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Kultur: "Black Box BRD": Was fasziniert Sie an der RAF, Herr Veiel?

Andres Veiel, 1959 in Stuttgart geboren, studierte in Berlin Psychologie, bevor er eine Regieausbildung absolvierte; sein wichtigster Lehrer war Krzysztof Kieslowski. Für seinen Dokumentarfilm "Balagan" über eine junge israelische Theatertruppe, die sich kritisch mit dem Holocaust als Staatsreligion auseinandersetzt, gewann er 1994 einen Deutschen Filmpreis.

Andres Veiel, 1959 in Stuttgart geboren, studierte in Berlin Psychologie, bevor er eine Regieausbildung absolvierte; sein wichtigster Lehrer war Krzysztof Kieslowski. Für seinen Dokumentarfilm "Balagan" über eine junge israelische Theatertruppe, die sich kritisch mit dem Holocaust als Staatsreligion auseinandersetzt, gewann er 1994 einen Deutschen Filmpreis. Für "Die Überlebenden", seinen nächsten Film, in dem er anlässlich eines Klassentreffens die Selbstmorde von drei seiner Klassenkameraden recherchiert, wurde ihm der Grimme-Preis zugesprochen. Seit 1997 arbeitet er nicht nur an "Black Box BRD", sondern auch an "Die Spielwütigen", einer Langzeitbeobachtung über Absolventen der Berliner "Ernst Busch"-Schauspielschule.

Warum haben Sie einen Film über die RAF gedreht, 8 Jahre nach deren letzter Aktion?

1975, damals war ich noch in der Jungen Union, bin ich nach Stammheim gefahren, um mir die Prozesse gegen Baader und Ensslin anzuschauen. Da wurde man auch als 15-Jähriger als Staatsfeind behandelt: Man musste sich ausziehen, Sachen wurden beschlagnahmt und nicht zurückgegeben. Wir haben darüber in der Schülerzeitung geschrieben, die wurde verboten.

Sie haben mit der RAF sympathisiert?

Ja, obwohl schnell Zweifel kamen. 1977, als sie Schleyer ermordeten. Ich fragte mich, warum sie nicht die Größe hatten, ihn leben zu lassen. Außerdem glaubte ich nicht, dass ein neuer Faschismus vor der Tür steht. Mitte der 90er habe ich dann Texte von Birgit Hogefeld gelesen, die im Gefängnis saß. Das war neu: jemand aus der RAF, der ich sagt. Da gab es kleine Risse in der Betonsprache. So kam die Idee, einen Film über Hogefeld, Christoph Seidler und Wolfgang Grams zu machen, die dritte RAF-Generation.

Was wollten Sie wissen?

Ich dachte lange, dass die RAF eine Fußnote der Geschichte ist, erledigt, abgehakt. Mit Birgit Hogefeld, die ich besucht habe, hat sich das geändert. Sie ist nur zwei Jahre älter als ich. Da gab es viele Parallelen zu mir: Eltern, die die NS-Zeit verdrängten, und die Wut darüber. Und die Frage: Wie konnte man 1984 dazu, sieben Jahre nach Schleyer, zur RAF gehen? Das war nicht die Avantgarde, das war die Nachhut. Ich wollte verstehen, warum jemand, der so ähnliche Fragen hatte wie ich, Mitte der 80er Jahre zur RAF ging. Die RAF war der letzte Versuch, die Welt zu teilen: hier der antiimperialistische Kampf, dort der Imperialismus. Das ist ein übersichtliches, verlockendes Modell: Wenn ich den Hebel richtig ansetze, dann kann man die Maschine vielleicht zerstören. Wenn man sich dagegen die heutigen Demonstrationen in Prag oder Seattle anschaut, sieht man Leute, die ganz verschiedene Motive und Ideen haben.

Es gibt eine vage, kokette Sehnsucht nach der Übersichtlichkeit und Unbedingtheit, die die RAF verkörperte. Heute ist es viel schwieriger zu sagen: Da ist der Feind. Das ist die Folie für den derzeitige "RAF-Pop", der von Modefotos in Illustrierten mit nachgestellten Baader-Ensslin-Posen bis zu Jan Delays Songs reicht.

Ja, das zeigt auch der Roman "Rosenfest" von Leander Scholz, der die Liebesbeziehung von Baader und Ensslin erzählt. Der entscheidende Punkt wird dabei wegretuschiert: dass es Tote gab. Das kommt in diesen Bohème-Bildern nicht vor. Das ist zu ernst. Da fährt man lieber mit dem Einkaufswagen durch den Geschichts-Supermarkt und nimmt sich die Ikonen, die einem brauchbar erscheinen.

Sie zeigen das Opfer, genauer: Traudl Herrhausen, die Witwe, eine äußerst präsente, intensive Figur in dem Film. Ist Birgit Hogefeld deshalb aus dem Film ausgestiegen?

Ja. Für mich war klar, dass ich ohne Opferperspektive keinen Film machen kann. Denn die Opfer waren immer abgespalten im Diskurs der RAF. Über sie zu sprechen, ist bis heute ein bizarres Tabu. Birgit hatte trotzdem triftige Gründe auszusteigen. Ihre einzige Chance, aus dem Gefängnis zu kommen, ist eine Begnadigung. Sie hatte Angst, dass ein Film, der sie mit dem zerbombten Auto von Herrhausen in Verbindung bringt, diese Chance verringert. Letzte Woche hat das BKA eine Haaranalyse von Grams präsentiert - vom Ort des Rohwedder-Attentats. Manche Medien haben sofort eine Verbindung zu Hogefeld gezogen. Wenn Grams am Tatort gewesen sein kann, muss sie auch da gewesen sein, weil sie ein Paar waren. "Bild" schrieb: "Waren sie das schlimmste Killerpaar der RAF?" Es gibt noch immer ein Bedürfnis nach Feinden.

