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Wolf, Schatz und Retzlaff. Sebastian Blomberg, Thorsten Merten und Michael Wittenborn (v.l.) als BND-Agenten.

© Sten Mende

BND-Schelte in Politsatire "Curveball": Wir machen die Fakten

Berlinale Special: Johannes Naber zeigt in seiner Agentensatire „Curveball“, wie der Bundesnachrichtendienst vor dem Irakkrieg versagte.

Thema, Thema, Thema. Das ist Johannes Nabers wichtigstes Kriterium beim Filmemachen. Dafür stehen die beißende Wirtschaftsberater-Satire „Zeit der Kannibalen“ und das jahrelang recherchierte Migrantendrama „Der Albaner“. Sogar sein letzter Film, die dekorative Märchenverfilmung „Das kalte Herz“ kam kapitalismuskritisch daher.

„Ein Ausreißer“, kommentiert Naber achselzuckend den Ausflug ins als Kind geliebte Fantasy-Genre. Drei Spielfilme hat der gelernte Dokumentarfilmer und langjährige Oberbeleuchter bisher aufzuweisen. Alle haben Preise gewonnen. Und auch mit der Politfarce „Curveball“ hat der Berliner Regisseur mehr im Sinn, als nur das Publikum zu amüsieren.

Die Berlinale führt den Film jetzt ohne Titel

Am Premierentag ist um den Filmtitel allerdings ein von einer amerikanischen Filmfirma angestrengter Rechtsstreit entbrannt. Deswegen läuft die Komödie nach einer einstweiligen Verfügung jetzt titellos auf der Berlinale. Mit „Curveball“ will Naber einen unterbelichteten Skandal zurück auf die Tagesordnung bringen, ja sogar eine Diskussion über die Rolle des Bundesnachrichtendienstes bei der Legitimierung des Irak-Kriegs anstoßen.

„Hier herrscht ein falsches Bild, eine idealisierte Vorstellung darüber, wie wir Deutschen in der Welt operieren“, sagt er. Es gelte, der Wahrheit auf die Sprünge zu helfen und Fragen an Geheimdienste und damals verantwortliche Politiker wie Joschka Fischer, Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier zu stellen.

„Damit die Kinder in der Schule nicht mehr beigebracht bekommen, dass wir in Sachen Irak-Krieg die Guten waren.“ Das kann nach Nabers zuerst breit recherchierter und dann fiktionalisierter Aufbereitung des bodenlos-banalen Falls „Curveball“ keiner mehr glauben.

Mann mit Thema. Der Berliner Regisseur Johannes Naber.
Mann mit Thema. Der Berliner Regisseur Johannes Naber.

© Gudrun Schoppe

„Curveball“ lautet der Deckname des Irakers Rafid Alwan (Dar Salim), der 1999 als Asylbewerber nach Deutschland kommt. Im Gegenzug für die deutsche Staatsbürgerschaft empfiehlt er sich dem Bundesnachrichtendienst als Chemieingenieur, der Kenntnisse über Saddam Husseins Biokampfstoff-Fabrikation besitze.

Das Angebot elektrisiert den BND-Biologen Wolf (Sebastian Blomberg), der zuvor vergeblich im Irak nach Beweisen für die Herstellung des Nervengiftes Anthrax gesucht hatte.

Die Pannentruppe aus Pullach will auch mal punkten

Angestachelt von seinem Vorgesetzten Schatz (Thorsten Merten) und beneidet vom bisherigen „Quellenführer“ Retzlaff (Michael Wittenborn) versucht Wolf, dem Iraker Beweise zu entlocken. Die Pleiten-, Pech- und Pannentruppe aus Pullach will gegenüber dem amerikanischen CIA endlich auch mal punkten.

Als Alwan auf einer Serviette Saddams angebliche mobile Biowaffenlabore zeichnet, knallen beim BND die Korken und ein grotesker Pfusch der falschen Wahrheiten und Machtspielchen beginnt.

Ihr gruseliges Ende ist 2003 im Dokumentarmaterial zu sehen, das die Spielhandlung unmittelbar mit der Realität verknüpft. Da lässt US-Außenminister Colin Powell bei einer Rede im UN-Sicherheitsrat eine Grafik einblenden, die als Beweis für die irakische Aufrüstung dient. Sie sieht wie die Servietten-Zeichnung aus dem Besitz des BND aus. Einen guten Monat später beginnt der Irak-Krieg.

