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Kultur: Blumen für Anna

Dagmar Manzel und Barrie Kosky begehen „Die sieben Todsünden“ an der Komischen Oper.

Erst ist’s nur ein zittriger heller Fleck hoch oben an der Saaldecke, dann bricht sich der wandernde Scheinwerferkegel am Kronleuchter und pures Gold regnet vom Proszenium herab auf die Bühne der Komischen Oper, funkelnd, schillernd, tröpfchenweise. Ah! und Oh! und Pssst! macht das Publikum, weil’s gar zu schön aussieht und es noch gar so still und leer ist im Raum, so düster und fröstelig. Viel mehr als einen Flügel und einen anthrazitfarbenen Stückvorhang nämlich leistet sich dieser Abend mit Kurt Weills „Sieben Todsünden“ nicht (Ausstattung Esther Bialas) – und das ist an sich schon fulminant. Weil es mehr als genügt und urbanere, großstädtischere Gefühle auslöst als jedes andere Ambiente, in dem die Geschichte der beiden Annas erzählt werden könnte. Keine Ostküsten-Skyline, keine verschwiemelte Kaschemme, nur der dunkle lüsterne Magen eines Haifischs. Wo Mädchen aus der Provinz eben leicht landen, wenn sie in der großen weiten Welt Geld verdienen wollen.

Aus diesem Schlund ragt nun, so simpel wie spektakulär, Dagmar Manzel hervor. Der Spot verharrt, wächst, gleißt, der Vorhang öffnet sich einen Schlitz breit und ihr Kopf zwängt sich hindurch. Nur ihr Kopf wohlgemerkt: rote Lippen, Mikroport, kaum frisiertes Kurzhaar, eindringlicher Blick. Was schießt einem bei solcher Ikonografie nicht alles in den Sinn: Die Geburt der Musik aus dem Geist des Illusionstheaters! Die Dame ohne Unterleib! Überhaupt: Geburt und Tod! Schafott! Hoch lebe das Variété!

Und dann fängt Frank Schulte an Klavier zu spielen und Manzel an zu singen. Mit ihrer resonanzreichen, kräftig-zarten Schauspielerinnenstimme, ihrer glasklaren Deklamation, die sie von der gusseisernen Brecht/Weill-Pflege einer Gisela May mindestens so weit weg katapultieren wie von den Reibeisenverruchtheiten einer Lotte Lenya, Milva oder Marianne Faithfull. Wenn überhaupt, dann rangiert Manzel ästhetisch irgendwo zwischen Anja Silja und Ute Lemper; eigentlich ist das aber auch ganz egal.

Denn wenige Töne und Takte genügen (der Abend rahmt das „Todsünden“-Ballett mit einzelnen Weill-Songs ein), von „Berlin im Licht“ gleich zu Beginn oder dem unverwüstlichen „Surabaya Johnny“ – und man begreift: Diese Person hat alles hinter sich. Und wirkt 80 Minuten lang doch so unbändig jung, so grazil, als wäre sie gerade eben erst nach Memphis aufgebrochen, um sich als Tänzerin zu verdingen. Ein kleines Häuschen will sich die raffgierige, notorisch Zeigefinger schwingende Familie zu Hause in Louisiana von Annas Verdiensten bauen, und dass Weill das Vokalquartett aus Vater, Mutter und Brüdern en travesti besetzt, nämlich rein männlich (zwei Tenöre, Bariton und Bass), sagt restlos alles. Mit schöner Contenance entledigen sich Sebastian Lipp, Adam Cioffari, Manuel Günther und Tim Klaski – von Regisseur Barrie Kosky ins Halbdunkel der beiden Proszeniumslogen entrückt – dieser musikalisch anspruchsvollen Aufgabe.

„Die sieben Todsünden“ sind die letzte gemeinsame Arbeit fürs Musiktheater aus der Erfolgsfabrik Brecht/Weill. Die Uraufführung findet bereits im Exil statt, am 7. Juni 1933 am Pariser Théâtre des Champs-Élysées (in der Choreographie von Georges Balanchine). Klassischerweise wird die Rolle der Anna zwischen einer Sängerin und einer Tänzerin aufgeteilt (Anna I und Anna II) – worum sich Barrie Kosky an der Behrenstraße freilich wenig schert. Denn Dagmar Manzel in ihrem taubenblauen, ramponierten Funkenmariechen-Outfit kann beides: Singen, flüstern, stammeln und aus voller Kehle schreiend weinen, dass es einem spätestens im „Neid“, der siebten Todsünde, kalt den Rücken herunterläuft; und tanzen, hüpfen, rennen, schwindelerregende Pirouetten drehen kann sie auch, auf kräftigen nackten Füßen und mit einer irren, regelrecht virilen Kondition.

Mit am ergreifendsten gelingen Manzel und Kosky der Charleston in Nummer drei („Zorn“): Wie bei einer Marionette, mit heftig schmerzverzerrter Miene, schlackern hier die Knie und fliegen die Unterschenkel nach links und nach rechts. Die Unterhaltungsmaschinerie der Roaring Twenties, die Weill hier satirisch aufspießt (mit Jazz, Foxtrott und anderen Gesellschaftstänzen), hatte immer auch etwas schwer Hysterisches. Kurz darauf macht Manzel eine Geste, die erklärt, warum Anna I und Anna II ein und dieselbe Person sind, ja sein müssen: Aufreizend langsam streicht sie sich mit der rechten Hand vom linken Handgelenk aus den Arm hoch über Schulter und Schlüsselbein hinweg bis zur Kehle. Halb schneidet sie sich so die Pulsadern auf, halb nimmt sie sich den Strick. Eine Frau, die gesehen und erlebt hat, was Anna in der Fremde erlebte und sah, am eigenen Leib, kann sich wahrscheinlich nur in eine multiple Persönlichkeit flüchten. Und weil Dagmar Manzel diese bittere Botschaft mit einer so großen poetischen Klarheit ausstattet, wird sie zu keiner Zeit peinlich.

Für das Ballet chanté im Zentrum des Abends lüftet sich der Stückvorhang und gibt den Blick auf das Orchester der Komischen Oper frei. An dessen Pult waltet – durchaus dekorativ beleuchtet – die junge estnische Kapellmeisterin Kristiina Poska, von der die Welt ganz gewiss noch hören wird. Weills Partitur mit ätzend grellen Farben auszuschmücken, ist das eine; sie wirklich zum Singen zu bringen und die fast spätromantische Melancholie, den Sehnsuchtston darin zu wecken, ist das andere. Poska gelingt das hochakkurat und immer wieder unglaublich klangschön, mit einem herrlich disziplinierten Rubato-Spiel und manch lustigem Schalk in den Ohren.

Am Ende geht Anna dahin zurück, woher sie gekommen war. Vorhang zu und ein letztes Lied, die „Ballade vom ertrunkenen Mädchen“. Blackout. Jubel.

Wieder am 22. Februar und 10. März

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