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Gefangen in der Plexiglasblase: Brad Pitt als einsamer Astronaut Roy McBride.

© 20th Century Fox

Brad Pitt in „Ad Astra“: Das Herz pulsiert in der Schwärze des Alls

Ödipus im Weltraum: In „Ad Astra - Zu den Sternen“ muss Astronaut Brad Pitt sehr weit reisen, um seinem Vater nahe zu kommen.

Der Weltraum war schon für ein paar grandiose Irrwege gut. Aber selten musste einer, um einen Fehler einzusehen, so weit reisen wie der Astronaut Roy McBride. Bis zu den Ringen des Neptun ist er im Science-Fiction-Epos „Ad Astra - Zu den Sternen“ von James Gray unterwegs, wo zwischen den Trümmern des Asteroidengürtels das Schiffswrack seines Vaters treibt. Der brach einst auf, da war Joy noch ein Kind, um am Rand des Sonnensystems nach außerirdischer Intelligenz zu suchen. Zu Hause wird er dafür als Held verehrt. Ein unantastbares Denkmal des Fortschritts.

Aber ein Vater sollte seinem Kind nahe sein. Meistens ist er es nicht, weil ihm „die Mission“ wichtiger erscheint als die Familie. Aus dieser Störung entwickelt Hollywood einen Gutteil seiner dramatischen Stoffe, zuletzt das Neil-Armstrong-Biopic "Aufbruch zum Mond". Am Vater-Kind-Konflikt lässt sich das Kernthema einer infantilen Gesellschaft wie den USA herausschälen: die Frage, wie Autorität über ein an sich grenzenlos freies Geschöpf gewonnen werden kann, das Amerikaner ist. Wem unterwirft es sich? Die Antwort: Niemandem, der es nicht in die Freiheit entließe – die exklusive Aufgabe einer Vaterfigur.

In Christopher Nolans Space-Drama „Interstellar“ katapultiert ein Wurmloch den Heldenvater auf die andere Seite der Galaxie. Ferner kann man dem, was man liebt, wohl nicht sein, als in diesem parallelen Raumzeitkontinuum. Dennoch morst er seiner Tochter von dort aus die Formel, die den wissenschaftlichen Durchbruch zur Umsiedlung der Erdbevölkerung bringen wird. Daddy ist eben kein schlechter Kerl, wenn er auch gerade ziemlich unerreichbar in den Tiefen des Raumes verschwindet.

Brad Pitt nennt die Arbeit am Film „Therapie“

Dass ausgerechnet familiäre Bande über kosmische Distanzen hinweg wirksam bleiben, ist eine kühne Behauptung. Warum Brad Pitt sich als Produzent seines eigenen Raumfahrer-Debüts für sie erwärmen kann, erklärt sich wohl durch die prekäre Situation, in die ihn die Scheidung von Angelina Jolie 2016 gebracht hat. Mit Jolie hat er sechs gemeinsame Kinder. Distanz und Nähe sind jetzt ein Thema für ihn. So breitet der 55-Jährige in der Rolle Roy McBrides das Innenleben eines Menschen aus, der sich fokussiert und verschlossen gibt, aber in Flashbacks an das Scheitern seiner Ehe erinnert. Er war schon, so die reichlich plakative Lesart, im Ehebett unerreichbar für seine Frau (Liv Tyler), die eines Tages wortlos geht. „Ich sollte etwas empfinden“, sagt er bei einem psychologischen Screening. Pitt selbst bezeichnet die Arbeit an „Ad Astra“ als „Therapie“.

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Regisseur und Drehbuchautor James Gray folgt in seinem komplizierten Plot derselben paradoxen „Interstellar“-Logik, wonach man besonders weit raus muss, um bei seinen Nächsten anzukommen. Die Erde wird anfangs von Antimateriewellen tyrannisiert, die aus dem All wie Stromschläge niederfahren. Kraftwerke gehen hoch, die elektrische Infrastruktur kollabiert. Und McBride Junior, der durch eine Luftschleuse ins Freie tritt, sieht über sich einen gigantischen Turm explodieren, sodass ihm nur der Absprung bleibt. Der spektakuläre Sturz ist der erste einer Reihe von Stunts aus dem Mission-Impossible-Repertoire, der „Ad Astra“ mehr zu einem kosmischen Thriller denn zu einer Odyssee macht.

Reminiszenzen an „2001“ und „Solaris"

Da es sich bei dem geheimnisvollen Antimaterie-Bombardement um Signale des seit Jahren verschollenen Vaters handeln soll, braucht die NASA nun seinen Sohn, um Kontakt mit dem Totgeglaubten aufzunehmen. Der besseren Verbindung wegen soll Roy zum Mars fliegen. Weil er den frühen Vaterverlust so vorbildlich in ein Pflichtprogramm verwandelt hat, erkennt er spät, dass der Auftrag eine Falle ist. Die Reise führt nämlich ins Herz einer Finsternis, das diesmal in der dunkelsten aller Wildnisse pulsiert: dem All.

„Ad Astra“ lässt offen, ob Clifford McBride (Tommy Lee Jones) seinen Verstand tatsächlich verloren hat oder ob es sich nur um eine Verschwörungstheorie der Raumfahrtbehörde handelt, die um ihren Ruf fürchtet. Damit spielt der Film auf derselben psychologischen Klaviatur wie Kubricks Klassiker „2001“ und Tarkowskis Gegenstück „Solaris“, in denen die Entdecker schließlich ihren eigenen Dämonen begegnen, die sie als physische Realität begreifen.

[In 21 Berliner Kinos (auch OV); OmU: Delphi Lux, FT Friedrichshain, Kulturbrauerei]

In der Zukunft sind Orbitflüge Routine

James Gray hat in seiner wechselhaften Hollywood-Karriere schon einige Genrefilme mit dem für ihn typischen schleppenden Tempo des Schicksals inszeniert. Heraus sticht das Historiendrama „The Immigrant“ von 2016 mit seinem Gefühl für Sepia und Schatten und den traurigen Augen von Marion Cotillard. Auch „Ad Astra“ reiht sich da mit seiner niedrigen Schnittfrequenz und dem gemächlichen Puls der Schwerelosigkeit ein. Nirgends Hysterie, kein Horror vacui, stattdessen zeigt Gray die Routinen einer Weltraumlogistik, die sich an transorbitale Flüge gewöhnt hat. Das entfaltet in seiner episodischen Konsequenz durchaus einen eigenen Sog, der noch stärker ausfiele, würde Gray sich nicht ständig bei bekannten Mustern bedienen. So weiß man nach „Alien“ genau, was passieren wird, wenn McBrides Shuttle auf dem Weg zum Mars das Notsignal eines havarierten Raumtransporters empfängt und er sich zu einer Inspektion entschließt.

Science-Fiction-Filme sind keine futuristischen Gedankenexperimente mehr, in denen sich das Kino eine Gesellschaft jenseits ihres Zeithorizonts vorstellt. So groß denkt man heute nicht, sondern nutzt den unendlichen Raum bloß als Kulisse für Kammerspiele der Entfremdung. „Ad Astra“ ist dafür ein sehenswertes Beispiel. So viel sei vom Ende verraten: Vater und Sohn umkreisen einander im Schmerz, jeder gefangen in seiner Plexiglasblase. „Ich werde mich auf das Beast verlassen", sagt Pitt und meint das „Beast“, das er selbst ist.

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