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Rhian Teasdale und Hester Chambers (von links) sind Wet Leg.

© Hollie Fernando

Britisches Duo mit tollem Debütalbum: Wet Leg mischen den Indierock auf

Auf ihrem Debütalbum kombinieren Wet Leg mühelose Coolness mit einem frischen Indierock-Sound – und haben auf der Insel für einen kleinen Hype gesorgt.

Es ist mal wieder so weit: Die globale Musikpresse hat sich auf neue Lieblinge geeinigt. Wet Leg heißen sie. Ein Duo, bestehend aus Rhian Teasdale und Hester Chambers, beide aufgewachsen auf der Isle Of Wight in Südengland, wo Chambers immer noch lebt, Teasdale ist mittlerweile nach London gezogen.

Die beiden waren schon jahrelang befreundet, bevor sie anfingen, gemeinsam zu musizieren – oder wie Chambers es im Video-Gespräch formuliert: „Wir gleichen einander sehr“. Ein ziemlicher Glücksfall, dass auf einem Fleckchen Land mit der Einwohnerzahl einer mittelgroßen deutschen Stadt gleich zwei so verquere Seelen existieren und einander finden.

Stromgitarren und verschlafen-entrückte Gesänge

Zwei Seelen, die treibenden Indie-Rock mit teils verstörenden Texten machen und dazu Videos drehen, in denen es überraschend organisch wirkt, dass Landhausromantik, Menschen mit Hummerscheren statt Händen und Kissen- und Essensschlachten miteinander in Verbindung gebracht werden („Wet Dream“).

Wet Leg sprechen fließend Dada und sind dabei wohlklingend und diesseitig. Entsprechend ging ihre erste Single „Chaise Longue“ 2019 direkt viral, jetzt erscheint das selbstbetitelte Debütalbum. Kein Wunder also, dass Presse und Latenight-Größen wie Jimmy Fallon oder James Corden die zwei Frauen derzeit hoch handeln.

Alle scheinen fasziniert davon, dass es endlich mal jemand hinbekommt, den Indierock in die Gegenwart zu katapultieren Die letzte Hochphase Anfang der nuller Jahre mit zackigen Drei-Minüter von Bands mit dem obligatorischem „The“ im Namen (wir erinnern uns an The Strokes, The Kooks, The Hives) ist ja doch schon ein bisschen her.

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Es sind schon immer noch die Stromgitarren, die auch den Sound Wet Legs dominieren. Allerdings klingen diese, als würden sie zwischendurch kurz die Ausfahrt Richtung Bonanza-Titelmelodie nehmen wollen. Dazu trockener Rhythmus und gelegentlich eingesprenkelte Synthies reichen als Kulisse für die verschlafen-entrückten Gesänge von Rhian Teasdale und Hester Chamber.

Wobei sich Letztere eher im Hintergrund bewegt und gewissermaßen als Sidekick auftritt für ihre Bandkollegin. Teasdale wiederum verhandelt Themen, die einen mit Mitte-Ende 20 im angelaufenen 21. Jahrhundert halt so umtreiben - Millenial-Abgeklärtheit und Gen-Z-Humor inklusive.

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Wieso benötigen wir Social Media um das eigene (Liebes-)Leben zu organisieren? Und weshalb hängt unser Selbstwertgefühl überhaupt von einer Internetöffentlichkeit ab? Das hinterfragen Wet Leg in „Too Late Now“, nur, um die eigene Unsicherheit zwei Zeilen später selbst zu manifestieren und die Existenzberechtigung des Songs in Frage zu stellen: „I think I changed my mind again, I’m not sure if this is a song“ („Ich glaube, ich habe meine Meinung wieder geändert, I bin nicht sicher, ob das hier ein Song ist“).

An anderer Stelle singen Wet Leg launig davon, dass Schnäppchenshoppen im Supermarkt gar nicht so einfach ist, wenn man es mit dem Graskonsum mal wieder übertrieben hat („Supermarket“). Im Hit „Chaise Longue“ möchte die Band gerne die Muffins eines Gegenübers buttern, und zitiert damit die 2004er Teeniekomödie „Mean Girls“.

