles besser?

In Schweden wurden die Weichen früher gestellt. Bereits vor über 40 Jahren wollte man dort Frauen und Mütter für den Arbeitsmarkt gewinnen. Die Schweden hatten somit viel Zeit, eine Infrastruktur für umfangreiche Betreuung zu schaffen. Aber der Druck ist auch viel höher als bei uns – gerade weil es so viele Möglichkeiten gibt, die Kinder betreuen zu lassen. Hierzulande haben wir die absurde Situation, dass wir einen Großteil unseres Gehalts für die Kinderbetreuung ausgeben, um überhaupt arbeiten zu können. In Schweden ist Betreuung bezahlbar.

Müssen sich Frauen in Deutschland unter den aktuellen Bedingungen also entscheiden – Kind oder Karriere?

Unter keinen Umständen! Unser Buch soll Mut machen, für die richtigen Bedingungen zu kämpfen. Aufbegehren ist das Wort der Stunde. Solange sich junge Mütter mit der Frage konfrontiert sehen, ob sie sich zwischen Kind und Karriere entscheiden müssen, ist die Familienpolitik in Deutschland gescheitert.

Das Gespräch führte Daniela Müller. „Die Alles ist möglich-Lüge. Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind“ ist im Pantheon Verlag erschienen.

Daniela Müller

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