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Man weiß nicht, wer gewann.Brecht mit Zigarre und Benjamin beim Schachspiel 1934 im dänischen Exil.

© Akademie der Künste Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv

Brecht und Benjamin in der AdK: Nicht nur allerbeste Freunde

Erstmals präsentiert eine Ausstellung der Berliner Akademie der Künste das Verhältnis zweier Genies des 20. Jahrhunderts: Walter Benjamin und Bertolt Brecht.

Für einen der eher raren ironischen Momente in der so ambitionierten und freilich von höchst seriöser Emphatik bestimmten Großausstellung zu Walter Benjamin und Bertolt Brecht in der Berliner Akademie der Künste sorgt ein über Kopfhörer eingespieltes Tondokument von Hannah Arendt. Die einst vor den Nazis geflohene Philosophin sagt bei einem Vortrag im Januar 1968 im New Yorker Goethe-Institut: „Die Freundschaft Benjamin-Brecht ist einzigartig, weil in ihr der größte lebende deutsche Dichter mit dem bedeutendsten Kritiker der Zeit zusammenkam. Und es spricht für beide, dass sie es wussten.“

Der Nachsatz sorgt, trotz Arendts strengem, auch im Exil noch unverkennbar nordhochdeutschen Tonfall, für erstes Lächeln. Aber dann folgt der Hinweis, Brecht habe, als er 1941 von Benjamins Selbstmord auf der Flucht nachts an der französisch-spanischen Grenze erfuhr, angeblich gesagt: dies sei „der erste wirkliche Verlust, den Hitler der deutschen Literatur zugefügt hat“. Worauf Arendt trocken anmerkt: „Ein nicht sehr freundliches Wort – aber immerhin.“

Werner Heegewaldt, der Direktor des Archivs der Berliner Akademie, die in ihren Schatzkammern auch die Nachlässe von Brecht und Benjamin birgt, er konstatiert vor der Ausstellungseröffnung, dass beider archivarisches Erbe zu den „best- und meisterforschten weltweit gehören“. Trotzdem gibt es in der zwei Hallen des Obergeschosses der Akademie im alten Quartier am Hanseatenweg füllenden Schau auch etliche, vom Besucher leicht zu übersehende Sensationen. So finden sich als Reaktion auf Benjamins Selbstmord nicht nur die Autographen und Originaltyposkripte von Brechts vier Gedichten zum Tod des Geistesgefährten, getragen von einer für Brecht fast untypischen Depression. Erst vor Kurzem ist, wie Erdmut Wizisla als Leiter des Brecht- und des Benjamin-Archivs in seinem bei Suhrkamp erschienenen Vorwort zum Ausstellungs-Buch anmerkt, ein winziger herausgerissener Zettel von Brecht gefunden worden. Auf ihm hat der Dichter notiert, was den Selbstmörder von seiner Tat doch hätte „zurückhalten müssen“; so etwa: „neuer gedanken heraufkunft / und neuer schwierigkeiten“. Das ist die lyrische Dialektik, im kalifornischen Exil des von Brecht verfluchten „easy going“.

Zwei sehr unterschiedliche Naturelle

Die Ausstellung – die erste, die beide Dioskuren der literarisch-intellektuellen Szene der Weimarer Republik als Superpaarung präsentiert –, sie trägt wie das Suhrkamp-Buch den Titel „Benjamin und Brecht. Denken in Extremen“. Das soll die Polarität der nicht spannungsfreien, bis zuletzt auf dem Siezfuß ausgelebten Freundschaft bezeichnen. Die Unterschiede zwischen dem Naturell des sensiblen, kulturphilosophischen Theoretikers und dem durchsetzungsstarken, zu Spott, List, Härte und strategischem Charme jederzeit fähigen Dichter und Dramatiker werden dabei schon auf den die Ausstellung eröffnenden großformatigen Schwarzweißfotos deutlich.

Walter Benjamin trägt Anfang der Dreißiger Jahre selbst auf den sonnigen Balearen, auf Ibiza oder Mallorca, immer Schlips und weißes Anzugshemd, während Brecht an Sommerorten mit offenen Krägen und Schlabberleinenjacke auftritt. Nur ein Mal sitzen sie mit Freunden tatsächlich am südfranzösischen Strand: Brecht (wie sonst fast nie zu sehen) mit nacktem Oberkörper und Badehose, Benjamin jedoch mit einem eher damenhaften schwarzen Badeanzug.

Auch wenn die beiden Schach spielen, was eine gemeinsame Leidenschaft war, erkennt man im Bild: Benjamin meist konzentriert und ein wenig gebuckelt dasitzend, wie in den Bibliotheken von Berlin oder Paris über den Exzerpten für seine Essays und Übersetzungen, für die im unvollendeten „Passagen“-Werk gipfelnden Weltergründungen auf dem Papier. Brecht dagegen der weniger sinnierende, lässige Zigarrenraucher; er sei auch der offensivere, manchmal unkontrolliertere Spieler gewesen, Benjamin hingegen defensiver, hinhaltender. Brecht erinnert noch in einem seiner lyrischen Nachrufe an Benjamins „ermattungstaktik“. Leider bleibt bei allem unbeantwortet, wer da der erfolgreichere Spieler war.

Benjamins Weggefährten sahen die Beziehung kritisch

Noch bedauerlicher für Archivare und Nachwelt ist allerdings, dass es von Walter Benjamin, anders als von Brecht, trotz zahlreicher überlieferter Vorträge keine einzige Aufzeichnung seiner Stimme gibt (Rundfunkmitschnitte gingen im Krieg verloren) und keinerlei bewegte Bilder. Das trifft ähnlich auf Franz Kafka zu, eine andere Jahrhundertgestalt.