Ein Film der mittlerweile auch deshalb Kultstatus genießt, weil sich nun nach den 80er- und 90er-Revivals an der Ära um die Jahrtausendwende abgearbeitet wird. Paris Hilton und Glitzerklapphandys erleben ihre eigenwillige Popkultur-Renaissance. Der Song enthält außerdem nonchalant ausgesprochene Einladungen für Groupiesex auf eben jener titelgebenden Chaise Longue.

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Geschlechtsverkehr kommt auf „Wet Leg“ sowieso recht häufig vor, allerdings oft in Kombination mit fehlgeschlagenen Beziehungen. Teasdale spricht Müttern ihr Beileid für ihre enttäuschenden Söhne aus („Ur Mum“), wünscht einem Ex-Freund, er möge an seiner neuen Freundin ersticken („Loving You“) oder will von einem Verflossenen wissen, warum er annimmt, dass er beim Masturbieren an sie denken dürfe („Wet Dream“). Teasdales frustriertes oder gebrochenes Herz ist nicht wirklich leidend, sondern eher bockig. Sie hat keine Lust zu jammern, sondern teilt lieber aus.

Weibliche Wut scheint allerdings immer noch ein völlig verblüffendes Konzept für viele zu sein: Teasdale erzählt, dass ihre verbalen Attacken auf männliche Zeit- und Bettgenossen immer wieder in Interviews thematisiert werden. „Ich werde gefragt, ob ich damit eine feministische Agenda verfolge,“ sagt sie im Interview und lacht in die Kamera. „Warum ist es feministisch einen Mann zu dissen? Das ist kein Feminismus, das bin nur ich und wie ich mit Dingen umgehe,“ erklärt die Künstlerin.

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Und ja, Wet Leg sind Feministinnen, natürlich sind ihnen feministische Diskurse bewusst und wichtig – „Welchem normal denkenden Mensch ist sowas egal?!“ so Chambers – aber es wäre ein bisschen einfach anzunehmen, dass nur weil Frauen etwas aussprechen oder singen, es qua Geschlecht ein feministischer Akt ist.

Eine Agenda oder ein Vorsatz sind bei Wet Leg ohnehin schwer auszumachen. Das Narrativ der Band ist jedenfalls, dass es ihnen mit der Musik und ihren Texten sowieso erstmal nur darum gegangen sei, Spaß zu haben. Perfektionismus ist dabei nicht vorrangig: „Wenn ich mal mit einem Text nicht weiterkomme, lass ich ihn liegen. Oft finde ich ihn dann später doch wieder gut und lasse das einfach so,“ erklärt Teasdale und konstatiert schulterzuckend: „Wir finden, dass man sich selbst wirklich nicht allzu ernst nehmen sollte.“

["Wet Leg" erscheint bei Domino. Konzert: 25.05., Kantine im Berghain]

Das zwinkernde Auge begleitet Wet Leg bei allem, was sie machen. Das bedeutet nicht, dass sie nicht passioniert arbeiten. Sie schaffen sich nur einfach Raum, originelle Ideen umzusetzen ohne sie zu zerdenken. Dabei zeigen sie ein gutes Gespür dafür, wie viel Punk es braucht, um genau die richtige Menge Chaos anzurichten. Sie wissen wir sie die eingängigen Songs spannend machen und kontrastieren ihre persönlichen Dramen mit raffiniert aufgeschäumtem Nihilismus.

Genau das ist es, was die mühelose Coolness von Wet Leg ausmacht und sie in eine Reihe stellt mit alten Helden wie Siouxsie and the Banshees oder The B-52’s oder neueren Künstlern wie Superorganism oder den gemächlicheren The Big Moon. Ihren Bandnamen haben Wet Leg übrigens einer zufälligen Kombination verschiedener Emojis zu verdanken. Das feuchte Bein, es hat natürlich keinen tieferen Sinn.

Silvia Silko

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