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Aufstand proben. Lia Rodrigues erarbeitete „Fúria“ in einer Favela.

© Sammi Landweer

Brasilianisches Tanztheater: Wut als Motor

Lia Rodrigues und Marcelo Evelin spiegeln in neuen Choreografien die Situation ihrer brasilianischen Heimat. Jetzt gastieren sie in Berlin.

Von Sandra Luzina

Sie stehen für das andere Brasilien: Lia Rodrigues und Marcelo Evelin gehören nicht nur zu den bekanntesten Choreografen ihres Landes, sondern auch zu den radikalsten. Beide verstehen ihre Arbeiten auch als politisches Statement und haben schon immer Position bezogen gegen Rassismus und Ausgrenzung. Ihre neuen Arbeiten „Fúria“ (deutsch: Wut) und „A Invenção da maldade“ (Die Erfindung der Boshaftigkeit), die sie nun im HAU zeigen, sind beide in einem Moment des historischen Umbruchs entstanden: während beziehungsweise nach der Präsidentschaftswahl im vergangenen Oktober, aus der der Rechtspopulist Jair Bolsonaro als Sieger hervorgegangen ist. Ein direkter Kommentar zum Rechtsruck in Brasilien sind die Performances nicht, eher ein Aufschrei und ein Akt des Widerstands.

Bolsonaro hat schon am zweiten Tag nach seiner Amtseinführung das Kulturministerium abgeschafft, berichtet Evelin. „Das war sehr symbolisch. Er will uns mundtot machen. Kunst und Kultur sind etwas Gefährliches für diese Regierung.“

Evelin pendelt zwischen Europa und Brasilien. Das neue Stück wollte er aber unbedingt in seiner Heimatstadt Teresina erarbeiten. Teresina ist die Hauptstadt des Bundesstaates Piauí im Nordwesten, wo mehrheitlich links gewählt wurde. Es ist eine arme Stadt. „Ich wollte alle Beteiligten in eine prekäre Situation bringen“, erzählt Evelin. Der Choreograf wird zwar wie auch Lia Rodrigues von einer Reihe von europäischen Koproduzenten unterstützt, doch für dieses Projekt hat er sogar eine kleine Förderung von der brasilianischen Bank Itaú erhalten. Die Premiere fand in seinem bescheidenen Studio in Teresina statt, die Resonanz war sehr gut. Doch Evelin bezweifelt, dass er sein Stück wieder in Brasilien wird zeigen können. „Ich arbeite mit nackten Körpern. Das ist ein großes Tabu in dieser Regierung.“

Eröffnet wird sein Stück von einer schwarzen Tänzerin. „Das ist ein Statement“, so Evelin. Die brasilianische Gesellschaft sei immer noch zutiefst rassistisch. Doch auch die homophoben Ausfälle von Bolsonaro findet er beängstigend. Das sei keine bloße Rhetorik, so Evelin. „Es hat einen großen Einfluss auf die Gesellschaft. Denn er legitimiert die Gewalt gegen Minderheiten. Er sagt, es ist in Ordnung, Transsexuelle zu töten.“

Er ist sich nicht sicher, ob er weiterhin in Brasilien arbeiten wird. „Ich bin gespalten“, sagt er. Ich finde es notwendig, hier zu bleiben und Widerstand zu leisten als Künstler, aber ich habe auch Angst. Denn die Situation wird mit jedem Tag schlimmer.“ Doch Marcelo Evelin wirkt keinesfalls resigniert, sondern kämpferisch: „Das Wichtigste an meinem Stück ist: Es will andere Möglichkeiten aufzeigen.“

Dass sich die Lage auf dramatische Weise verschärft hat, bestätigt auch Lia Rodrigues. „Wir sind umgeben von Wut“, sagt sie. „Ausgelöst hat sie der Präsident.“ Die neue Regierung schüre den Hass gegen Transsexuelle, Frauen und Schwarze, sie greife die Kunst und Kultur an, zerstöre die Umwelt. „Sie bekämpft all die Werte, die wichtig sind für eine demokratische Gesellschaft.“ Die emotional aufgeladene Situation in Brasilien, aber auch in Europa hat ihr Stück beeinflusst. Und so werden in „Fúria“ nun die Furien entfesselt, das Unkontrollierbare, Zerstörerische der Wut wird hier auf körperliche Weise zum Ausdruck gebracht. Doch auch die andere, die kreative Seite dieser Affekte will sie sichtbar machen: „Wut kann dich motivieren, etwas zu erschaffen oder weiterzugehen.“

Privilegien teilen

Lia Rodrigues verknüpft schon länger künstlerisches Arbeiten mit sozialem Engagement. Seit 2004 arbeitet sie mit ihrer Companhia de Danças in Maré, einer der härtesten Favelas von Rio de Janairo. Mit Unterstützung der Selbsthilfe-Organisation „Redes da Maré“ renovierte die Gruppe ein leerstehendes Lagerhaus und etablierte dort ein Ausbildungs- und Probenzentrum . Einige der Jugendlichen aus der Favela, die ihre Tanzschule besucht haben, tanzen auch in „Fúria“ mit. Die Entscheidung, in die Favela zu gehen, hat sie nie bereut: „Ich lerne so viel von den Menschen in der Favela. Denn sie finden immer wieder Wege, zu überleben.“ Auch die Ästhetik ihrer Stücke ist von den Konditionen in Maré geprägt, wenn sie etwa Materialien von dort einbezieht. Genauso leitet sie die Ethik aus ihren Erfahrungen in der Favela ab: „Wenn ich zusammen mit den Tänzern ein Stück erarbeite, geht es uns auch darum, das Edle des Menschen zu zeigen.“ So finden sich in „Fúria“, das sie nur Dank der Unterstützung ihrer europäischen Partner realisieren konnte, Momente der Schönheit, wenn es um Formen des Zusammenseins gehe.

Sie baue darauf, dass es in Brasilien schon immer starke Widerstandsbewegungen gegeben habe, erklärt Rodrigues am Ende des Gesprächs. Ob Kunst eine Form des Widerstands darstelle, sei für sie derzeit nicht vorrangig. Sie konzentriere sich stark auf konkrete Aktionen, auf die Dinge, die wichtig seien nicht für sie als Künstlerin, sondern für die Gesellschaft. „Ich bin eine weiße Frau aus der Mittelklasse, ich bin in einer sehr privilegierten Position“, sagt Lia Rodrigues, „und diese Privilegien will ich mit anderen teilen“.

„A invenção da maldade“: 7.5., 19 Uhr, HAU 1, „Fúria“, 7.5., 20.30 Uhr, HAU 2

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