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Geht immer. Andy Warhol.

© Lorenzo Carnero/dpa

Braucht es neue moralische Standards?: Wie der Kunstbetrieb mit seinem Selbstverständnis ringt

Einfach nur Kunst zeigen - reicht das noch? Moral, Gleichberechtigung und Diversität werden 2020 wichtige Themen. Ein Überblick über das Kunstjahr.

Ein üppiges Ausstellungsjahr steht bevor. Der Kunstbetrieb rotiert. Zwar mögen einige Häuser die Anzahl ihrer Ausstellungen reduziert haben, weil ihnen wegen steigender Personal-, Versicherungs-, Betriebskosten weniger Mittel zur Verfügung stehen.

An der Fülle des Angebots macht sich dies nicht bemerkbar. Bereits im ersten Monat beginnt es fulminant. Die Fondation Beyeler in Riehen zeigt eine Retrospektive von Edward Hopper mit wichtigen Leihgaben (ab 26.1.).

Eine Woche später folgt Jan van Eyck im Genter Museum der Schönen Künste mit zwar nur rund zehn Gemälden des flämischen Meisters, dazu Werke zeitgenössischer Künstler. Ein Must-see ist auch diese Schau.

Das in der Berliner Gemäldegalerie bereits Ende 2019 eröffnete Raffael-Jubiläumsjahr wird in der Dresdner Sempergalerie (3.4.), der Hamburger Kunsthalle (21.5.) und Londoner National Gallery (3.10.) fortgesetzt. Klassiker, alte Kunst – das sind sichere Nummern, der Besucherzuspruch ist garantiert.

Ein Selbstläufer dürfte auch Gerhard Richter in seiner Heimatstadt Dresden sein, das Albertinum (8.2.) widmet ihm eine Ausstellung. Die in der Kunst sonst so strahlende Stadt hatte es 2019 schwer. Nach zum Teil heftigen Auseinandersetzungen um das Verhältnis von West- und Ostkunst in den Staatlichen Sammlungen, dem Juwelenraub im Grünen Gewölbe braucht sie gute Nachrichten.

Museen setzen auf Berühmtheiten

Mit der Wiedereröffnung der Gemäldegalerie Alter Meister und der Skulpturensammlung (29.2.) dürfte sie diese bekommen. Und was an Publikumszahlen verloren ging, etwa durch die Schließung des Grünen Gewölbes, spielt die sanierte Sempergalerie mit neu eingerichteter Dauerausstellung wieder ein.

Gewiss, die Steigerung des Publikums gehört nicht zwingend zum Auftrag eines Museums, doch sind sie der deutlichste Erfolgsbeleg. Nachdem das der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angeschlossene Institut für Museumsforschung zu Jahresbeginn die bundesdeutschen Zahlen für 2018 mit einem Rückgang – aufgrund der Witterung – bekannt gegeben hatte, folgten zügig gegenteilige Bekundungen einzelner Häuser.

Die Berlinische Galerie und das Potsdamer Museum Barberini informierten prompt, dass zur aktuellen Bauhaus-Jubiläumsausstellung bereits über 110 000 Besucher kamen und van Goghs Stillleben ebenfalls die 100 000er-Marke überschritten haben. Und beide laufen immer noch.

Pop-Stoff. Yayoi Kusamas Arbeit „Pollen“ von 1986.
Pop-Stoff. Yayoi Kusamas Arbeit „Pollen“ von 1986.

© Yayoi Kusama, Collection of Ota Fine Arts

Die Museen setzen unbeirrt auf Berühmtheiten, bevorzugt die Angelsachsen. Das Bucerius Kunstforum zeigt David Hockney (1.2.), das Kunsthalle Zürich Gilbert & George (22.2.), die Tate Modern in London, das Museum Ludwig in Köln und das Museum moderner Kunst in Wien Andy Warhol (12.3., 10.10., 30.4.), das Museum Folkwang in Essen Keith Haring (29.5.), das Museum of Modern Art in New York und das Vitra Museum in Weil Donald Judd (1.3., 4.7.).

Garanten sind ebenso die großen Franzosen. Claude Monet wird dem Museum Barberini erneut Selbstläufer bescheren (22.2.), die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf setzt auf Pablo Picasso (15.2.), das Centre Pompidou in Paris auf Henri Matisse (13.5.).

Schirn setzt auf Frauen

Lauter Männer. Eigentlich hatten sich die Museen Diversität vorgenommen, doch sie tun sich damit schwer. Fündig wird man trotzdem. Die Schirn macht es systematisch wie in den Vorjahren. Präsentierte die Frankfurter Kunsthalle in den Vorjahren Künstlerinnen des Expressionismus, der Avantgarde, so sind es diesmal Surrealistinnen von Meret Oppenheim über Louise Bourgeois bis Frida Kahlo (13.2.).

