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Er kriecht in seine Rolle hinein. Joaquin Phoenix in „Don’t worry, he won’t get far on Foot“.

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Biopic von Gus Van Sant: Vom Leben zittrig gezeichnet

Gus Van Sants „Don’t worry, he won’t get far on Foot“ über das Leben des querschnittgelähmten Cartoonisten John Callahan im Berlinale-Wettbewerb.

Es gibt keine Offenbarung, keine Erlösung. Höchstens Hoffnung. Das musst du akzeptieren. Oder sterben. John Callahan ist nicht lebensmüde, er will weiter leben, glücklich werden. Nicht einfach für jemanden, der querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt. Die eigentliche Behinderung ist sein Alkoholismus. Gegen ihn kämpft Callahan, wobei ihm Freunde aus einer Gesprächsgruppe und die zwölf Schritte der Anonymen Alkoholiker helfen. Schritt 1: Du bist Alkohol gegenüber machtlos, du kannst dein Leben nicht meistern.

Gus Van Sant erzählt in seinem Film „Don’t worry, he won’t get far on Foot“ aus dem tragischen, traurigen, sehr komischen Leben von Callahan, der 1951 in Portland, Oregon, zur Welt kam, nie von dort wegging, als Zeichner berühmt wurde und 2010 starb. Der Titel stammt aus einem seiner Cartoons. Finden ein paar Cowboys einen leeren Rollstuhl in der Prärie. Weglaufen geht nicht, es bringt dich nicht weit. Der Film springt vor und zurück in der Chronologie, setzt ein mit den Bekenntnissen in einer Gruppensitzung von Suchtkranken, springt zurück in die fatale Nacht, in der Callahan sich betrunken von einem Bekannten, der noch betrunkener ist, fahren zu lassen. Beide schlafen ein und rasen gegen einen Lichtmast. Und kehrt immer wieder zurück zu den Gesprächen und der Gruppe, die für den Helden zu einer Ersatzfamilie wird. Wenn irgendetwas hilft, dann das: miteinander reden.

„Don’t worry, he won’t get far on Foot“ ist Joaquin Phoenix’ Film, es gibt kaum eine Szene ohne den Hauptdarsteller. Phoenix kriecht geradezu hinein in diese Rolle, man spürt Lebenshunger und Wut, wenn er mit seinem Elektrorollstuhl kopfwackelnd in Höchstgeschwindigkeit über den Bürgersteig braust. Großartig der Moment, als er kurz nach dem Unfall, auf ein drehbares Bett geschnallt, kopfüber in der Klinik mit einer Therapeutin (Rooney Mara) spricht, die später seine Geliebte wird. „Ich spüre meinen Körper nicht, außer im Schmerz“, knurrt er. Sie entgegnet: „Klingt nicht sehr schön.“

Ein Haufen von Lebensversagern und Neurotikern

Callahan badet in Selbstmitleid, stürzt ab, fällt tief, aber irgendwann fasst er neuen Mut, und als er den Mann wiedertrifft, der das Unfallauto fuhr, sagt er, dass er nun endlich glücklich sei. Schritt 9: Entschuldige dich bei allen Menschen, die du verletzt hast. Schritt 10, noch schwerer: Vergib dir selbst. Callahan kommt über das Trauma seiner Kindheit nicht hinweg, immer wieder beginnt er seine Selbstdarstellung mit den drei Dingen, die er über seine Mutter weiß. Sie war irisch-amerikanisch, hatte rote Haare und war Lehrerin. Ach ja, dann gibt es noch den vierten Punkt. Sie wollte ihren Sohn nicht, deshalb wuchs er im Heim und bei Adoptiveltern auf.

„Das hier ist kein Klagebüro“, sagen die Leute aus der Gesprächsgruppe, die das Lamento nicht mehr ertragen. Ein Haufen von Lebensversagern und Neurotikern. Beth Ditto spielt eine Kratzbürste von Frau, die sich „Redneck mit Vokuhila“ nennt. Udo Kier ist ein dauerverkrampfter Nichtlächler mit dem treudeutschen Namen Hans. Am engsten wird für Callahan die Freundschaft mit einem von Jonah Hill verkörperten Dandy-Hippie, der ihm Laotse empfiehlt und mahnt: „Trink Wasser.“ Dieser Donnie stirbt an den Folgen von Aids – der Film spielt in den Jahren von Carter und Reagan, als die Immunschwächekrankheit epidemisch wird.

Callahan muss den Stift mit beiden Händen führen, wenn er zeichnet. Die Umrisslinien, die er produziert, sind gezackt, und er selber wirkt auch wie ein Krakelmensch, vom Leben zittrig gezeichnet. Der Film ist nicht ohne Redundanzen, kommt manchmal nicht von der Stelle und erreicht dann den Zustand eines schönen Schwebens. „Don’t worry, he won’t get far on Foot“, dessen Drehbuch auf Callahans Autobiografie beruht, ist nach „Mala Noche“ (1986), „Good Will Hunting“ (Silberner Bär 1998) und „Promised Land“ (2013) der vierte Film, den Gus Van Sant auf der Berlinale präsentiert. Seine Botschaft: Suche nicht das Glück. Es findet dich.

21.2., 8.30 (Friedrichstadt-Palast), 12.30 (Haus der Berliner Festspiele), 17.30 (HdBF), 23.2., 12.30 Uhr (Zoo-Palast 1), 25.2, 14.30 Uhr (HdBF)

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