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Keine neuen Bonnie und Clyde: Queen (Jodie Turner-Smith, re.) und Slim (Daniel Kaluuya) posieren für die Ewigkeit.

© Universal

"Black Lives Matter" im Kino: „Queen & Slim“ und die schwarze Renaissance in Hollywood

Radikaler Chic und Polizeigewalt. Die Regisseurin Melina Matsoukas schickt ihr Outlaw-Pärchen auf die märchenhafte Flucht durch einen vergessenen Teil Amerikas.

Von Andreas Busche

Es gibt erfreulichere Gründe für ein Tinder-Date. „Heute wurde mein Mandant hingerichtet“, erzählt Queen (Jodie Turner-Smith) Slim (Daniel Kaluuya) mit schockierender Lakonie bei der ersten Verabredung in einem Diner, nachdem sie sich gerade noch darüber lustig gemacht hat, dass er vor dem Essen betet. „Ich wollte nicht alleine essen.“

Zwischen dem Leben der jungen Anwältin und dem Jungen aus der Hood, der sonntags in die Kirche geht („Trustgod“ steht auf dem Nummernschild seines verbeulten Hyundais), gibt es keine sozialen Schnittstellen – außer natürlich der ganz offensichtlichen: Beide sind schwarz.

Dass sie sich deswegen mit denselben Realitäten arrangieren müssen, zeigt sich noch am Ende des Abends auf der Heimfahrt. Slim wird von einem weißen Polizisten angehalten und rabiat durchsucht. „Stop-and-frisk“, wie die umstrittene Polizeimethode heißt, ist für Afroamerikaner eine alltägliche Erfahrung. Dass sie tödlich enden kann, sieht man in den USA immer wieder.

Viral ging 2016 das Live-Video, in dem Philando Castile von einem Polizisten erschossen wird, obwohl dieser präventiv auf seine Waffe im Handschuhfach aufmerksam gemacht hatte. Gefilmt hat Castiles Tod seine Freundin im Beifahrersitz. Auch die Konfrontation am Anfang von Melina Matsoukas’ Regiedebüt „Queen & Slim“ endet tödlich, nur anders als in den Nachrichten.

Als der Polizist die filmende Queen in einer Überreaktion anschießt, überwältigt und tötet Slim ihn in Notwehr. Noch bevor überhaupt der Filmtitel auf der Leinwand erschienen ist, befinden sich die beiden Protagonisten, deren Namen man nur aus den Nachrichten erfährt, auf der Flucht.

Die Medien glorifizieren die Copkiller zu Volkshelden

„Die schwarzen Bonnie und Clyde,“ nennt Queens Onkel Earl (Bokeem Woodbine) das Duo, als die beiden auf der Flucht Richtung Süden in New Orleans ankommen. Hier lebt der psychisch versehrte Irak-Veteran mit seinem Harem von Stripperinnen in einem von Hurrikan Katrina zerstörten Viertel. Auch die mediale Berichterstattung fördert die Mythifizierung der Copkiller zu modernen Volkshelden, je länger sie sich der Ergreifung entziehen.

Aber so dramatisch sich die ersten Minuten des Films auch entfalten, Matsoukas, die mit Videos für Beyoncé, Rihanna und Lady Gaga bekannt wurde, erzählt mit „Queen & Slim“ keine Gangsterballade. Sondern ein modernes Märchen vor dem ganz und gar- nicht märchenhaften Hintergrund des amerikanischen Rassismus.

Im MTV-Zeitalter war die Bezeichnung „Musikvideo-Ästhetik“ meist abfällig gemeint. Das Urteil implizierte: zu viel Oberfläche, zu wenig Substanz. In Matsoukas’ Videos aber war beides in eins gesetzt, der Gegensatz aufgehoben: Die Ästhetik formulierte bereits, als stilisierte Repräsentation von schwarzen Körpern, eine Selbstermächtigung abseits der rein materiellen Parameter gängiger Hip-Hop-Ikonografien.

„Queen & Slim“ vollzieht diese visuelle Strategie nun auf der Höhe des Erzählkinos. Dass Barry Jenkins die Farbdramaturgie zwischen Blaugrün, Rotorange, Bernstein und satten Pastelltönen  in „Moonlight“ bereits erprobt hat, gibt Matsoukas’ Film eine vage Referenz.

