zum Hauptinhalt
2016 wurde Brasilien von Protesten gegen die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff erschütterten.

© Ueslei Marcelino/Reuters

Brasilien-Roman: „So enden wir“: Die Wut der Verzweiflung

Der brasilianische Autor Daniel Galera beschreibt in seinem Millennial-Roman „So enden wir“ die geplatzten Träume einer ganzen Generation.

1999 war der „Millennium-Bug“ das globale Schreckgespenst, zur Jahrtausendwende wurden Computerabstürze und Katastrophenszenarien prophezeit. Daniel Galeras Roman „So enden wir“ dreht sich genau um diese Zeit, 14 Jahre nach der Jahrtausendwende trifft sich eine Gruppe Freunde erstmals wieder. Der Grund dafür ist tragisch: Einer von ihnen, Duke, die vielversprechende Stimme der brasilianischen Literatur und genialer Kopf ihrer ehemaligen Internet-Zeitschrift, wurde bei einem Überfall getötet.

Von einer Endzeitstimmung wollten sie damals nichts wissen, schließlich waren sie die Helden der späten neunziger Jahre, drei junge Männer und eine junge Frau: digitale Bohemiens, Poetik-Terroristen und Anführer der Internet-Revolution. „Diese Leute waren etwas Besonderes, die Speerspitze einer neuen Generation, die sich das Internet und die wirtschaftliche Stabilität zunutze machen würde, um mehr zu sein als Punker-Papasöhnchen, suburbane Grunge-Kids, die sich die eigene E-Gitarre auf den Kopf hauten, oder Nerds mit vollgewichster Jogginghose“, erinnert sich Emiliano.

15 Jahre später ist diese potente Gegenwart in weite Ferne gerückt. Viel ist passiert seit der Jahrtausendwende: Träume und die Dotcom-Blase sind geplatzt, Skype, Twitter, Facebook und Tumblr lösten ICQ und MySpace ab, eine Frau regiert das Land, das paralysiert ist vom Petrobras-Skandal und den Protesten gegen eine viel zu teure Fußball-WM.

Eine Zukunftsvision ist in Einzelperspektiven zerstreut

In dieser Stimmung lässt der 1979 in São Paulo geborene Galera die drei verbliebenen Freunde am Grab von Duke wieder aufeinandertreffen. Die Figuren sind durchaus überzeichnet: Da ist Antero, die „Ruine eines Sexsymbols“ und Gründer einer millionenschweren Werbeagentur. Oder Aurora, ehrgeizige Biologin und einsame Weltverbesserin, die mit Machismo an der Uni und lähmenden Gedanken an die Überbevölkerung der Erde zu kämpfen hat. Und der Journalist Emiliano, der an der Biografie seines verstorbenen Freundes schreibt.

Die einst gemeinsame Zukunftsvision ist in Einzelperspektiven zerstreut. Episodenhaft geben die drei Protagonisten in „So enden wir“ Einblicke in das Brasilien nach der Jahrtausendwende. Vom Karikaturhaften der Figuren muss man beim Lesen bisweilen absehen, Galera, der als wichtige Stimme der neuen brasilianischen Literatur gilt, erweist sich in seinem fünften Roman vor allem als atmosphärischer Erzähler. Er fängt die Stimmung in den brasilianischen Städten ein, die kurz vor dem Bersten zu stehen scheinen. Der Roman ist durchzogen vom Gefühl einer bevorstehenden Apokalypse.

Zwischen Nihilismus und dröhnender Ablenkung

Galera hat selbst um die nuller Jahre ein Onlineportal betrieben, auf dem er mit Freunden experimentelle Texte veröffentlichte. Mit eindringlichen, wenn auch gelegentlich überzogenen Bildern erzählt sein Roman die Geschichte dieser brasilianischen Millennials, deren Visionen von einstürzenden Zwillingstürmen und der Realität der Globalisierung eingeholt wurden. Eine Generation musste sich entscheiden zwischen bekennendem Nihilismus und dröhnender Ablenkung.

Nicht frei von Klischees schildert „So enden wir“ die Absurdität eines von Virtual Reality und Sexting geprägten Lebens. Die Stärke des Romans liegt dabei weniger in den Personenzeichnungen, aber Galera hält die Stimmung einer desillusionierten Generation fest, die es gewohnt ist, dass Haltungen und Meinungen eine kurze Halbwertszeit haben. So nimmt die Erzählung im Zeitraffer den gesamten Wandel der vergangenen 15 Jahrein Technologie, Politik, Gesellschaft, Netzkultur sowie im zwischenmenschlichen Miteinander mit. Galera führt das Denken einer stets getriebenen und dabei um ihre Visionen betrogenen Jugend vor, die 15 Jahre später innehält und plötzlich realisiert, dass sie ihr Leben vergeudet hat. Was liegt noch vor ihnen, abgesehen von Verdammnis?Sarah Murrenhoff

Daniel Galera: So enden wir. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai von Schweder-Schreiner, Suhrkamp 2018, 232 Seiten, 22 €

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false