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Der Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht im Oktober 1970.

© dpa

Brecht-Tage im Literaturforum: Wie man Irrtümer vorbereitet

Bertolt Brecht zwischen politischer Loyalität und Entsetzen: Im Literaturforum untersuchen Experten und Studenten die Bruchstellen zwischen seinem Schreiben und Denken.

Im Januar 1939 hält Bertolt Brecht den Verlust der letzten Verbindungen nach Moskau fest. „Auch Kolzow verhaftet. Niemand weiß etwas von Tretjakow, der ‚japanischer Spion‘ sein soll. Niemand etwas von der Neher, die in Prag im Auftrag ihres Mannes trotzkistische Geschäfte abgewickelt haben soll ... Theater und Kunst scheinen beschissen, die politische Theorie auf dem Hund.“ Und in einem Gedicht für die Schauspielerin Carola Neher, die später im Gulag starb, klagt er: „Ich kann nichts für dich tun.“

Verunsicherung und Hilflosigkeit des Dichters im Hinblick auf das sozialistische Vorzeigeland sind unübersehbar, doch wie so viele seiner deutschen Künstlerfreunde hält sich Brecht mit öffentlichen Verlautbarungen zurück. Zu sehr gehörte das kommunistische Projekt in den Substanzbestand der Avantgarde, trotz aller Widersprüche und schlechten Omen, die mit den politischen Säuberungen und dem Pakt zwischen Hitler und Stalin ihren Höhepunkt erreichen. Das sowjetische Vorbild scheint auch für Brecht, den Skeptiker, seine Strahlkraft nicht verloren zu haben: „Seitdem“, heißt es in der Hymne zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution, „hat die Welt ihre Hoffnung. Wissen, es gibt / einen Oktober.“

Den Bruchstellen nachspüren

Wie stand Bertolt Brecht tatsächlich zur Sowjetunion angesichts des faschistischen Wütens in Europa, dem vorläufig nur durch Stalin Einhalt zu gebieten war? Wo liegen die Bruchstellen zwischen ästhetischer Hingabe an die Revolution und Verwunderung über ihre Auswüchse? Diesen Fragen gehen – unter dem Keuner-Geschichten-Motto „Ich bereite meinen nächsten Irrtum vor ...“ – die von der Historikerin Annette Leo konzipierten Brecht-Tage im Literaturforum noch bis Freitag nach.

Literaturwissenschaftler, Historiker und Bühnenschaffende loten den Zwiespalt zwischen aufrichtiger politischer Loyalität und dem Entsetzen über die „verdienten Mörder des Volkes“ aus: Reinhard Müller befragt Brechts Schweigen zu den Moskauer Prozessen (Mittwoch, 20 Uhr). Michael Rohrwasser untersucht das „Phänomen der doppelten Rede“ in Bezug auf den Stalinismus (Donnerstag, 20 Uhr), während Annett Gröschner und Tatjana Hofmann im freitäglichen Workshop zu Brechts Beziehungen zur russischen Avantgarde (ab 13 Uhr) insbesondere das Verhältnis zu Sergej Tretjakow beleuchten.

Die Auftaktveranstaltung, ausgerichtet von Studierenden der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, ließ sich als kleines Exempel auf den berühmten Verfremdungseffekt wahrnehmen. Wie gehen Nachgeborene, unbeleckt von der sozialistischen Erlösungshoffnung und deren Debakel, mit Texten um, die „das Lob des Revolutionärs“, der illegalen Arbeit oder gar des „vernünftigen“ Kommunismus besingen mit Worten wie „Er ist das Einfache / das schwer zu machen ist“?

Seine Texte arbeiten gegen sich selbst

Der studentische Rezitations- und Liederabend schuf eine erfrischende Distanz zu den Balladen und Gedichten, die der nach Brecht aufgewachsenen Generation in Fleisch und Blut übergegangen ist. Von Kerstin Hensel nach ihren Lektüreerfahrungen befragt, räumten die drei Darbietenden unverhohlen Unverständnis ein, zeigten sich aber auch überrascht, dass ein Kluger wie Brecht sich derart „romantisch“ einer Idee hingeben konnte. „Die Texte“, erklärte Felix Kammerer, „arbeiten ständig gegen sich selbst.“

Das trifft die spezifische Dynamik des lyrischen Selbstgespräches, die dialektische Bewegung zwischen Hoffnung und Zweifel. Brecht, dem Städtebewohner, der sich von allem Ballast befreien wollte und später dann sehr unfreiwillig „wie die Schuhe die Länder“ wechselte, hätte dieser unvoreingenommene Umgang mit seiner Hinterlassenschaft sicher gefallen. Wusste er doch, dass der Kommunismus eine Hoffnung ist, „die sich mit Wasser begnügt“.

Programminfos unter lfbrecht.de

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