zum Hauptinhalt

Kultur: Blut, Huren, Tod und Teufel

Sie inspirierten Nirvana und Radiohead: die Pixies veränderten die Independent-Welt. Nun treten sie wieder gemeinsam in Berlin auf

„Es geht mir gut, glaub mir“, sagt der Mann, der sich gerade eine Kugel durch den Kopf gejagt hat. Die Frau neben ihm ist erschüttert, aber ruhig. Er nimmt ihre Hand, und dann schauen sie aus dem Fenster. Draußen hat es gerade laut geknallt und nun stürzt auf der anderen Straßenseite ein Hochhaus nach dem anderen in sich zusammen. Während dieser Schlussszene von David Finchers Film „Fight Club“ (1999) schleicht sich ein Song heran: Eine Frau singt ein lang gezogenes „Uh-hu“ zu einer Akustikgitarre. Nach einem knallenden Auftakt des Schlagzeugs kommen Bass und E-Gitarre dazu, schließlich beginnt ein Mann mit leicht schräger Stimme zu singen. Es ist der Pixies-Songs „Where is my Mind“, der die apokalyptischen Filmbilder geradezu kongenial begleitet. Die letzte Zeile vor dem Abspann klingt wie ein sarkastischer Kommentar: „Your head will collaps and there is nothing in it“. Der Song passt so gut zu Finchers verstörendem Thriller, als sei er extra dafür geschaffen.

„Where is my Mind“ stammt aus dem Album „Surfer Rosa“, mit dem die Pixies 1988 ihre erste große Detonation in der Independent-Rockwelt auslösten. Ihre Mischung aus nervösen Rhythmen, schönen Melodien, Lärmeruptionen und exaltiertem Gesang schockierte und elektrisierte zugleich. Die Texte von Sänger, Rhythmusgitarrist und Songwriter Black Francis waren sehr physisch, was sich an Titeln wie „Bone Machine“, „Break my Body“ oder „Broken Face“ ablesen ließ. Die intensive Wirkung der meist kaum dreiminütigen Songs wurde durch eine interessante Stop-and-go-Struktur verstärkt: Auf eine langsame, leise Strophe folgte ein lauter, schnellerer Refrain. Dieses einfache, aber effektive Schema wurde einige Jahre später zum Genre-Standard, woran vor allem Nirvana großen Anteil hatten. So war Kurt Cobain bekennender Fan von „Surfer Rosa“ und erklärte, er habe beim Schreiben des Grunge-Hits „Smells like Teen Spirit“ versucht, die Pixies zu kopieren. Auch Johnny Greenwood von Radiohead sieht die frühen Platten seiner Band vor allem als Pixies-Cover-Alben.

Der kommerzielle Erfolg blieb dem Quartett aus Boston jedoch verwehrt. Von der Musikpresse gefeiert, war die Band vor allem in Großbritannien beliebt, wo sich auch ihre Plattenfirma 4 AD befand. Anders als in den USA schaffte sie hier mit ihrem zweiten Album „Doolittle“ den Sprung in obere Chart-Regionen. Eigentlich hätte dieses 1989 veröffentlichte Meisterwerk das Potenzial zum weltweiten Bestseller gehabt. Die 15 Songs klingen zugänglicher und poppiger als frühere Pixies-Werke. So sind die beiden Singles „Monkey gone to Heaven“ und „Here comes your Man“ wunderbar eingängige Mitsing-Nummern. „Hey“ ist ein Sehnsuchtslied von betörend-verstörender Kraft. Dass es nicht zum Radiohit geworden ist, gehört zu den großen Missverständnissen der Popgeschichte. Aber auch die wilde Seite der Pixies ist auf „Doolittle“ noch deutlich zu hören. So kreischt Black Francis mit der E-Gitarre von Joey Santiago um die Wette, und die Texte sind voller Blut, Huren, Tod und Teufel.

Das Zentrum der Pixies war von Beginn an Francis. Er und sein Freund Santiago brachen 1986 mit 21 Jahren ihre Collegeausbildungen ab und gründeten die Pixies. Per Zeitungsannonce suchten sie Musiker, die sowohl Hüsker Dü als auch Peter Paul & Mary mögen sollten. Bassistin Kim Deal war die einzige Interessentin. Sie wurde engagiert, genau wie David Lovering, den sie als Drummer vorschlug. Die Band probte in einer Garage, spielte in kleinen Clubs und nahm ein Demotape auf. Später folgte das Mini-Album „Come on Pilgrim“.

Francis war der Haupt-Songwriter der Gruppe. Doch der erste kleine Hit der Pixies, „Gigantic“, stammte von Kim Deal, die hier auch als Lead-Sängerin zu hören war. Anschließend drängte Francis sie wieder zurück an ihren Platz als Background-Sängerin und Bassistin. „Ich habe alles unter Kontrolle, ich bekomme mehr Geld als die anderen, ich gebe alle Interviews. Die Pixies sind meine Band“, hat er einmal gesagt. Santiago und Lovering kamen damit zurecht, Deal nicht. Zum Spannungsabbau formierte sie nach der erfolgreichen Tour zum „Doolittle“-Album ihre alte Band The Breeders neu und nahm mit ihr eine Platte auf. Derweil reiste Francis auf Solo-Tour durch die USA. Doch das war noch nicht das Ende der Pixies: Die Band brachte 1990 „Bossanova“ und 13 Monate später „Trompe le Monde“ heraus – beides gute Rockalben, die jedoch ein wenig hinter ihren Vorgängern zurückblieben. Nach einer US-Tour im Vorprogramm von U2 gab Black Francis Anfang 1993 die Auflösung der Pixies im Radio bekannt. Den Bandmitgliedern schickte er ein Fax. Unter dem Namen Frank Black startete er eine mäßig erfolgreiche Solokarriere. Kim Deal hingegen landete mit „The last Splash“, dem zweiten Breeders-Album, 1993 einen Treffer: Es verkaufte sich besser als Pixies-Alben, der Song „Cannonball“ ist bis heute ein Tanzflächenfüller.

Eine Wiedervereinigung der Pixies hatte Frank Black lange ausgeschlossen. Dass das Quartett seit Anfang 2004 doch wieder zusammen Musik macht, hat vermutlich finanzielle Gründe. Auch die Veröffentlichungen einer DVD und einer Best-of-Compilation deuten darauf hin. Sicher ist, dass die vier – trotz gelichtetem Haar und deutlich mehr Kilos – immer noch genug Energie haben: Die Kritiken von ihren Comeback-Konzerten in den USA und Kanada waren enthusiastisch.

Die Pixies spielen morgen, 18 Uhr, in der Kindl-Bühne Wuhlheide in Berlin. Vorprogramm: Ash und Franz Ferdinand.

Zur Startseite