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Zum Singen ins Grüne. Die Edelweißpiraten wollten sich von den Nazis nichts sagen lassen.

© image stock/United Archives

Briefroman: Der Widerstand der Edelweißpiraten: Frau Liebigmann kommt nicht mehr

Nicht alle Jugendlichen wollten zur Nazizeit in die Hitlerjugend. Manche bekämpften das Regime - wie die Edelweißpiraten

Endlich fand das Grauen ein Ende: Am 8. Mai 1945 hat Deutschland kapituliert. Der Aufstieg Hitlers, die Vertreibung und Vernichtung der Juden, die Propagandamaschinerie, all das können Jugendliche heute in Geschichtsbüchern lesen. Aber, wie war der Alltag? Wie erlebten junge Menschen den Zweiten Weltkrieg? Was dachten und fühlten sie?

Dass man förmlich eintauchen kann in diese Zeit, ist Frank Maria Reifenberg zu verdanken. Weder ein Sachbuch noch einen Roman hat der Autor vorgelegt, sondern, heutzutage ungewöhnlich, einen Briefroman. Unter dem Titel „Wo die Freiheit wächst“ {Ars Edition, München 2019, 375 Seiten, 15 € }geht es um überzeugte Nazis, um sogenannte Mitläufer, aber auch um die vielen kaum bekannte Widerstandsgruppe der Edelweißpiraten.

Mutig kleben sie Plakate gegen die Nazis

Der Kölner Erich ist einer von ihnen. Mit seinen längeren Haaren und der Wanderkluft hebt er sich schon äußerlich von den Hitlerjungen ab. Er hasst die Kontrollen des Blockwarts, wenn „nicht ordentlich geflaggt ist“. Dass Erich mutig Plakate gegen die Nazis klebt und Parolen an Hauswände malt, erfährt die 16-jährige Lene erst, als sie schon längst in den Jungen mit den „schönen Augen“ verliebt ist. Auch sie, Lehrmädchen in einem Friseursalon, ist Kölnerin. Ihrem älteren Bruder Franz, der an der Ostfront im Einsatz ist, teilt sie ihre Beobachtungen mit. Erzählt von Frau Liebigmann, der langjährigen treuen Kundin, die nun nicht mehr zum Frisieren kommt. „Ich habe nichts gegen Juden, aber wir müssen ja auch an die anderen Kunden denken“, hört Lene. Sie sieht, wie die Stroheims, neue Besitzer einer Glaserei, die früher einem Juden gehörte, reich werden. Viele neue Fensterscheiben brauchen die Menschen in dieser Zeit. Bei den durch Bomben ausgelösten Druckwellen scheppert es ja überall. Jetzt könne man die Sterne besser beobachten als früher, schreibt Lene, denn nachts sei die Stadt ja „pechschwarz“ verdunkelt.

Bruder Kalli möchte zur Waffen-SS

Franz erzählt in seinen Briefen von Kugeln, die treffen oder ihr (menschliches) Ziel verfehlen, von zu wenig Essen, von Durchhalteparolen und schwindender Hoffnung. Je mehr Zeit vergeht, umso düsterer werden seine Briefe. Anders als jene von Kalli, dem anderen, jüngeren Bruder Lenes. Erst 14 Jahre alt ist er und wird während der sogenannten Kinderlandverschickung zum überzeugten Hitlerjungen. Kalli brennt darauf, sich freiwillig bei der Waffen-SS melden zu dürfen. Wie würde der verblendete Junge die Korrespondenzen beurteilen? Würde er die Geschwister verraten? In einem Brief erzählt Franz voller Entsetzen von einem Massengrab, in dem Hunderte erschossene Zivilisten, Frauen und sogar Kinder verscharrt sind. „Wenn das der Führer wüsste ...“, raunt ein Kamerad. Aber Franz ist klar, dass es gar nicht sein kann, dass Hitler von diesen Gräueltaten nichts weiß.

Berührende Zeugnisse vom Alltag im Zweiten Weltkrieg

Es ist gefährlich, solche Briefe zu schreiben. Erich ist vorsichtig, wurde aber, wie andere Edelweißpiraten, von den Nazis schon verhört – und verprügelt. Mehr und mehr unterstützt auch Lene den Widerstand. Ob sie das Ende des Krieges überlebt hat, lässt der Autor offen.

Seite für Seite eintauchen in den Alltag des II. Weltkriegs
Seite für Seite eintauchen in den Alltag des II. Weltkriegs

© Cover: Verlag Ars Edition

Reifenberg zeichnet mit seinem Briefroman, aus Zeitzeugenberichten und Tagebüchern zusammengesetzt, ein berührendes Bild vom Alltag im Zweiten Weltkrieg. Die Geschichte der Edelweißpiraten, im Untertitel extra benannt, bleibt dennoch blass. Wie hatte die Bewegung begonnen, wo kamen die Mitglieder her, was hielt sie zusammen? Viele Fragen drängen sich auf. Gut, dass Martin Rüther vom NS-Dokumentationszentrum Köln am Ende des Buches noch Platz für den „Versuch einer Würdigung“ bekam. Mehr aus dem Erbe dieser mutigen Bewegung hätte man sich im Briefroman gewünscht. Kürzungen an anderen Stellen hätten dem Buch sogar gut getan.

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