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Damon Albarn

© picture alliance / dpa

Britpop und der Brexit: Dies Land war mein Land

Ist Britpop schuld am Brexit? Großbritannien debattiert leidenschaftlich über das schwierige Verhältnis von Pop und Politik.

In Zeiten der Krise wird gerne die Vergangenheit beschworen. Wenn Großbritannien im März 2019 die Europäische Union verlässt, soll es wieder so werden, wie es einmal war: souverän, stolz und stark. Hoffen jedenfalls die Befürworter des Brexit. Eine ähnliche Nostalgie gedeiht gerade in vielen Ländern, aber im Vereinigten Königreich gibt es dafür einen Begriff, dessen Ursprung bis ins Zeitalter der Industrialisierung zurückreicht: Merrie Olde England. Das gute alte, fröhliche England. Allerdings macht der Brexit längst nicht alle Briten froh.

„Merrie Land“ heißt das zweite Album der britischen Supergroup The Good, the Bad & the Queen, das vor zehn Tagen her auskam. Im Titelsong, einer wunderbaren, von Streichern und Synthesizerakkorden getragenen Leierkastenballade, hadert Damon Albarn mit dem Abschied. Er liebe sein Land, singt er, die dunklen Wälder, die sturmumtosten Strände und herrlichen Sonnenuntergänge. Aber künftig wird er sich alleingelassen fühlen in diesem Land, verhöhnt von denen, die sich um die einfachen Leute nicht scheren und die Reichen noch reicher machen. Der Abgesang endet mit einem bitteren Fazit: „We are a shaking wreck where nothing grows / Lost in the sky coloured oils of Merrie Land.“ Brexit-England ist ein Wrack, glorreich leuchtet seine Zukunft nur noch auf Gemälden.

Morrissey feierte den Brexit als großen Sieg

Unter den britischen Popstars hat der Brexit wenig Freunde, abgesehen von dem ideologisch irrlichternden Morrissey, der das Referendum in einem Interview als „größten demokratischen Sieg in der Geschichte der britischen Politik seit vielen, vielen Jahren“ feierte. Pop steht traditionell eher links, gerade in Großbritannien, wo die Geschichte der Gitarrenbands mit den Beatles begann, die der nordenglischen Arbeiterklasse entstammten. Während The Clash, Billy Bragg und The Style Council sich mit streikenden Bergarbeitern solidarisierten und gegen Margaret Thatcher zu Felde zogen, gab es jahrzehntelang nur einen ernstzunehmenden Musiker, der sich dazu bekannte, die Tories zu wählen: Bryan Ferry, Sänger der mondänen Band Roxy Music.

Spätestens mit dem Brexit scheint die alte Schlachtordnung nun durcheinander zu geraten. „Merrie Land“, Damon Albarns Konzeptalbum gegen den neuen Nationalismus, steht im Mittelpunkt einer Debatte, bei der noch einmal das Verhältnis von Pop und Politik verhandelt wird. „Hat Britpop zum Brexit geführt?“, fragte der „Guardian“ vor ein paar Tagen in der Überschrift eines Textes, der zu dem Ergebnis kam: ein bisschen schon. Schließlich habe der Britpop „einen Teil des Konservatismus, der seit langem in der Popmusik existiert, zu neuem Leben erweckt“.

Mit dem Britpop hatte vor zwanzig Jahren das Konzept einer männlich dominierten Gitarrenrebellion ein letzten Mal triumphiert. Hauptprotagonisten waren Oasis, die Band der Brüder Noel und Liam Gallagher, und Damon Albarns Gruppe Blur. Oasis und Blur bekriegten einander in Interviews, ihr Schlagabtausch wirkte wie ein Remake des Zweikampfs zwischen den Beatles und den Stones. Für kurze Zeit verkauften sie sogar ähnlich viele Platten wie die Altvorderen. Bis sie den Fehler begingen, sich vereinnahmen zu lassen. Das Foto, auf dem Noel Gallagher Tony Blair bei einem Empfang im Regierungssitz an der Downing Street die Hand schüttelt, wirkt heute wie das Dokument eines Verrats. Blair sollte Großbritannien später an der Seite von George W. Bush in den Irakkrieg führen. Cool Britannia? Ein Missverständnis.

Keine Bewegung weiß, was aus ihren Absichten wird

„Ich weiß, dass der Brexit ein Tory-Desaster ist“, twitterte jetzt der Kulturhistoriker Jon Savage, der Standardwerke zur Geschichte der Jugendkultur und des Punkrock geschrieben hat. „Aber wir sollten uns fragen, inwieweit die kulturelle Selbstzufriedenheit der Blair-Jahre den Weg dafür geebnet hat.“ Blair war 44, als er zum Premierminister gewählt wurde, ein jugendlich wirkender Held, der sich als Vertreter der Gegenkultur sah: „Ich komme aus der Rock’n’Roll-Generation.“ Ähnliches verkündete einige Jahre später Joschka Fischer: „Ich war einer der letzten Rock’n’Roller der deutschen Politik.“ Allerdings macht jemand, der sich als Rock’n’Roller fühlt, deshalb nicht automatisch die bessere Politik. So wie die deutsche Sozialdemokratie bis heute mit den Agenda-Wirtschaftsreformen von Gerhard Schröder kämpft, ist Labour immer noch nicht mit Tony Blair, seiner New Economy und dem „Dritten Weg“ fertig. Für den Brexit votierten nicht nur die konservativen alten Eliten, sondern auch viele Angehörige der Unterschicht, die in Europa eine Bedrohung sahen.

Britpop lieferte dazu unfreiwillig die Begleitmusik. Denn dummerweise weiß keine Bewegung, was später einmal aus ihren gut gemeinten Absichten werden könnte. Irgendwann verkam Britpop, die Musik aufmüpfiger Lads, zum bräsigen Dad-Rock. „Don’t Look Back in Anger“ heißt ein Hit von Oasis. Es bringt nichts, im Zorn zurückzublicken. Auch wenn es manchmal weh tut. Boris Johnson, der ehemalige Außenminister und Architekt der Brexit-Kampagne, ist ein großer Popfan. Auf eine einsame Insel, verriet er der BBC, würde er Musik von den Beatles und den Rolling Stones, von The Clash und Van Morrison mitnehmen.

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