Nachdem Kris Lemsalu 2018 auf der Biennale di Venezia im Estland-Pavillon mit fantastischen Welten aus Keramik begeisterte, widmen ihr die Kunst-Werke in Berlin eine Soloschau (29.3.).

Die Fondation Louis Vuitton zeigt in Paris Cindy Sherman (1.4.), das K20 in Düsseldorf die Minimalistin Charlotte Posenenske (4.4.), das MoMA Niki de Saint Phalle (5.4.), der Hamburger Bahnhof die Berliner Malerin Katharina Grosse (24.4.), die Berlinische Galerie schließlich Alicja Kwade (1.4.), das Kunstmuseum Basel Isa Genzken (6.6.), das Whitney Museum in New York Julie Mehretu (26.6.). Sie alle sind Größen des westlichen Kunstbetriebs.

Gropius Bau für Diversität

Die bereits 2018 in Düsseldorf, München und Berlin ausgegebene Losung „Museum global“ wird auch im neuen Jahr nicht eingelöst. Dafür macht der Gropius Bau vor, was sich die Museen an kultureller Vielfalt eigentlich vorgenommen hatten.

Mit der Retrospektive von Yayoi Kusama landet das Ausstellungshaus einen Coup (4.9.). Zuvor sind der in Berlin lebende nigerianische Fotograf Akinbode Akinbiyi (7.2.), der taiwanesische Konzeptkünstler Lee Mingwei mit seinen Ritualen des Schenkens (27.3.), schließlich die Nigerianerin Otobong Nkanga (30.4.) zu sehen.

Der Gropius Bau bereitet sorgfältig auf, was auf Biennalen bereits zu sehen war, in den Institutionen aber häufig noch nicht angekommen ist.

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Sie ringen um ihr Selbstverständnis im 21. Jahrhundert. Mehr denn je, seit im September auf der Generalkonferenz des Internationalen Museumsrates in Kyoto die Neudefinition des Begriffs Museum doch nicht verabschiedet wurde.

Einige nationale Komitees, darunter die deutsche Sektion, hatten interveniert, da sie eine Politisierung befürchteten. Die bisherigen Aufgaben Sammeln, Bewahren, Forschen, Vermitteln könnten an Bedeutung verlieren, so die Sorge, wenn das Museum zum Ort des kritischen Dialogs erklärt werde.

Nun geht es um eine erneute Überarbeitung der Definition. Ende Januar treffen sich Kritiker und Befürworter im Jüdischen Museum zu einer Diskussion.

Auch das Klima ist ein großes Thema

Dabei gibt es längst weitere Herausforderungen an die Museen. Sie sollen nicht nur ihre Ausstellungen divers und global konzipieren, sondern auch noch umweltfreundlich agieren. Kunsttransporte, Ausstellungsarchitekturen, Klimatisierung – all dies schlägt sich in ihren CO2-Bilanzen wenig positiv nieder. Nachhaltigkeit sieht anders aus. Wie mit diesem Widerspruch umgehen?

Außerdem ist aus den Vereinigten Staaten die Diskussion um das „Whitewashing“ durch Sponsoren herübergeschwappt. Der Fotografin Nan Goldin ist es durch ihren ansteckenden Protest gelungen, dass Museen wie das Metropolitan und das Guggenheim in New York, der Louvre in Paris und die Tate in London ihre Förderverträge mit dem Pharmakonzern Sackler aufkündigten.

In der Kritik stehen als weitere Sponsoren der Ölkonzern BP (British Museum, National Portrait Gallery) sowie die Waffenhersteller Beretta (Biennale di Venezia) und Koc (Istanbul-Biennale).

Auch die Festivals sind im Fokus

Moralische Standards spielen eine stärkere Rolle. So erklärte Hito Steyerl, die 2015 im deutschen Pavillon in Venedig ausstellte, dass sie ihre Kunst nicht mehr in Institutionen des Bundes zeigen werde, solange Deutschland Waffen an die Türkei liefere.

Die Frage nach ihren Sponsoren werden sich auch die vielen anderen Biennalen gefallen lassen müssen, die 2020 wieder stattfinden, ob in Lahore (26.1.), auf der Architektur-Biennale in Venedig (23.5.), der Bukarest-Biennale (28.5.) oder der europäischen Wander-Biennale Manifesta, um nur einige wenige zu nennen. Schöne Ausstellungen machen und Preise vergeben, so einfach geht es heute nicht mehr.

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