Und der „Fall Kafka“ ist auch der wohl interessanteste, was Nähe und Ferne zwischen Brecht und Benjamin betrifft. Ohnehin hatte es fünf Jahre nach ersten flüchtigen Begegnungen zwischen B. und B. bedurft, bis sich Brecht, teils noch ruppiger Revoluzzer, teils gefühlter Weltstar nach dem Erfolg seiner „Dreigroschenoper, 1929 auf Drängen der links engagierten Regisseurin Asja Lacis zu einem richtigen Treffen mit dem scheuen, feinen Herrn Benjamin in Berlin-Wilmersdorf überreden ließ. Benjamin als marxistisch behauchter, gleichwohl über den puren Materialismus weit und tief hinausgründender Denker, war für Brecht, der sein neues Episches Theater auf festere soziologische und geschichtsphilosophische Füße stellen wollte, eine Quelle der intellektuellen Inspiration. Wobei Benjamins geistig nähere Weggefährten die Beziehung kritisch sahen. Adorno sah Benjamin unter Brechts Einfluss zu „dummem Zeug“ neigend, und Siegfried Kracauer berichtete nach dem Krieg in einem Brief an den gelehrten Gershom Sholem, dass er über „Benjamins sklavisch-masochistische Haltung Brecht gegenüber eine sehr heftige Auseinandersetzung mit ihm in Berlin“ gehabt habe.

Aber Kafka. Später in den sozialistisch-stalinistischen Ländern wurde er als bürgerlich dekadent und absurder Nihilist verfemt. Im Pariser Exil sprach Benjamin 1934 über die „Deutsche Avantgarde“, unter anderen an den Beispielen von Brecht und Kafka, der durch die posthume Publikation seines „Prozess“-Romans zumindest unter Kennern gerade erste internationale Bekanntheit errang.

Brechts Kafka. Erstausausgabe des „Prozess“ aus dem Besitz des Dichters.
Brechts Kafka. Erstausausgabe des „Prozess“ aus dem Besitz des Dichters.

© Marwan Bassiouni /AdK

Die mit Autographen und Objekten, etwa Brechts Schachbrett oder, gleichfalls aus Brechts Besitz, der hübschen chinesischen Figur eines taoistischen Weisen zu Pferde durchaus reich staffierte Ausstellung, hat in Kafkas „Prozess“ nun eines ihrer besonderen, auch symbolkräftigen Exponate.

Es ist Brechts eigenes Exemplar der Erstausgabe 1925 im kleinen Berliner Verlag Die Schmiede. Dass Brecht sie überhaupt besaß und mit Anmerkungen versehen hat, beweist seine seismographische Aufmerksamkeit. Brecht erkannte in der mysteriösen und zugleich konkreten Schilderung einer totalitärer Verwaltungsherrschaft bei Kafka sofort das Moderne. Kafka, dessen jüdischem kulturellen Hintergrund der jüdisch assimilierte Denker Benjamin, ein Bewunderer auch der französischen Surrealisten, viel näher war, erschien dem aller Mystik fernen Brecht als werdendem Sozialisten jedoch zugleich als fremd. Statt es aufzuklären, erzeuge und verbreite Kafka das Dunkel. Ja, Brecht verstieg sich gegenüber Benjamin nach dessen großem Kafka-Essay 1934 gar zu dem Vorwurf, dieser leiste „dem jüdischen Faszismus Vorschub“.

Das wird in der Ausstellung und im Buch dazu dokumentiert, wobei noch in Brechts Schreibweise des „Faszismus“ auch das Faszinosum mitschwingt. Gleichwohl wäre an dieser Stelle ein deutlicherer erklärender Kommentar von den Ausstellungsmachern im Team um Erdmut Wizisla für das breitere Publikum hilfreich.

Viel zu sehen, zu lesen, zu entdecken

Vor allem wird eine Pointe beim Blick in die Vitrine mit Brechts Kafka-Erstausgabe für Uneingeweihte kaum deutlich. Zwischen den Verfassernamen Franz Kafka und den Titel „Der Prozess“ hat Brecht nämlich in schwer lesbarer Schrift seinen eigenen Namen „bert brecht“ in üblicher Kleinschreibung gesetzt. Diese Kennzeichnung findet sich zwar gelegentlich auch auf anderen Büchern aus Brechts Besitz, an dieser Stelle aber hat diese Geste buchstäblich: etwas Fantastisches.

Eine wunderbare Trouvaille ist auch der so genannte Bürstenabzug (einer Druckfahne) des von der „Frankfurter Zeitung“ auf Einspruch des einflussreichen Redakteurs und Kritikers Bernhard Diebold in dem Blatt nie veröffentlichten Benjamin-Aufsatzes über Brechts Episches Theater. Neben Benjamins als Lob gemeinte Aussage, dass Brecht damit die „Unterhaltungsfunktion“ des Theaters beende, merkt Diebold am Rand an: „Weiß Gott!“

Viel zu sehen, zu lesen, zu entdecken. Und zudem von heutigen Künstlern multimediale Illustrationen und Installationen zu Brecht und Benjamin. Von Alexander Kluge, Edmund de Waal oder der satirisch-poetisch zupackenden New Yorker Malerin und Filmemacherin Zoe Beloff. Zudem folgt bis zum Januar ein reichhaltiges Rahmenprogramm mit Filmen, Vorträgen Lesungen, Diskussionen.

Ausstellung und Rahmenprogramm am Hanseatenweg 10 vom 26. 10. bis 28. 1. Das Ausstellungs-Buch kostet 32 Euro. Infos unter www.adk.de/benjamin-brecht

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