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Bildhauerin: Madonna in den Lüften

Tiere in der Kunstwelt haben eine magische Anziehungskraft. Der Hai in Formaldehyd hat es längst zur Ikone gebracht. Auch das Gnu, das sich alle zehn Minuten in den Museumssaal schiebt, könnte Starqualität besitzen. Die türkische Künstlerin Ayse Erkmen hat es sich einst für das Museum in St. Gallen ausgedacht. Nun fährt es im Hamburger Bahnhof bedachtsam seine Bahn auf und ab.

Selten wurden die Begriffspaare Natur und Kultur, Zivilisation und Freiheit so anschaulich zusammengebracht. Ayee Erkmen liebt den überraschenden Moment, den Zusammenprall der Dinge. Das mag daran liegen, dass ihr solche unerwarteten Begegnungen selber immer wieder passieren durch ein Leben zwischen zwei Welten. Die Bildhauerin ist gleichermaßen in Istanbul und Berlin zu Hause. Doch wer beim Besuch in ihrer Charlottenburger Atelierwohnung auf türkischen Mokka hofft, der wird enttäuscht.

Klischees vom orientalischen Leben bedient die Bildhauerin nicht. Seit sie vor 16 Jahren als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für ein Jahr in die deutsche Hauptstadt kam, ist sie als internationale Künstlerin gefragt, nicht als Botschafterin ihres Landes. Ihre Werkschau im Hamburger Bahnhof demonstriert das eindrucksvoll. Die abgehängten Neonröhren, die mobile Galeriewand oder das zwei Geschosse verbindende Bildnis einer Schwimmerin verraten ihr Herkunftsland nicht.

„Weggefährten“ hat Erkmen ihre Ausstellung genannt, in der sie Stationen ihres Künstlerlebens zu einem großen Parcours zusammenführt. Für einen solchen Auftritt war es höchste Zeit, denn an ihrem Wohnort war die Künstlerin bislang nur punktuell zu sehen. Doch überrascht das Museum als Spielstätte, die Form der Retrospektive, denn die 1949 geborene Künstlerin meidet den White Cube. „Meine Arbeiten entstehen aus der Situation heraus, häufig erst im Gespräch mit den Menschen vor Ort,“ sagt sie. Mit psychologischem Gespür findet sie heraus: „Was wird gebraucht? Was ist hier notwendig?“ Häufig sind dann diese Interventionen nur von kurzer Dauer.

Glücklicherweise blieben in Berlin zwei Werke erhalten, an denen sich ihre Methode ablesen lässt. Für „Das Haus“ am Heinrichplatz ließ Erkmen 1994 eine Fassade mit türkischen Suffixen bemalen, Wortendungen wie „-müs“, „-misti“ oder „-müstüm“. Für die einen ist das Schrift-Bild die Erinnerung an eine fast vergessene Sprachtradition, denn Suffixe, die Berichtsform des indirekten Erzählers, werden im Türkischen kaum noch angewandt. Für die anderen verweist die Wandmalerei schlicht auf die Lebenskultur der mehrheitlichen Bewohner Kreuzbergs. Am Heizkraftwerk Köpenicker Straße wiederum schuf Erkmen Parkbänke aus Metallrohren, die den Sitzenden wärmen.

Wie Ufos lassen sich Erkmens Werke im Stadtraum nieder und passen doch perfekt hinein, sobald der Betrachter die Bezugspunkte erkennt. So manches wirkt auf den ersten Blick spektakelhaft. Doch das scheint der eher stillen Künstlerin, die schlicht ein schwarzes T-Shirt, Glockenrock und rote Sneakers trägt, eher fremd. Trotzdem zeugen viele Werke von Durchsetzungskraft – darunter die beiden Tiger „Ketty und Assam“ in der Essener Kokerei Zollverein oder die Verschiffung einer japanischen, einer türkischen und einer venezianischen Fähre nach Frankfurt, die den Main auf- und abschipperten.

Mit einem Schlag bekannt machte Erkmen 1997 ihr Beitrag für die Skulpturenprojekte Münster: eine Luftreise barocker Heiligenfiguren über dem Münsteraner Dom, die von einem Hubschrauber am Seil getragen wurden. Erst nachdem alle Gestaltungsvorschläge für das Kirchenportal des Münsters am bischöflichen Widerstand gescheitert waren, kam die Künstlerin auf die Idee. Auf ebener Erde mochten die Kirchenmänner noch bestimmen, die Lufthoheit über dem Gotteshaus besaßen sie nicht.

Aber wie macht sie das: Raubkatzen im Revier, die Muttergottes in den Lüften? Zwei Dinge nennt die Künstlerin. Zunächst waren es ihre Lehrer an der Staatlichen Kunstakademie in Istanbul, wo sie bis 1977 studierte. „Die Lehre ist wichtig,“ so die einstige Professorin der Frankfurter Städel-Schule. Am Ende waren es nur ein paar Hinweise, dann machte es „Klick!“ und ihr war klar, dass sie den nötigen Mut besaß. Als zweiten Grund für ihre Unerschrockenheit nennt Ayee Erkmen das jahrelange Arbeiten in Istanbul, das wenig Anerkennung fand. „Ich habe es für mich getan, ich musste den Leuten nicht gefallen.“ Das macht stark.

Heute ist sie international gefragt und permanent von einem Projekt zum nächsten unterwegs. Noch vergangene Woche war sie in Berlin auf der ABC-Messe im Postbahnhof präsent, im Tanas-Kunstraum ist sie ebenfalls zu sehen. „Erst heute morgen habe ich gemerkt, dass meine Kaffeetasse noch von vor vier Tagen auf dem Schreibtisch steht,“ sagt sie entschuldigend. An Berlin schätzt sie die Ernsthaftigkeit, die intensive Auseinandersetzung mit der Kunst. An Istanbul die größere Gesprächigkeit, die Neugierde. Bei allen Reisen kam eins zu kurz, jetzt hat sie es aufgegeben: die deutsche Sprache zu lernen. Dabei liebt die Türkin das Deutsche. Sämtliche Ausstellungen bei ihrer Berliner Galeristin Barbara Weiß trugen Titel, die der deutschen Sprache fast entfallen sind: Müßiggang, Habenichts, Habseligkeiten. Mit ihrer Ausstellung „Weggefährten“ im Hamburger Bahnhof sammelt sie alle noch einmal ein.

Hamburger Bahnhof, bis 11. Januar, Di–Fr 10-18, Sa 11 – 20, So 11 – 18 Uhr. Katalog 20 €. Eröffnung heute um 20 Uhr.

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