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Seitenblick. Todd Haynes’ „Carol“ (Cate Blanchett) liebt eine Frau. Foto: Filmfestival Cannes

©  Filmfestival Cannes

Bonjour Cannes (7): Was Frauen wollen

Ein zentrales Thema beim 68. Filmfest in Cannes ist Mut und Einsamkeit der Frauen - eindrucksvoll auf Leinwand inszeniert von männlichen Regisseuren, wie in den neuen Filmen von Nanni Moretti und Todd Haynes.

Institutionen, die ein Problem nicht flott in den Griff kriegen, bilden bekanntlich einen Ausschuss. Das Zauberwort, das Filmfestivals für solche Fälle wählen, heißt Panel. Insofern ist Cannes-Chef Thierry Frémaux, genervt von der stets pünktlich zu Festivalstart neu entflammenden Gender-Debatte, gewiss reichlich erleichtert, dass die großen US-Branchenblätter dieser Tage Schauspielerinnen und Produzentinnen einen eigenen Klageraum einrichten. So prangerte Salma Hayek am vergangenen Wochenende auf einem „Variety“-Podium die – auch finanziellen – Vertragsprivilegien männlicher Hollywood-Stars an, während Isabella Rossellini im „Hollywood Reporter“-Debattenzelt zu bedenken gab, wie schwierig der Schauspielerinnenjob mit der Familie zu vereinbaren sei. Und die französische Produzentin Claudie Ossard? „Ich habe keine Kinder. Meine Kinder sind meine Filme.“

Wie viel Mut und wie viel Einsamkeitsbereitschaft es Frauen abverlangt, sich beruflich und privat gegen Widerstände und Vorurteile durchzusetzen, ist auf dem 68. Filmfest in Cannes auch höchst eindrucksvoll auf der Leinwand zu besichtigen – in Filmen von männlichen Regisseuren. Nanni Moretti, der große Autobiograf des italienischen Kinos, hat für die cineastische Trauerarbeit nach dem Tod seiner Mutter eine besonders reizvolle – und zeitgemäße – Verkleidung gewählt. Heldin von „Mia madre“ ist die Filmregisseurin Margherita (Margherita Buy), die gerade in einem extrem schwierigen Dreh steckt, als ihre Mutter (Giulia Lazzarini) unheilbar erkrankt. Moretti selbst spielt, demonstrativ diskret, Margheritas untadeligen Bruder, der die Hauptarbeit der Sterbebegleitung übernimmt.

"Mia madre": ein unsentimentales Frauenporträt

„Mia madre“ wechselt in sublimer Schwerelosigkeit zwischen den Schauplätzen Krankenhaus und Filmset und ergründet gelassen und genau das Lebensvakuum Margheritas. Am Set nervt ein so egozentrischer wie talentfreier US-Schauspieler (grandios komisch: John Turturro), der als neuer Fabrikeigentümer einer Belegschaft von Streikenden gegenübersteht, privat schickt Margherita ihren Lover weg und verliert leise die Verbindung zu ihrer heranwachsenden Tochter. Deren Vater immerhin, von dem die Regisseurin lange geschieden ist, fungiert als solider Hintergrund. Die alte Mutter mag friedlich dahinsterben; nachdrücklicher widmet sich Moretti der leisen Erosion, ja, der seelischen Aushöhlung der doch mitten im Leben stehenden Margherita. Ein gefühlvolles und doch wunderbar unsentimentales Frauenporträt vor fragilem Familienhintergrund hat Nanni Moretti da geschaffen und darin Figuren aus drei Generationen in beiläufig würdevoller Erwachsenheit vereint.

Todd Haynes verfilmt mit "Carol" den einzigen autobiografischen Roman von Patricia Highsmith

Der Amerikaner Todd Haynes („Velvet Goldmine“, „Far From Heaven“, „I’m Not There“) dagegen konzentriert sich in seinem ersten Film seit acht Jahren ganz auf eine reiche New Yorkerin, deren Ehe und Familie bereits in Scherben liegt. Mit ihrem Mann, einem groben Geldmenschen (Kyle Chandler), hat Carol (Cate Blanchett) eine kleine Tochter. Tatsächlich aber liebt sie Frauen – und lesbische Liebe ist im Amerika der frühen fünfziger Jahre absolut tabu. Vor zwei Jahren eroberte Abdel Kechiche mit seinem in jeder Hinsicht explosiven, in der Gegenwart spielenden Lesben-Film „La vie d’Adèle“ (Blau ist eine warme Farbe) die Goldene Palme im Sturm. Nun folgt mit „Carol“, nach dem einzigen autobiografischen Roman von Patricia Highsmith („Salz und sein Preis“, 1952 unter Pseudonym veröffentlicht), die Implosionsvariante – nicht minder wirkungsvoll. Highsmith arbeitete als Verkäuferin in einem Kaufhaus in Manhattan, als sie sich schriftstellerisch die Beziehung zu einer geheimnisvollen Kundin erträumte.

Über Weihnachten und Silvester nimmt Carol die junge Therese (Rooney Mara) mit auf eine Autoreise nach Westen – die prototypisch amerikanische Flucht ins Wesentliche. Die beiden Frauen lernen sich behutsam kennen und, nach der Rückkehr fast getrennt, noch behutsamer zueinander zu bekennen. Wie bei Todd Haynes nicht anders zu erwarten, ist „Carol“ ein untadeliges period piece und schon deshalb ein Fest des visuellen Stils. Den Rest besorgen eine scheinbar gemächliche und dabei perfekt durchrhythmisierte Dramaturgie und das Zusammenspiel der Blicke, Gesten, Bewegungen und Näherungen zwischen Blanchett und Mara, die hochspannend von gesellschaftlich umstellter verbotener Liebe erzählen. Nur die Sexszenen wirken, anders als in „La vie d’Adèle“, merkwürdigerweise nicht wie der Beweis einer Befreiung, sondern wie eine Konzession an die Softporno- Sehgewohnheiten des späten 20. Jahrhunderts. Dabei hätte es hier doch locker genügt, mal bloß die Schleife des Bademantels zu lösen.

Expliziter und richtig laut erzählt die 39-jährige Französin Maiwenn Le Besco, die ihren Vornamen zum Künstlernamen gemacht hat, in „Mon roi“ von einer amour fou, die in eine verrückte Ehe mündet. Die Anwältin Tony (Emmanuelle Bercot) verliebt sich in den reichen Macho-Gastronomen Georgio (Vincent Cassel), wird von ihm schwanger, heiratet ihn, lässt sich mitsamt Kind von ihm ausquartieren, kriegt mit, wie ihr Mann fremdgeht und gepfändet wird und kokst und und und – und kommt auch jenseits der Scheidung zehn Jahre nicht von ihm los. Chronologisch ruckeln diese Rückblenden des Martyriums an eine Rahmenhandlung heran, in der Tony – nach einem Skiunfall – in einer tollen Reha-Klinik am Meer die verkorkste Liebe zu ihrem „König“ rekapituliert. Das Schauspielerpaar agiert stark, aber ihren Exorzismus einer fatalen Attraktion erzählt Maiwenn geradezu nervtötend konventionell. Besser, die Anwältin Tony hätte sich schon viel früher einen Anwalt genommen. Oder noch besser: eine Anwältin.

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