Woher kommt dieses Bedürfnis?

Ich glaube, das ist ein Entlastungswunsch. Wir leben in einer Zeit, in der alles bunt und hübsch ist. Die RAF gibt es nicht mehr - aber die eigene Zerstörungsfantasie existiert noch. Die wird noch immer auf die RAF projiziert. Sie ist wie ein moderner Mythos, ein Märchen, in dem man eigene Wunsch- und Angstbilder unterbringt. Dass sich die meisten, auch Birgit, längst distanziert haben, wird dabei kaum zur Kenntnis genommen.

Medial gab es bei Grams letzte Woche noch etwas anderes: Hilflosigkeit. Die "Tagesthemen" sendeten einen kaum verständlichen Bericht, wie man Genanalysen an toten Haaren macht. Nichts Politisches - Wissenschaft. In einem Privatsender war von "Holger Grams" die Rede, offenbar eine Fusion aus Wolfgang Grams und Holger Meins.

Wir wissen noch, worum es der RAF ging. Das verbindet uns mit Helmut Kohl. Für viele Jüngere ist der Terrorismus aber nur noch ein seltsames, fernes Wetterleuchten.

Was haben Sie getan, als Sie erfuhren, dass das BKA Wolfgang Grams für den möglichen Täter im Rohwedder-Mord hält?

Die Eltern von Grams haben mich angerufen, weil sie panische Angst hatten, dass nun im Fernsehen Ausschnitte aus "Black Box" auftauchen, Bilder, in denen sie ihre Trauer um ihren Sohn zeigen, verknüpft mit der - falschen - Nachricht: Grams hat Rohwedder getötet. Ich habe die Bilder der Eltern für die aktuellen politischen Sendungen gesperrt. Traudl Herrhausen hat erstaunlich souverän reagiert. Ein paar empörte Leute haben sie gerufen: Wie können Sie in einem Film mitmachen, der Herrhausen neben diesen Terroristen stellt? Sie hat aufgelegt.

Der Film erzählt, in einer Parallelmontage, zwei Biografien, die tödlich enden. Legt das nicht die Vermutung nahe, dass Täter und Opfer porträtiert werden? Ist Hogefelds Vorbehalt, auf der Ebene der Bilder, nicht doch angebracht?

Nein. Der Film verhandelt größtenteils die Zeit bis Anfang der 80-er, lange vor dem Attentat. Wenn ich eine konkrete Täter-Opfer-Geschichte hätte konstruieren wollen, hätte ich Zeugenaussagen montiert, verschiedene Versionen über das, was am 30. November 1989 geschah. "Black Box" bedient dieses kriminalistische Erkenntnisinteresse nicht.

Trotzdem suggeriert die Parallelmontage, dass diese beiden Leben etwas direkt miteinander zu tun haben.

Grams war Mitglied der RAF, Herrhausen ist von der RAF erschossen worden. Das rechtfertigt für mich, ihre Biografien nebeneinander zu stellen und Zusammenhänge zu assoziieren. Beiden neigten dazu, eine Idee absolut zu setzen, daran festzuhalten, auch wenn keiner folgen wollte. Es gibt auch Parallelen im Umgang mit Frauen. Die sollen ihnen den Rücken freihalten und folgen. Grams hat sich von seiner Ex-Freundin getrennt, weil die seine Radikalität nicht verstand. Herrhausen hat in einer Hau-Ruck-Aktion seine erste Frau verlassen, weil sie nicht in sein Karriereleben passte. Diese Affinitäten haben mich interessiert. Die Deutsche Bank ist ein System, mit dem man sich vollkommen identifizieren muss. Ein Banker hat das mal so ausgedrückt: "Ich bin immer für die Bank da, tagsüber, am Wochenende, notfalls auch nachts. Erst leidet darunter die Freundschaft, dann die Ehe. Am Ende gibt es kein anderes soziales Netz mehr." In Gesprächen mit Bankern fallen manchmal Sätze, die man von RAFlern kennt. Auch das Elite- und Avantgardebewusstsein ähnelt sich: Wir sind die Besten.

Ein Freund erzählt in "Black Box" von einem Treffen mit Hogefeld und Grams im Untergrund: Beide träumten vom Ausstieg, von einer bürgerlichen Existenz. Das ist genau die Situation, die Christian Petzolds Spielfilm "Die innere Sicherheit" skizziert. Ist die Sehnsucht nach Normalität nicht das Eingeständnis, gescheitert zu sein?

Ja, aber nur sehr vage. Man merkt das auch an der Auflösungserklärung der RAF von 1998: Die Leute begreifen unseren Kampf nicht, deshalb hören wir auf. Aber unser Kampf war prinzipiell richtig. Psychologisch ist das verständlich: Es ist nicht leicht zu sagen, dass alles falsch war, was man 20 Jahre lang gemacht hat. Deshalb dieses Stottern von Ex-RAFlern, wenn es um die andere Seite geht. Sich in die Lage der Opfer zu versetzen, das schaffen sie nicht. Denn für einen solchen Perspektivwechsel braucht man Selbstbewusstsein.

Glauben Sie, dass heute ein Dialog zwischen RAF-Tätern und Opfern möglich wäre?

Nein. Die Braunmühl-Brüder haben das versucht, ohne Erfolg. Die Ex-RAFler sind noch immer dialogresistent. Das hat viel mit dem abstrakten Radikalismus der Linksextremen zu tun. Man verrechnet dort noch immer das Konkrete gegen das Allgemeine: Was ist ein Toter hier gegen das Elend in der Dritten Welt?

Warum haben Sie einen Film über die RAF gedre

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