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Die Muse. Von der Schriftstellerin und Gartengestalterin Vita Sackville-West (1892 - 1962) ließ sich auch Virginia Woolf inspirieren. Foto: p-a/United Archiv

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Briefwechsel: Die Liebe einer Exzentrikerin

Vita Sackville-West war das Vorbild für Virginia Woolfs "Orlando". Zum 50. Todestag der Schriftstellerin erscheint die Korrespondenz mit ihrem Ehemann Harold Nicolson, der Briefwechsel einer ungewöhnlichen Liebe.

Als „Schwesternschiffe, die nebeneinander vor Anker gingen“, sah Nigel Nicolson seine Eltern. Über Erdteile hinweg hätten sie vermocht, einander den Puls zu fühlen. Nigel war der jüngere Sohn und Herausgeber der Briefe der Schriftstellerin („Challenge“, „The Edwardians“) und ingeniösen Gartengestalterin Victoria Mary Sackville-West (1892 – 1962) und des Diplomaten Harold George Nicolson (1886 – 1968), der zum Sir geadelt wurde.

Ein halbes Jahrhundert währte die Liebe der beiden – Fernbeziehungen können doch funktionieren. Denn während sich Harold von Istanbul bis Teheran, Paris und Berlin im diplomatischen Dienst bewährte, hing Vitas Herz bei aller Reiselust zeitlebens an ihrem Geburtsort Knole House und später an Long Barns und Sissinghurst Castle in Kent, einem der schönsten meistbesuchten Gärten Englands. Den Grundstock hierfür hatte sie mit Tausenden von Blumenzwiebeln gelegt, darunter „Fritillaria, die du missbilligst“ und „Narcissus cyklamineus, die Du gerne magst“, wie sie ihrem Mann schrieb. Für den „Observer“ verfasste sie eine beliebte Gartenkolumne.

Mit derselben frischen und arglosen Begeisterung, mit der sie Narzissen klassifizierte, schilderte Vita ihrem Harold auch ihre Affären mit Frauen. Die erste Gefährdung ihrer Ehe entstand 1918 durch die junge, unglücklich verheiratete Schriftstellerin Violet Trifusis. Mehrfach flüchteten die beiden Frauen nach Paris, wobei sich die hochgewachsene Vita mit dem markanten Kinn als Mann verkleidete. Harold erkannte die Gefahr durchaus, wenn er seine Frau beschwor: „Kleines – ich wünschte, Violet wäre tot. Sie hat etwas vom Strahlendsten, was es je gegeben hat, vergiftet. Sie ist wie eine wilde Orchidee, die in den Abgründen des Lebens schimmert und stinkt. Liebste, sie ist böse, und ich bin es nicht.“

Mit solch ergreifenden Kurzformeln muss es der eher introvertierte Diplomat verstanden haben, die Exzentrikerin Vita an sich zu binden. Zwar pflegte auch Harold erotische Beziehungen zu Männern, doch für beide galt das Codewort „Padlock“ (Vorhängeschloss): eine Art Siegel ihrer Ehe. Dieses konnte auch Virginia Woolf nicht brechen, Vitas spektakulärste Liebschaft. „Sie ist ein Grenadier; hart, gut aussehend, männlich; neigt zum Doppelkinn“, notierte Woolf über ihre erste Begegnung mit Vita, die sie in dem Romanhelden „Orlando“ verewigte – ein unabhängiges Wesen, das weder an die Zeit noch an das angeborene Geschlecht gebunden ist. Die Liebe ging wohl recht einseitig von der zehn Jahre älteren Virginia aus. Vita hielt sich zurück, denn sie befürchtete, zu viel Leidenschaft könnte die psychische Erkrankung der bewunderten Intellektuellen neu entfachen. 1941 nahm Virginia Woolf sich das Leben.

„Das Leben mag gefährlich sein, aber die Liebe ist allezeit zugegen und steht für jeden von uns wie eine Festung da“, bilanzierte Harold 1957. „Hadji“ nannte ihn Vita zärtlich, mit dem arabischen Wort für Pilger. Das „wahre Hauptwerk der beiden Autoren“ nennt die Publizistin Barbara von Becker den Briefwechsel, den sie zum 50. Todestag von Vita Sackville-West herausgegeben hat. Das schmale, profunde Buch zeichnet zweierlei aus: Es lässt eine ungewöhnliche, mitreißende Liebe lebendig werden und vermittelt in Schlaglichtern die dramatische Geschichte des 20. Jahrhunderts, vor allem das Heraufdämmern zweier Weltkriege.

1927 an die britische Botschaft in Berlin versetzt, begegnete Nicolson dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer: „dieser seltsame Mongole mit seinen schlauen Augen im gelben Gesicht“. Als er 1961 den „riesigen Kahlkopf“ des alten Winston Churchill die Treppe hinunter verschwinden sah, befiel ihn Wehmut – vielleicht eine Vorahnung des frühen Todes seiner Vita im Jahr darauf. „Wir sind ja beide Frauenrechtler“, hatte er ihr einmal versichert. Kann es einen besseren Ehemann geben? Katrin Hillgruber

Vita Sackville-West / Harold Nicolson: In der Ferne so nah. Briefwechsel einer ungewöhnlichen Liebe. Herausgegeben von Barbara von Becker. Hoffmann und Campe, Hamburg 2012. 125 S., 12 €

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