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Beim BND gebe es eine starke Sehnsucht nach Erfolgen, um auf internationalem Niveau mitspielen zu können, sagt Johannes Naber. Die fragwürdige Entstehungsgeschichte als „Organisation Gehlen“, mit der die Amerikaner die „Fremde Heere Ost“-Spionageabteilung der Nazis fortführten. Der Kalte Krieg, in dem der Wettstreit mit Ost-Diensten regelmäßig verloren wurde. Peinlichkeiten wie die Guillaume-Affäre. In seiner Auseinandersetzung mit dem Nachrichtendienst stieß Naber immer wieder auf einen großen Minderwertigkeitskomplex.

Joschka Fischer interessiert sich stark für die Geheimdienstarbeit

Dafür hat der 1971 geborene Filmemacher nicht nur Bücher, Interviews, Artikel und Dokumentationen studiert, sondern auch mit Insidern gesprochen. Nennen mag er diese Quellen abgesehen vom früheren BND-Präsidenten Hansjörg Geiger nicht.

Der habe ihm viel über die Herangehensweise der rot-grünen Regierung erzählt. „Besonders Joschka Fischer hatte großes Interesse zu erfahren, wie die arbeiten und was die machen können.“ Das sei für den von früheren Bundesregierungen häufig düpierten Dienst eine ganz neue Situation gewesen.

Pullacher Bruchlandung. Der irakische Informant Rafid Alwan (Dar Salim) und sein ehrgeiziger Quellenführer Wolf (Sebastian Blomberg) fliehen vorm CIA.
Pullacher Bruchlandung. Der irakische Informant Rafid Alwan (Dar Salim) und sein ehrgeiziger Quellenführer Wolf (Sebastian Blomberg) fliehen vorm CIA.

© Sten Mende

[Letzte Berlinale-Vorführung: 1.3., 22 Uhr (Friedrichstadtpalast), Kinostart ist wahrscheinlich im August 2020]

In „Curveball“ wirken die Agenten wie Angestellte der Stadtverwaltung, eine graublaue, aber in Gestalt des bauernschlauen Opportunisten Schatz auch gefährliche Truppe. Vielleicht ein bisschen zu deppert, um glaubhaft rüberzukommen. Oder sollte das womöglich Wunschdenken sein?

Nabers wohlmeinender Held Wolf, den Blomberg in einer lakonischen Mischung aus Verklemmtheit und verzweifeltem Mut spielt, ist ein scheiternder Idealist. Seine Verbindung zum CIA fällt in Gestalt der Agentin Leslie (Virginia Kull), mit der er im Irak eine Affäre hatte, zwischenmenschlich direkt aus.

Als die Amis „Curveball“ für sich reklamieren und als Kronzeuge für ihre 9/11-Rachepläne nutzen wollen, hält sie Wolf seine Wahrheitsliebe vor. „Die Wahrheit zählt nicht“, sagt Leslie, „Gerechtigkeit zählt.“ Darauf fragt Wolf, was ihr das Recht gebe, die Fakten zu verdrehen. „Wir machen die Fakten“, sagt Leslie.

Die Wahrheit löst sich auf und alle finden es normal

Diese auch von Amtsträgern wie Trump, Putin oder Johnson betriebene Praxis, will „Curveball“ zurückdrehen oder zumindest problematisieren. In Sachen Geheimdienst gehe die Gefahr aber nicht von einzelnen Personen aus, sondern von der Systematik des Geheimhaltens, dem Prinzip der Konspiration, glaubt Johannes Naber.

Wenn man über den Ursprung einer Information nicht Rechenschaft ablegen müsse, weil das angeblich aus Quellenschutzgründen nicht geht, sei der Schritt zur Manipulation ein sehr kleiner. „So wird das, was mal Wahrheit war, zur Ware.“

Oder wie Sebastian Blomberg am Ende des immer desillusionierenderen Filmspaßes, der „Curveball“ auch ist, aus dem Off sagt: „Die Wahrheit löst sich auf und alle finden es normal.“

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