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Federleichte Zeilen. Else Lasker-Schülers Schreiben, ausgestellt im Liebermann-Haus am Pariser Platz.

© Stiftung Brandenburger Tor

Briefe von Else Lasker-Schüler: Schön bin ich nur im Wort

Else Lasker-Schüler war eine bezaubernde Sprachartistin. Neu entdeckte Briefe von ihr geben Einblick in das Berliner Boheme-Leben der 1920er Jahre.

Sie hat in ihrem wilden wunderbaren Leben tausende Briefe und Postkarten geschrieben. An Franz Marc und Gottfried Benn, an Max Reinhardt und Karl Kraus, an Erika und Klaus Mann, Martin Buber oder Schalom Ben-Chorin.

An Gott und die Welt. In der großen Werkausgabe des Jüdischen Verlags umfassen die Gedichte, Prosa und Dramen von Else Lasker-Schüler fünf Bände, ihre Briefe derer sechs. Und demnächst muss auch diese enorme Sammlung noch einmal ergänzt werden. Denn auf der internationalen Antiquariatsmesse in Stuttgart gab es Ende Januar eine Überraschung.

Briefe nach Amsterdam

Ein Anbieter aus Utrecht offerierte für 45 000 Euro 15 Briefe und 49 Postkarten, die Else Lasker-Schüler zwischen 1905 und 1930 an den in Leiden lebenden holländischen Literaturkritiker, Schuldirektor und Mäzen Nicolaas Johannes Beversen geschrieben hatte. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder hat das Deutsche Literaturarchiv Marbach den Fund aus holländischem Privatbesitz erworben.

Jetzt sind die 64 mit Tinte oder Bleistift verfassten und gelegentlich mit winzigen Zeichnungen von Blumen oder Köpfen versehenen Stücke im Max-Liebermann-Haus der Stiftung Brandenburger Tor erstmals öffentlich zu sehen.

Nebst einigen schönen, von der Schriftstellerin selbst mit Titelillustrationen versehenen Erstausgaben ihrer Bücher und drei seltenen Porträts der „größten Lyrikerin, die Deutschland je hatte“ (so ihr zwischenzeitlicher Geliebter Gottfried Benn).

Den Fund bezeichnete Stiftungsvorstand Peter-Klaus Schuster, Ex-Generaldirektor der Berliner Staatlichen Museen, in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung als „kleine Sensation“. Wohl waren die Postalien in den 1960er Jahren dem Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch kurzzeitig zur Veröffentlichung angeboten worden.

Doch damals hatte die Wiederentdeckung der 1945 mit knapp 76 Jahren im Jerusalemer Exil gestorbenen Dichterin, Geschichtenerzählerin und Autorin so grandios zwischen Alltagsrealismus, Märchenmagie und politischer Prophetie leuchtender Dramen wie „Die Wupper“ oder „IchundIch“ noch nicht richtig begonnen.Ausgerechnet der spätere Schriftsteller Dieter Wellershoff (der über Benn promoviert hatte) soll als damaliger KiWi-Lektor die Publikation der Briefe abgelehnt haben. Danach geriet die Korrespondenz in Vergessenheit.

Vom Empfänger gibt es nicht einmal ein Foto

Wer aber war überhaupt Niclaas Johannes Beversen (1860–1932)? Bis heute weiß man kaum mehr über ihn, als dass er Direktor eines Mädchengymnasiums war und in Holland einige positive Rezensionen über Werke der Lasker-Schüler veröffentlicht hatte. Beversens eigene Briefe an die Dichterin fehlen.

Auch räumten Jan Bürger vom Marbacher Archiv und Thomas Sparr vom Suhrkamp Verlag im Liebermann-Haus ein, bisher nicht einmal ein Foto von Beversen zu kennen. Das freilich verblüfft, weil sich ein Bild wohl mittels einer Provenienzrecherche finden lassen sollte.

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Doch so geht es uns heute noch nicht viel anders als Lasker-Schüler, die schon in ihrem zweiten Brief vom August 1905 dem „Doktor“ B. die Frage stellt: „Wer sind Sie eigentlich? Sind Sie Arzt oder Philosoph?“

Zwischen zwei Postkarten aus den Wintern 1912 und 1920 klafft zudem noch eine aufzuklärende Lücke; und 1921, also über 15 Jahre nach dem ersten überlieferten Kontakt, möchte ELS immerhin wissen: „Wie sehen Sie aus? Sind Sie schön? Oder sind Sie merkwürdig – wenn ich Ihnen mein Bild sende, senden Sie mir das Ihre.“

Grüße an die liebe Gattin

Die ganze Beziehung zu Beversen, dessen Namen die oft überschwängliche Poetin einmal – später durchgestrichen – „Berversen“ schreibt, bleibt noch zu erhellen. Erst auf der letzten Karte erwähnt sie 1930 ein „Wiedersehen“. Doch über Jahre hinweg versuchte die Dichterin offenbar vergeblich, den Brieffreund zu sich zu locken oder ein Treffen in Holland zu arrangieren, samt dessen „sehr lieber Gattin“, die sie („ich hege keine Absichten“) immer etwas absichtsvoll zu grüßen bittet.

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Originale und leicht vergrößerte Faksimiles werden nun nicht nur in Vitrinen, sondern als lichter, von der Decke schwebender Blätterwald hinter transparenten Folien präsentiert. Die Schreiben kommen fast alle aus Berlin, wo die Autorin nach der Scheidung von ihrem zweiten Ehemann, dem Autor, Verleger und Galeristen Herwarth Walden, oft am Rand der Armut zumeist in einer Dachstube im Hotel Koschel lebt, das ab den 1920er Jahren und bis heute Hotel Sachsenhof heißt, in der Motzstraße 78, unweit des Nollendorfplatzes: einem Hauptort der Berliner Boheme und queeren Szene, zu der die oft in orientalischen Männergewändern durch die nahen Literatencafés flanierende Dichterin auf ihre Weise mit gehörte.

Sie nannte ihn "König von Holland"

Auch gegenüber Beversen, den sie in ihrer exzentrischen Manier mal mit „Sire“, mal „König von Holland“ anspricht, unterzeichnet sie wie bei ihr üblich als „Prinz Jussuf von Theben“ oder „Prinzessin Tino von Bagdad“.

Doch der weibliche Prinz wirbt auf anrührend raffinierte Weise bei Beversen um materielle und ideelle Unterstützung. Die jüdische Autorin des „Wunderrabbiners von Barcelona“ bittet darüber hinaus um den Kontakt zu einem realen Amsterdamer Rabbi: für Lesungen in Holland, bezahlt in guten harten Gulden.

Dabei liefert sie dem Briefpartner immer wieder graziöse Selbstporträts, etwa in Anspielung auf ihre Candlelight-Lesungen: „Lieber König, ich bin nicht schön, hinter Kerzen am Abend sehen viele schön aus – das macht der Schein. Ich bin nur schön im Wort…“ Während sie bei Beversen auch schon mal moniert, dass seine Zeilen auf sie so kühl und kostbar wirken wie auf Delfter Porzellan geschrieben. Während in ihr ein heißes „blaues Herz“ schlug, das auch hier für immer nachklingt („Else Lasker-Schüler. Lebenszeichen aus Berlin“, bis 7. Oktober, Mo, Mi–Fr 10–18 Uhr, Sa, So 11–18 Uhr. Stiftung Brandenburger Tor, Pariser Platz 7).

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