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Doch wo sich der traumwandlerische Fluss bei Jenkins immer wieder in der sozialen Realität seiner Hauptfigur bricht, spielt „Queen & Slim“ in programmatischen Episoden mit einem Freiheitsgefühl, für das es im gegenwärtigen afroamerikanischen Kino bisher kaum Entsprechungen gibt. Die findet man aktuell eher in der Popmusik, in den freischwebenden Soundscapes von Solange Knowles und Devonté Hynes (Blood Orange), der auch die Musik zu „Queen & Slim“ geschrieben hat.

Queen und Slim wollen bloß überleben

Dass die Juristin Queen von Beginn an als einzige Alternative ein Leben außerhalb des Gesetzes sieht, obwohl schnell herauskommt, dass der getötete Polizist schon einmal einen unschuldigen Afroamerikaner erschossen hat, gibt den gesellschaftlichen Kontext für dieses Road Movie durch ein Parallel-Amerika. Das Ziel der Reise ist Kuba – wie dreißig Jahre zuvor auch für die militante schwarze Aktivistin Assata Shakur, erklärt Queen.

Matsoukas und ihre Autorin Lena Waithe begründen so eine Ahnenreihe. Sie bedienen sich Elementen eines in den Siebzigern verbreiteten black radical chic, drehen die Verhältnisse aber um. Nicht Queen und Slim radikalisieren sich, sie wollen bloß überleben – sondern die Menschen in den Straßen, wo die Proteste gegen die Polizeigewalt eskalieren.

Nicht alle Menschen, die ihnen auf der Flucht begegnen, halten Queen und Slim für Helden. Der schwarze Mechaniker, der ihren Wagen repariert, wirft ihnen vor, dass sie die Gewalt der Polizei mit ihrer Tat legitimieren. Sein Sohn hingegen verehrt die Outlaws, er schießt ein Foto der beiden auf der Motorhaube eines türkisen Pontiac Catalina. Fotos seien nicht für sie selbst, meint Queen zu Slim, sondern ihr Vermächtnis für die Nachwelt.

Ikonisierung schwarzer Körper

Um diese Ikonisierung schwarzer Körper jenseits von Blaxploitation-Klischees geht es Matsoukas. In New Orleans wechseln Queen und Slim ihre Outfits: Sie rasiert ihre Haare und wechselt in ein Minikleid mit Leopardenmusterstiefeln (eine Bandage ziert dekorativ ihren Oberschenkel), er trägt einen weinroten Trainingsanzug. Die Kostüme von Shiona Turini sind in „Queen & Slim“ mindestens so wichtig wie Tat Radcliffes Kamera. Queen und Slim sind Outlaw-Stilikonen, wie einst Sailor und Lula in „Wild at Heart“.

Gleichzeitig sucht Matsoukas eine genuin schwarze „Americana“ der Südstaaten, als Gegenentwurf zur weiß konnotierten „Southern Gothic“. Auf ihrer Flucht passieren Queen und Slim eine chain gang schwarzer Inhaftierter, die am Rand des Highways auf dem Feld arbeiten; in einer Tanzbar im Hinterland, in der eine schwarze Band herrlich dreckigen Blues spielt, senkt sich der Adrenalinpegel für einen Moment.

Matsoukas und Waithe, der mit ihrer Serie „The Chi“ bereits eine ähnliche Mischung aus sozialem und magischem Realismus gelang, spielen die unvermeidliche Outlaw-Romanze nie gegen einen genauen Blick auf ein anderes Amerika aus. Die Odyssee ihrer Figuren ist mehr als ein Überlebenskampf, es ist auch eine Form des community building.

Afroamerikanische Perspektiven im Kino

Die Präsenz der beiden Hauptdarsteller ist der Schlüssel zu „Queen & Slim“. Die 1,76 Meter große Newcomerin Turner- Smith verkörpert eine unerschrockene, nüchterne Überzeugungskraft, die im perfekten Einklang mit der melancholischen Schluffigkeit Kaluuyas steht (seine zweite denkwürdige Rolle nach „Get Out“). Beide sind, obwohl britisch, Teil einer „schwarzen Renaissance“, wie Waithe die neue Diversität afroamerikanischer Perspektiven im aktuellen Kino nennt.

Einmal halten sie vor einer Pferdekoppel an, Queen überzeugt Slim davon, auf den Rücken eines Pferdes zu steigen. „Mein Onkel sagt“, meint sie, „Weiße haben Angst vor einem Schwarzen auf einem Pferd, weil sie dann zu ihm heraufblicken müssen.“ Auch im Kino muss man sich an diese Perspektive erst noch gewöhnen.
In zehn Berliner Kinos (sechs davon in OmU), OV: Rollberg

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