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New Yorker Klangforscher. Pianistin Tagg und Klarinettist Krakauer.

© Jill Steinberg

„Breath and Hammer“ im Boulez Saal: Tanz der Klangfarben

„Breath and Hammer“ im Boulez Saal bringt Klezmer, Jazz, Klassik und Elektronik zusammen: Eine Begegnung mit Kathleen Tagg und David Krakauer.

Es mag sich erst einmal brutal anhören: Wenn Kathleen Tagg experimentiert, steckt sie ab und zu einen Zahnpastakarton in den Flügel. Oder auch andere Gegenstände, die sie in ihrem Haushalt gefunden hat. Auf der Suche nach Sounds probiert die Pianistin und Komponistin alles aus, auch Elektronik kommt zum Einsatz. Oder sie erzeugt Klänge, die an Streich- oder Zupfinstrumente erinnern.

Was genau Tagg tut, während sie mit dem Klarinettisten David Krakauer auf der Bühne neun ganz unterschiedliche Stücke aufführt – Jazz, Weltmusik, Klezmer –, machen die Videoprojektionen des Animationskünstlers Jesse Gilbert erlebbar. Aus dem Publikumsraum heraus darf man ihr auf die Finger schauen. Sie steht auf, geht um das Klavier herum oder hängt sich nach vorn und betätigt Tasten und Saiten gleichzeitig. Tagg, die ursprünglich aus Südafrika kommt, belebt ihre Spielfläche mit vollem Körpereinsatz. „Breath and Hammer“ heißt das Programm der drei Künstler, das sie stetig verfeinern, und an jeden Konzertsaal immer wieder neu anpassen.

In Berlin fühlt sich Krakauer zuhause

Für ihre Auftritte im Pierre Boulez Saal konnten die New Yorker den Aufbau erstmals Mitte Februar testen. Gilbert hat für die runde Bühne ein Sechseck entwickelt, bestehend aus halbtransparenten Projektionsflächen, die die Musiker um Meter überragen. Sechs Kameras beäugen die Handgriffe von Tagg und Krakauer im Innern des Hexagons. Die Bilder werden an Projektoren gesendet, die sich wiederum in sechs Dolmetscherkabinen hinter den Stuhlreihen verbergen. In die Liveübertragung auf die Außenflächen des Sechsecks mischt Gilbert, der wie Tagg und Krakauer aus der klassischen Musik kommt, Farben und Muster: Helle Spiralen, die sich als vibrierende Risse über die Wände legen. Visuals, die wie fließendes Wasser anmuten. Manchmal rotieren die Bilder, manchmal scheinen sie aus dem Boden empor zu sprießen. Der gesamte Saal gerät in Bewegung, bei jedem Stück auf andere Art.

In Berlin, da fühle er sich zuhause, sagt Krakauer. Der 62-Jährige hat von 1986 bis 1994 in der Band The Klezmatics gespielt. Sowohl im westlichen, als auch im östlichen Teil der Stadt habe er auf etlichen Bühnen gestanden. Wenn er seine Klarinette an die Lippen setzt, verwächst er mit seinem Instrument. „Wir wollen mit der vollen Palette an Ausdrucksmöglichkeiten arbeiten“, sagt Tagg. Für „Breath and Hammer“ haben sie Musiker aus ihrem bunten New Yorker Bekanntenkreis nach Melodien gefragt. An auskomponierten Stücken waren sie nicht interessiert. Ihre Idee ist es, Musik aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt zu einer Einheit zu verschmelzen, in der sich die Klänge und Rhythmen mal harmonisch aneinanderschmiegen, mal aneinander reiben. Imitieren wollen sie nicht. „Wir versuchen keinesfalls zu klingen, als kämen wir aus Brasilien. Wir nehmen die schöne Melodie und machen daraus etwas, das für uns Sinn ergibt“, beschreibt Tagg die Arbeitsweise.

Brücken bilden und Dialoge eröffnen

Die Melodie für das erste Stück im Programm stammt aus der Feder des syrischen Klarinettisten Kinan Azmeh. Involviert ist auch der US-amerikanische Komponist John Zorn, der in den Neunzigern das Manifest für die Bewegung „Radical Jewish Culture“ formulierte. Ein zweites Stück ist durch den Jazz-Perkussionisten Roberto Juan Rodríguez, der aus Havanna in die USA kam, beeinflusst. „Es ist der Job eines jeden Künstlers, in dieser Welt das zu thematisieren, was Menschen verbindet“, sagt Krakauer. „Breath and Hammer“ handle davon, Brücken zu bilden, Dialoge zu eröffnen, fügt Tagg hinzu.

Beide lernten sich an der Manhattan School of Music kennen. Sie schrieb gerade ihren Doktor, er ist dort bis heute als Dozent tätig. Über zehn Jahre trafen sie sich sporadisch, bis sie 2016 begannen, am gemeinsamen Programm zu arbeiten.

Klezmer, das sei für ihn die Musik seiner Urgroßeltern, die in den Zwanzigern als Einwanderer aus Weißrussland, Polen und der Ukraine in die USA kamen, sagt Krakauer. Die Generation seiner Eltern jedoch hätte die mitgebrachte Tradition vergessen. „Und wir waren es dann, die sie wiederentdeckt haben“, erzählt er, „wir dachten, das ist funky, das ist kantig.“ Für ihn sei Klezmer eine Möglichkeit, die Kultur seiner Vorfahren zu umarmen, ohne die eigenen Erfahrungen und Charakterzüge ablegen zu müssen.

Auf der Bühne passiert zu viel gleichzeitig

Mit „Breath and Hammer“ nehmen Tagg und Krakauer viele Aspekte ihrer persönlichen Geschichten mit auf die Bühne. Eine Komposition hat Tagg ihrer Heimat gewidmet. Während sie das Klavier auch als Trommel benutzt und sich dabei selbst loopt, bewegen sich zarte orangefarbene Verästelungen wie ein wucherndes Gewächs über das Hexagon. Die nächste Animation sieht aus wie eine Rauchschwade, die den Raum der Musiker von oben abzuschließen droht.

Manchmal wirken Tagg und Krakauer seltsam klein in ihrer farbenfrohen Projektionsschatulle. Auf der Bühne geschieht zu viel gleichzeitig, zu viele Farben vermengen sich miteinander. Trotzdem verbindet ihre Musik nicht nur im übertragenden Sinn. Sie macht Spaß beim Zuhören. Gespannt will man wissen, wo es als nächstes hingeht. Dann kramt Tagg einen neuen Gegenstand hervor, Krakauer setzt die Klarinette an die Lippen und ein neues Abenteuer beginnt.

Pierre Boulez Saal, 8. und 9. März

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Helena Davenport

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