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Vorkämpferin. Harriet Tubman (ca. 1820-1913) war Sklavin in Maryland, konnte fliehen und half anderen Afroamerikaner*innen zu entkommen. Demnächst soll ihr Konterfei den 20-Dollar- Schein zieren.

© Imago/Zuma

Black History Month: Schwarze Geschichte ist Menschheitsgeschichte

Weltweit wird im Februar der Black History Month gefeiert. Derzeit scheint das aktueller denn je, aber ist es noch zeitgemäß? Ein Gastbeitrag.

Michaela Dudley, Jahrgang 1961, ist Berlinerin mit afroamerikanischen Wurzeln. Sie arbeitet als Kabarettistin, Kolumnistin und Keynote- Rednerin. Dudley ist gelernte Juristin. Als Expertin für Vielfalt engagiert sich die trans* Frau zudem für LGBTQI-Rechte und gegen Rassismus.

Mit dem ersten Februar beginnt der Black History Month. Die Aktivistin in mir schwärmt, die Zynikerin in mir rollt mit den Augen. Die Dualität dieser Reaktion kann man verstehen, wenn man 60 Jahre lang in meiner Haut, in meiner dunklen Haut steckt. Auf meiner US-Geburtsurkunde steht „Race: Negro“. Ich bin eine Schwarze. Verdammt stolz, verdammt strapaziert, verdammt halt.

Es sei mir gestattet, mit ein paar Kindheitserinnerungen anzufangen: Gänsehaut habe ich bekommen, als mein Vater, ein Air-Force-Veteran, mir von Jesse Owens erzählte, dem er persönlich begegnet war. Owens hatte 1936 im Berliner Olympiastadion Adolf Hitler und der Welt in Rekordzeit gezeigt, wo es langging: vier Goldmedaillen. Ungeachtet seines Bravourstückes stieß der Nationalheld Owens zu Hause auf Feindseligkeiten.

1968 sah ich selbst im Fernsehen zu, als die afroamerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos auf dem olympischen Siegerpodest die Faust emporhoben. Bei Mainstreampublikum war der mutmaßliche Black-Power-Gruß nicht gerne gesehen. Das „Time“-Magazin beschimpfte Smith und Carlos damals als „zornig, widerlich, hässlich“, die Titelseite mit ihren Bildern wirkte wie eine Fahndungsfoto.

Der IOC-Präsident Avery Brundage ließ die beiden Schwarzen wie Müll aus dem Olympischen Dorf entfernen. Brundage war übrigens ein weißer US-Amerikaner und geübter N-Wort- User, der bei den Spielen 1936 in Berlin seine Athleten sogar ermutigt hatte, den Hitler-Gruß zu zeigen. Und so stecken wir schon mitten in der Black History. Die Geschichte erzählt über Generationen und Ozeane hinweg von Doppelmoral und Demütigungen, von trotzigen Triumphen in der Umklammerung trostloser Tragödien.

Die Gastautorin Michaela Dudley.
Die Gastautorin Michaela Dudley.

© privat

Es geht beim Black History Month darum, sowohl die Leistungen als auch die Leidenswege schwarzer Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Die vor 95 Jahren in den Vereinigten Staaten ins Leben gerufenen Feierlichkeit wird mittlerweile rund um den Globus zelebriert. Hierzulande wurde der Black History Month 1990 eingebürgert, dank der Anregung der Berliner Dichterin und Aktivistin May Ayim (1960- 1996) sowie der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Seither organisieren Vereine, NGOs und Kulturstätten diversen Ausstellungen, Diskussionen, Konzerte, Film- und Tanzaufführungen sowie Workshops.

Wegen Corona werden die Veranstaltungen in diesem Jahr drastisch eingeschränkt und weitgehend auf die digitale Ebene verschoben. Covid-19 ist aber nicht die einzige lebensbedrohliche Seuche, die grassiert und ausgerechnet die USA, das Mutterland der Feier, so gnadenlos beutelt.

Der Vorläufer des Black History Month

Eilmeldung: Rassismus ist wieder auf dem Radar aufgetaucht. Was hätte Carter G. Woodson darüber gedacht? Der als Sohn von Sklaven geborene Historiker bereitete 1926 den Boden für den Black History Month, als er die „Negro History Week“ gründete.

Er legte die Veranstaltung in den Februar, damit sie zusammenfällt mit den Geburtstagen von Präsident Abraham Lincoln, der die Sklavenbefreiung proklamiert hatte, des Abolitionisten Frederick Douglass und des Harlem-Renaissance-Dichters Langston Hughes.

Woodson, erst der zweite Schwarze, der einen Doktor in Geschichte an der Universität Harvard erworben hatte, plädierte für die Einführung afroamerikanischer Studien an den Bildungsinstitutionen des Landes, und zwar über die Black Colleges hinaus. Sein Ziel war nicht nur akademisch.

Geprägt von den rassistischen Unruhen des Sommers 1919 und dem zweitägigen Massaker von Tulsa, erkannte Woodson, dass das in den Schulen verwurzelte Totschweigen vieler Aspekte der schwarzen Erfahrung nicht nur eine Geringschätzung, sondern auch eine Gefahr beinhaltete. Man werde „zu einem vernachlässigbaren Faktor im Denken der Welt“, warnte er – wohl wissend, dass der Abstand zwischen Vernachlässigung und Vernichtung entsetzlich gering sein kann. Anders gesagt: Wer keine Geschichte hat, hat auch keine Zukunft.

