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Der verstorbene britische Verleger, Journalist und Diplomat Lord George Weidenfeld, 2014 in Passau fotografiert.

© dpa

Britische Verlegerlegende gestorben: Charmanter Beobachter: Journalist, Diplomat und Verleger Lord Weidenfeld ist tot

Österreicher und Brite, Politiker und Journalist: George Weidenfeld ist im Alter von 96 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Mit ihm versinkt das glorreiche Wien der Zeit vor der deutschen Annexion von 1938 endgültig in der Geschichte. George Weidenfeld, im September 1919 in der gerade auf Kernösterreich zurückgeworfenen Habsburger-Hauptstadt in einen bildungsbürgerlichen Haushalt geboren, erhielt dort eine vorzügliche Schulbildung und konnte noch mit dem Studium der Jurisprudenz beginnen, ehe er 1938 vor den einrückenden Nazis Hals über Kopf Stadt und Land verlassen musste.

Mittellos schlug sich der Sohn jüdischer Eltern im Exilland England durch, fand in einer Anstellung bei der BBC London sein Auskommen. Drei Jahre lang machte er die Hörer seiner Sendereihe „Germany Day by Day“ mit dem Kriegsgegner Deutschland bekannt, und überhaupt wurde Deutschland für ihn zu einem festen Bezugspunkt.

Für die BBC verfasste er bald schon Kommentare zum politischen Weltgeschehen. Nach der Gründung des Staates Israel richtete sich sein Interesse, aus dem er als überzeugter Zionist nie einen Hehl machte, auf das Wohlergehen des jüdischen Staates. Ein Jahr lang amtierte er ab 1949 als Kabinettschef des ersten israelischen Staatspräsidenten Chaim Weizmann. Ein Politiker wurde Weidenfeld nicht. Er blieb, wie schon in seiner journalistischen Frühzeit, der Beobachter, und dazu wurde er Netzwerker, Menschenverbinder und Autorenbetreuer, als er 1948 zusammen mit dem Labour-Abgeordneten Nigel Nicolson den Verlag Weidenfeld & Nicolson gründete.

Als Verleger wurde Weidenfeld einer der bedeutendsten nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern weltweit. Wiewohl er auch Belletristik verlegte und mit der englischen Erstausgabe von Vladimir Nabokovs „Lolita“ 1959 einen Skandalerfolg landete, galt seine Vorliebe dem bio- und autobiografischen Genre. Weidenfeld, auf Betreiben des befreundeten, zeitweiligen Labour-Premiers Harold Wilson 1969 zum Ritter geschlagen und 1976 zum Life Peer, zum Baron auf Lebenszeit mit dem Titel Lord Weidenfeld of Chelsea ernannt, versammelte die Lebenserinnerungen so unterschiedlicher Größen wie Adenauer, de Gaulle, Wilson, Golda Meir, Mosche Dajan oder Schimon Peres.

Berührungsängste mit der jungen Bundesrepublik hatte er nie, darin der Pioniergeneration der israelischen Politik gleich. Adenauer schätzte er unter allen deutschen Politikern zeitlebens am höchsten. So brachte er auch Albert Speers „Erinnerungen“ heraus und ebenso die einschlägigen Werke zum NS-Regime von Joachim Fest, Sebastian Haffner oder Karl-Dietrich Bracher. 1991 verkaufte Weidenfeld den Verlag, dem er gleichwohl verbunden blieb, und seit 1998 gehört „W&N“ zum französischen Konglomerat Hachette Livre.

Helmut Kohl zählte er zu seinen Freunden

Legendär sind Weidenfelds Einladungen zu den als „George Dinners“ bekannten Abendessen. Aus mancher der zu einem der runden Geburtstage verfassten Gratulationen liest sich der Stolz heraus, einmal dabei gewesen zu sein, oder zumindest das Bedauern, nicht dazuzuzählen. Welche politischen Weichen dabei gestellt worden sein mögen, lässt sich ebenso nur erahnen wie die zwischenmenschlichen Kontakte, die der als Charmeur gerühmte Weidenfeld zu stiften vermochte. Dazu kam sein mäzenatisches Engagement, zuletzt noch 2014 als Begründer des „Weidenfeld Scholarships and Leadership Programme“ an der Universität Oxford. Oder auch sein Wirken als Co-Chairman des M100-Beirats.

Zu Deutschland verband ihn eine besondere Beziehung. Helmut Kohl zählte er zu seinen Freunden, dem er nach dessen CDU-Spendenaffäre wohl auch finanziell unter die Arme griff. Für die Zeitungen des Springer-Konzerns ließ er als Kolumnist seine journalistischen Neigungen wiederaufleben. Im elterlichen Hause hatte er, das Einzelkind, deutsche Literatur und Geschichtsbücher en masse verschlungen. In Österreich, sagte er in einmal, habe er die geografische Herkunft seines Gegenüber „an der Sprache hören“ können. Am Mittwoch ist Lord Weidenfeld, hoch geehrt und geachtet, im Alter von 96 Jahren gestorben, eine Figur aus einer anderen, besseren Welt.

Bernhard Schulz

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