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Björk bei ihrem einzigen Deutschland-Konzert in der ausverkauften Zitadelle Berlin

© dpa-Zentralbild

Björk in Berlin: Wie eine heidnische Rachegöttin

Björk ist verlassen worden und erstrahlt nun in neuer Stärke: Bei ihrem einzigen Deutschland-Konzert in der Zitadelle Spandau präsentiert die Sängerin alte und neue Songs, die durch suggestive Videos unterstützt werden.

Von Jörg Wunder

Was macht eigentlich Matthew Barney? Unter welchem Stein mag sich der berühmte Avantgarde-Künstler, der mehr als zwölf Jahre der Mann in Björks Leben gewesen ist, an diesem wunderschönen Sommersonntagabend verkrochen haben?

Wäre er bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert unter den gut 10.000 Zuschauern in der seit langem ausverkauften Zitadelle Spandau anwesend, müsste man befürchten, dass er von einer der Feuerwerkssalven in Stücke gerissen wird, die seine Ex an zwei strategischen Stellen ihres anderthalbstündigen Sets abfackeln lässt, während sie sich durch die radikalen Beziehungsabrechnungslieder „Notget“ und „Mouth Mantra“ kämpft. Aber was heißt schon „abfackeln lässt“: Es wirkt, als würde die 49-Jährige höchstpersönlich rote und grüne Rauchfontänen in den sich verdunkelnden Abendhimmel schleudern, als würde sie wie eine heidnische Rachegöttin die Elemente in Form von Kugelblitzen und fauchenden Flammenstößen entfesseln.

Björk ist also verlassen worden. Es ist für uns kleine Normalsterbliche ungemein tröstlich, dass auch für eine Ikone der populären Musik, für einen Weltstar das Universum zusammenbricht, wenn man hintergangen, betrogen, verlassen wird. Dass alles nichts mehr ist, wenn die Liebe stirbt.

Aus dem Schmerz über den Verlust dieser großen Liebe hat Björk ihre letzte Platte geformt. „Vulnicura“ gehört schon jetzt zu den großen Break-Up-Alben der Popgeschichte, in einer Reihe mit Meisterwerken wie Marvin Gayes „Here, My Dear“, Joni Mitchells „Blue“ oder „Back in Black“ von Amy Winehouse.

Konzentration auf das Wesentliche

Doch weder im Leben noch auf der Bühne ist Björk gewillt, sich vom Schmerz überwältigen zu lassen. So wie sie es geschafft hat, für ihre Wut Worte und für ihre Bitterkeit Melodien zu finden und daraus Lieder von eisiger Schönheit zu komponieren, so souverän steht sie nun auf der Bühne und bietet ihre noch schorfig verheilten Seelenwunden dar.

Björk trägt an diesem Abend keine durchgeknallte Fantasiegarderobe, keine auf die Brust genähte Riesenvagina, keine Korona aus Blütenstacheln. Überhaupt gibt es gar keine Kostümwechsel. Nur ein lachsroter Stretchbody mit applizierten Abendkleidgetuffel, dazu ein pinker transparenter Kragen, ein bisschen Gesichtsbemalung wie im Kabuki-Theater und streng nach hinten gekämmte Haare. Wollte man eine Botschaft aus diesem für Björks Verhältnisse geradezu casual wirkenden Outfit ziehen, könnte sie lauten: no bullshit. Konzentration auf das Wesentliche.

Streicher umschmeicheln den Gesang

Das gilt auch für die Musik. Anderthalb Dutzend ganz in Weiß gewandete Streicher umschmeicheln ihren Gesang, ein Schlagzeuger rührt bei Bedarf ordentlich rhythmischen Wumms darunter, ein wie ein Hohepriester eines paganen Ordens gekleideter Laptop-Artist ruft Sounds von der Festplatte ab. Ganz im Zentrum steht jedoch Björks Stimme, die auch nach über 20 Jahren Solokarriere immer noch einzigartig ist: zugleich fragil und von granitener Härte, düster und strahlend, erbarmend und triumphal.

Diese Stimme trägt durch den ganzen Abend, und man wird nicht müde, ihr zu lauschen, selbst dann, wenn man ihrer auf Platte vielleicht zwischenzeitlich überdrüssig geworden war, sie irgendwann zwischen den A-capella-Experimenten von „Medúlla“ und „Drawing Restraint 9“, dem kopflastigen Gemeinschaftswerk mit Matthew Barney, für manieriert gehalten hatte. Hier, in diesem ganzheitlichen Kontext, ist das alles plötzlich wieder pure Gegenwart und ganz groß.

Björk packt fünf der brockigen, sperrigen Songs von „Vulnicura“ an den Anfang, die so voller Brüche und unerwarteter Wendungen sind, dass das Publikum immer wieder verfrüht in die sekundenlangen Breaks hineinjubelt. Es folgt ein Block mit „klassischen“ Björk-Songs, wobei sie die leichtgewichtigeren Hits ihrer frühen Jahre wie „Venus As A Boy“ oder „It’s Oh So Quiet“ ebenso ausspart wie – aus naheliegenden Gründen – „All Is Full Of Love“ von ihrem 1997er Meisterwerk „Homogenic“.

Die alten Stücke gibt es nicht nur in teilweise dramatisch veränderten Versionen mit mauerwerkzertrümmernden Dubstep-Bässen und hypnotischen Streicherarrangements oder wunderbar getupfter Percussion auf der Hang bei „Possibly Maybe“, sie werden auch visuell durch suggestive Videos unterstützt. Auf eine riesige Leinwand werden bedrohlich-schöne Aufnahmen aus einer fantastisch vergrößerten Mikrowelt projiziert: eierlegende Nachtfalter und transparente Spinnen zu „Hunter“, sich wie Orgasmusmaschinen im Liebesrausch umschlingende Schnecken zu „Bachelorette“, einander massakrierende Insektenvölker zu „Army Of Me“.

Die zierliche Björk vor gigantischen Hornissen

Der Effekt ist frappierend: die zierliche Björk unbefangen tanzend – überhaupt hat ihre Performance so gar nichts vom choreografischen Drill der meisten weiblichen Popstars ihrer Größenordnung – vor gigantischen Hornissen, die einen Bienenstock überfallen. Ein Bild von albtraumartiger Eindringlichkeit.

Szenen wie aus einem Albtraum liefert auch das Video zur enthusiastisch eingeforderten Zugabe „Hyper-Ballad“: Eine wie in einem primitiven Videospiel verpixelte Björk stürzt einen gähnenden Abgrund hinab und zerschellt auf dem Boden, wieder und wieder. Doch die Worte des Liedes handeln vom Erwachen aus dem bösen Nachtmahr: „I go through all this / before you wake up / so I can feel happier / to be safe up here with you.”  Björks Erwachen aus ihrer Liebes- und Lebensutopie mag lang und schmerzhaft (gewesen) sein. Doch wer sie an diesem besonderen Abend erleben darf, wird keinen Zweifel hegen, dass diese Frau noch starker aus ihrer Krise hervorgehen wird.

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