Black History fand Einzug ins Curriculum

Ein halbes Jahrhundert nach Woodsons Pioniertat wurde die jährlich wiederkehrende Wochenfeier auf den ganzen Monat Februar ausgeweitet. US-Präsident Gerald Ford forderte seine Landleute auf, „die Errungenschaften der Schwarzen in allen Bereichen unserer Geschichte zu würdigen“. Es war 1976, das 200-jährige Jubiläum der USA.

Ich ging damals auf eine katholische High School, wo ich meine Angela-Davis-Ansteckplakette sogar an der Strickjacke tragen durfte. Die Bildungsstätten waren desegregiert, zumindest offiziell, und Black History fand endlich Einzug in die Curricula der Grund-, Sekundär- und Hochschulen.

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Die Früchte von Woodsons Mühen waren also zu sehen. Doch während der darauffolgenden fünf Dekaden keimte der Hass weiterhin auf – unbeeindruckt selbst von Barack Obamas achtjähriger Residenz im Weißen Haus. Die Ermordung von George Floyd durch einen Streifenpolizisten im vergangenen Jahr zeugt ebenso davon wie die tödlichen Polizei-Schüsse auf Breonna Taylor.

Rechtsextreme Milizen schießen wie Milzbrand aus dem Boden. So genannte besorgte Bürger*innen liebäugeln mit dem Bürgerkrieg. Die Konföderiertenflagge wird am Dreikönigstag 2021 im Washingtoner Kapitol geschwenkt, was nicht einmal während der Sezessionskämpfe (1861-1865) geschehen ist. „Whitelash“, der Gegenschlag der weißen Suprematist*innen.

Vorbilder feiern ist gut - aber nicht genug

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage: „Ist der Black History Month“ überhaupt noch zeitgemäß?" Meine Antwort ist ein dezidiertes Jein. Wir in der Black Community wandern eigentlich ständig auf dem schmalen, scharfkantigen Grat zwischen Selbstbemitleidung und Selbstermächtigung, Larmoyanz und Leidenschaft. Egal, was wir tun, gefällt es den anderen und sogar uns selbst nie so ganz.

Natürlich spricht nichts dagegen, einen Monat im Jahr hervorzuheben, um die nichtschwarzen Mitbürger*innen aufmerksam zu machen auf unser Schicksal und unsere tapferen Vorbilder wie Rosa Parks oder Harriet Tubman, deren Porträt bald auf dem 20-Dollar-Schein zu sehen sein wird. Aber alleine damit ist es nicht getan.

Wir müssen vielmehr aufpassen, dass unsere Galionsfiguren ihre Schärfe nicht verlieren oder gegen Salonfähigkeit tauschen. Denn mittlerweile ist der Black History Month vielerorts zu einem Event verkommen, bei dem einige inzwischen vermittelbare, fast verharmloste Figuren der schwarzen Vergangenheit eine jährliche Heldenverehrung genießen dürfen.

Verehrung bedeutet oft auch Vereinnahmung

Stichwort Martin Luther King. In den Tagen vor seiner Ermordung hatte er seinen Zenit längst überschritten. Ich erinnere mich noch. Der Nobelpreisträger war für viele Weiße ein Unruhestifter. Heutzutage hingegen überbieten sich erzkonservative US-Republikaner darin, King lobend zu zitieren – wie neulich zu seinem Geburtstag. Dass ausgerechnet sie Kings Mountaintop-Rede – fürwahr seine Bergpredigt – fromm herunterbeten, ist gleichsam der Gipfel!

Denn das sind dieselben Herrschaften, in deren Augen Black Lives Matter eine Terrorbewegung ist. Indem Erzkonservative unsere Vorreiter*innen selektiv ausgraben und ihnen huldigen, erklären sie die Ziele der Bürgerrechtsbewegung voreilig für erreicht. Also Vorsicht bei den Sonntagsreden der Parlamentarier*innen, auch und gerade wenn sie Afrodeutschen wie der großartigen May Ayim gedenken.

Verehrung bedeutet oft auch Vereinnahmung. Nun sind es die Politiker*innen selbst, die mit ihren Taten eindeutig Farbe bekennen müssen. Und sie müssen mit zur Rechenschaft gezogen werden, wenn das System nicht gewillt ist, Morde wie die an Amadeu Antonio Kiowa und Oury Jalloh aufzuklären.

Dabei müssen wir dafür sorgen, dass unsere Bewegung eben beweglich bleibt und nicht in eine geschichtliche Ghettoisierung mündet. Hashtags und „Blackout Tuesdays“ reichen nicht aus. Wie wäre es, wenn die Disziplin Black Studies endlich auch in Deutschland ein eigenständiger Studiengang wird und unsere wunderbaren Mitstreitenden jeglicher Couleur erkennen würden, dass Black History auch Menschheitsgeschichte ist. Und diese muss tagtäglich gelehrt, gelernt und gelebt werden.

Michaela Dudley

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