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Ein verwegenes Pärchen: Thomas Brasch (Albrecht Schuch) und Katharina Thalbach (Jella Haase).

© Wild Bunch Germany

Biopic über Thomas Brasch: Ein Fremder in Ost und West

Die Legende um den Schriftsteller Thomas Brasch reicht über seinen Tod hinaus. Albrecht Schuch verausgabt sich in „Lieber Thomas“ mit revolutionärem Pathos.

Der Anfang: eine nackte Frau von hinten, liegend, der Kopf passt nicht mehr ins Bild. Ihr Körper wird allmählich mit dichter, kleiner Schrift bedeckt. Ein Haut-Tagebuch? Dahinter, gleichsam aus ihrem Schoß hervortauchend, der Kopf eines Mannes, nicht ganz bei sich. Sein Voiceover spricht Bekenntnisse: „Die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber ...“, „Wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber ...“. Notiert 1977, im Jahr nach seiner Ausreise in die Bundesrepublik.

Autorenfilme stehen ja in dem Ruf stark überdehnter Produkte höchstambitionierter, dabei mitunter fast lächerlicher Verschrobenheit – oft akute Langeweile verursachend. Manchmal ist diese Diagnose nicht ganz falsch. Und das bei einem Regisseur wie Andreas Kleinert („Wege in die Nacht“, „Klemperer“), der nichts mehr beweisen muss.

Filme können aus vielen Gründen scheitern, etwa, weil man zu wenig von ihnen verlangt. Oder zu viel. Hier liegt eindeutig der zweite Fall vor. Kleinert erzählt das Leben des Funktionärssohnes Thomas Brasch, Enfant Terrible der DDR, der nach seiner Ausreise zum Star der 80er-Jahre-Kulturszene West avancierte. Wobei der Titel „Dissident“ zu kurz greift. Zwei seiner Regiearbeiten, „Engel aus Eisen“ und „Der Passagier“ liefen in Cannes. Kleinerts Film, in schwarz-weiß gedreht, der in harten Schnitten Wirklichkeits- und Traumebenen ineinander übergehen lässt, ist vielleicht so zu erklären: Kleinert wollte einen Thomas-Brasch-Film über Thomas Brasch drehen.

Dieses waghalsige Projekt wird erschwert durch den Umstand, dass Albrecht Schuch als Thomas Brasch eine Fehlbesetzung ist. Schuch glaubt man umstandslos den Libertin Brasch, den Entgrenzer, der aus sämtlichen Schößen auf einmal emportaucht. Aber nicht den Dichter, nicht den Intellektuellen, den Gegenpol im selben Menschen: den Mann der geistigen Präzision. Diese innere Spannung der Hauptfigur hätte den ganzen Film tragen müssen, sie fehlt. Und das ist schade, denn hier wurde nicht einfach ein Stoff, sondern eine große Chance vertan.

Eine deutsch-deutsche Familiengeschichte

Brasch. Der Familienname, das haben viele schon bemerkt, könnte für „die Manns“ des Ostens stehen: Zeitgeschichte bündelt sich in der Tragödie einer Familie wie in einem Brennglas. Thomas Brasch wurde 1945 in North Yorkshire, England, geboren, als erstes Kind einer Wiener Jüdin und des jüdischen Fabrikantensohns Horst Brasch, später Mitgründer der FDJ und stellvertretender Kulturminister der DDR. Aufgewachsen in Oberbayern und im Benediktiner-Klosterinternat Ettal auf sein künftiges katholisches Priesteramt vorbereitet, war Horst Brasch plötzlich nur noch der Judenjunge. Ein Kindertransport nach England rettete den damals schon 16jährigen, der in Kanada schließlich vom Katholizismus zum Kommunistischen Manifest konvertierte.

Eine Entscheidung des Vertrauten Erich Honeckers prägte wohl das Leben des Sohnes: Mit 11 Jahren schickt ihn der Vater auf eine Kadettenschule der NVA, vier lange Jahre. Hier setzt Kleinerts „Lieber Thomas“ biografisch ein, zeigt, montiert Erinnerungssplitter, sadistische Jungen-Machtspiele. Die dringenden Bitten des Sohnes, ihn da rauszuholen – vergeblich. Wahrscheinlich glaubte der einstige Klosterschüler Horst Brasch, ein Junge braucht strenge Zucht, so wie er sie in Ettal erfuhr. Der Vater hat seinen Sohn früh verloren.

Jörg Schüttauf spielt Horst Brasch. Es ist keineswegs die Rolle seines Lebens, aber den Mitgründer der FDJ und stellvertretenden Kulturminister der DDR als biederen Familienvater zu zeigen, ist nicht die schlechteste Entscheidung. Der Film hat hier seine besten Momente. „Aber wir sind frei!“, sagt Horst Brasch einmal, schließlich lebt er in einem selbstgeschaffenen Staatswesen, was die wenigsten sagen können. „Das nennst du Freiheit?“, fragt der Sohn zurück, der längst begonnen hat, Weihnachtsbäume mit Spruchbändern zu schmücken. „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ – und nacheinander von der Journalistenschule und der Filmhochschule fliegt.

Brasch wollte Täter, kein Opfer sein

Seine Wiener Mutter, die im DDR-Sozialismus immer in der Fremde bleiben wird, erklärt ihm, dass das, was er durchmacht, nichts ist gegen das, was sie durchgemacht habe. Dagegen lässt sich nichts sagen, weiß der Sohn – er wird aber sein Leben damit verbringen, genau das zu tun. Aus diesem Widerspruch hätte der Film leben müssen. Revolten kann Schuch spielen, aber sein Brasch bleibt ein Revoluzzer ohne geistige Kontur; wenn er vor der Schreibmaschine sitzt, wirkt er merkwürdig deplatziert.

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Die wichtigste Frau im Leben des promiskuitiven Brasch war Katharina Thalbach, mit der er 1976 über die Grenze ging. Die junge Thalbach war ein ätherisches Wesen, ein leibhaftiger Engel mit Berliner Schnauze; bei Yella Haase bleibt davon nur die Göre. Das Geheimnis dieses Paares: da ist nichts.

Die einfachen Dichotomien von Freiheit und Diktatur, von Opfer und Täter fallen vor Biografien wie der Braschs in sich zusammen. Er und sein Freund Florian Havemann haben immer darauf beharrt, Täter, nicht Opfer gewesen zu sein. Trotz Gefängnis und „Bewährung in der Produktion“ nach ihrer Flugblattaktion 1968 gegen den Einmarsch der russischen Panzer in Prag. Zuerst wollten sie das Berliner Ensemble besetzen.

Die Opposition gegen die DDR in der DDR, außerhalb der DDR, war bis zuletzt eine im Namen der DDR. Dem Westen schien das stets widersinnig, aber anders versteht man die Geschichte Ost nicht; „Lieber Thomas“ hätte es zeigen können. Statt dessen geht selbst Braschs höchst ambivalente Existenz West nach 1976, seine hochfahrende Art, bloß aufs Konto eines Egomanen mit zunehmendem Hang zur Selbstzerstörung.

Annekatrin Hendel hat 2018 den überaus beredeten Dokumentarfilm „Familie Brasch. Eine deutsche Geschichte“ gedreht, davor kam Christoph Rüters eindringliches Porträt „Brasch“ in die Kinos. Der Anlass, beide noch einmal zu sehen, ist gegeben: Anfang November war Thomas Braschs 20. Todestag. Er hinterließ 16 000 unvollendete Seiten seines letzten Werks „Mädchenmörder Brunke“. Die Nähe von Künstler und Verbrecher hat ihn nie losgelassen.

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