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Kultur: Body-Bilder

Zum Tod des Pop-Artisten Richard Hamilton

Schuld war ein Lutscher. Richard Hamilton klebte ihn 1956 in seine Collage eines fröhlichen Paars im spießigen Wohnzimmer und nahm damit ein Jahrzehnt der Kunst vorweg. „Pop“ stand auf der übergroßen Süßigkeit, gehalten wurde sie von einem fast nackten Bodybuilder, den der britische Künstler aus einem Magazin ausgeschnitten hatte. Auch diesen Trick machte eine nachfolgende Generation zum gestalterischen Prinzip – die Verknüpfung absurder, trivialer Motive, die keinesfalls einen Sinn ergeben. Aber gut zusammen aussehen.

„Was ist es nur, was das Zuhause von heute so anders, so ansprechend macht?“, fragte Hamilton im Titel seiner Arbeit, die als Plakat der Londoner Ausstellung „This is Tomorrow“ gedacht war. Eine Antwort gaben die Kollegen aus den USA. Andy Warhol, James Rosenquist, Roy Lichtenstein, Mel Ramos: Für sie waren Hamiltons Bild(er)findungen der Auftakt einer epochalen Strömung, die mit leichter Verzögerung zurück nach Europa schwappte. Kritiker verpassten ihr das Label Pop-Art und bezogen sich damit auf jene Collage, mit der Hamilton als 34-Jähriger beiläufig den Begriff prägte. Dem Künstler, der ab 1940 technisches Zeichnen, Malerei und Radierung in London studierte, um schließlich selbst am Fine Art Department der University of Durham zu lehren, dürfte das missfallen haben.

Seine Kritik galt der abstrakten Malerei nach 1945, die den Alltag ignorierte. Hamilton hielt das für falsch, holte die figurative Erzählung in die Kunst zurück – und mit ihr auch die Konsumprodukte seiner Zeit. Die Sujets gerieten absurd, ironisch und so disparat, wie Hamilton die Welt um sich herum empfand. So viel Zeitgeist verlangte nach einer adäquaten ästhetischen Sprache, weshalb sich der Künstler erst gar nicht mit langwieriger Pinselarbeit aufhielt. Wozu noch malen, wenn einem die schönsten Reproduktionen zur Verfügung stehen? Gleichzeitig verlagerte Hamilton den Anspruch der Kunst, die „flüchtig, witzig, trickreich und glamourös" sein sollte. Dass sie dabei ihren intellektuellen Anspruch nicht aufgeben muss, erwähnte er nicht – wohl, weil er das für selbstverständlich hielt.

Manche Pop-Artisten haben es dennoch missverstanden und verließen sich auf die maximale Wirkung der Oberfläche. Hamilton dagegen experimentierte weiter, ließ sich nicht festlegen und ist den Adepten bis heute um einiges voraus. Seine Arbeiten, die sich kritisch mit Massenmedien und Konsumgesellschaft auseinandersetzen, wirken auch jetzt noch frisch, obwohl die Pop-Art längst Kunstgeschichte ist. 1992 zeigte die Tate Gallery in London eine Werkschau, 2003 das Museum Ludwig in Köln. 2013 ist die nächste große Schau in London geplant, die als Wanderretrospektive um die Welt wandern soll. Der Künstler kann sie nicht mehr betreuen – am Dienstag ist er mit 89 Jahren gestorben. Christiane Meixner

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