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Bildhauerin Anna Franziska Schwarzbach: In den Himmel greifen

Zwei Ausstellungen würdigen derzeit die Bildhauerin Anna Franziska Schwarzbach. Ein Atelierbesuch in Berlin-Weißensee.

Im Garten von Anna Franziska Schwarzbach riecht es nach Herbst. Ein knorriger Apfelbaum in der Mitte hat seine Früchte bereits abgeschüttelt. Und da liegen sie jetzt erst einmal, hübsch um den Stamm gehäuft. Schwarzbach macht keine Anstalten sie aufzuklauben. Lieber beschaut sie das rötlich-gelbe Stillleben in der lauen Vormittagssonne von der Steinterrasse aus. „Der Sommer war zu heiß“, sagt sie und streicht eine graue Strähne zurück in den Haarknoten am Hinterkopf. Zu heiß wofür, sagt sie nicht.

Ihr Atelier grenzt gleich an das Wohnhaus in Berlin-Weißensee. Ein altes Gehöft mit burgunderroten Backsteinziegeln und hölzernem Dachgiebel, das von einem hohen Zaun eingefasst wird und das ihr Mann seit Jahren versucht zu renovieren. Der Mann davor sei daran verzweifelt und in den Westen geflohen, sagt sie. „Es sieht ein bisschen sehr schlimm aus gerade. Einfach kein Platz mehr.“ In dem Wintergarten-artigen Werkraum ist es eng. Armierungen, grobe Holzblöcke und allerhand Gerät drängen sich aneinander. Dazwischen Fertiges und Unfertiges, Rümpfe, Torsi, Abgüsse, Gipsköpfe, Kleinplastiken, lose Skizzenblätter. Ein ordentliches Durcheinander. Was nicht ins Studio passt, wird entlang der Hausfassade verteilt, im Hof, im Garten, in dem früher 30 wilde Katzen zwischen üppigen Brennnesselbüschen herumstreunten.

Schwarzbach ließ sich von Schadows Prinzessinnengruppe inspirieren

Anna Franziska Schwarzbach ist Bildhauerin. Eine gedrungene Frau mit schmalen Lippen und hellem Lachen. Zurzeit sind die Arbeiten der 66-Jährigen im Seitenflügel des Berliner Schadow-Hauses zu sehen. Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler reagieren hier auf das klassizistische Werk Johann Gottfried Schadows. Schwarzbach hat sich dafür Schadows Prinzessinnengruppe vorgenommen, die ikonische Doppelskulptur von Luise von Preußen und ihrer jüngeren Schwester Friederike. Ihr Pendant sind Porträts der Familie Ovitz, einer jüdischen Schaustellertruppe aus Maramures, einem kleinen Dorf im Norden Rumäniens. Sieben der zehn Kinder waren kleinwüchsig, weshalb die Artistenfamilie im Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und den Studien des Lagerarztes Josef Mengele ausgesetzt wurde.

Der Körper steht in Schwarzbachs Arbeiten im Zentrum. Es geht um Proportion und das Verhältnis von Norm und Ideal. Schönheit versteht die Künstlerin nicht im konventionellen Sinne und schlägt damit eine Brücke zu Schadow, der wegen seiner naturalistischen Darstellungsweise seinerzeit stark in der Kritik stand.

Schwarzbachs Porträts der Geschwister Rosika, Franziska, Avram, Frieda, Mordechai, Elisabeth und Perla sind eigenwillig und sehr sensibel. Die Künstlerin hat die Plastiken in den Galerieräumen auf Sockeln verteilt. Jede für sich. Wenige Details sind farbig gefasst, Teile des Gewands, des Haars, Münder und Augen. Aber eigentlich lässt Schwarzbach das Material, das Pappmaché, den Gips, die Bronze, das Eisen, wie es ist. Expressiv greift sie es an, schnell, intuitiv. Sie will, dass die Oberfläche arbeitet, Licht und Schatten. Was dabei herauskommt, nennt sie schlicht: barock. „Bei mir beginnt alles mit diesem Wust im Kopp“, sagt Schwarzbach, deren Brille weit vorne auf der Nasenspitze sitzt. „Man sitzt da, mit einem Klumpen Wachs, knetet und macht und hört und denkt. Mehr ist es eigentlich nicht.“

Sie kam 1968 nach Berlin und studierte zunächst Architektur

Für kleine Typen habe sie sich schon immer begeistert, sagt sie. Schwarzbach hat an einem Holztisch auf der Terrasse Platz genommen, ihr Mann serviert einen Teller Wassermelonenschnitze. 1968 kam sie nach Berlin, studierte Architektur an der Kunsthochschule in Weißensee und arbeitete danach bis 1975 am Palast der Republik. Aber irgendwie sei das nicht das Richtige gewesen, weshalb sie ein Abendstudium der Porträtplastik anschloss. Seitdem arbeitet sie freiberuflich als Bildhauerin. In den Achtzigern saß sie dann häufig im Atelier von Hans Scheib, Anatol Erdmann und Stefan Reichmann in der Raumerstraße in Prenzlauer Berg. Damals habe es nur ein Thema gegeben: Alberto Giacometti. Seine lang gezogenen Figuren seien das absolute Idol gewesen. Sie zeigt auf eine Frauenskulptur hinter sich. Ihre Gliedmaßen sind ebenfalls stark überstreckt. Nur: Sie sitzt in der Hocke. „Ich habe meine Figuren immer auf einen Meter runtergedrückt“, sagt Schwarzbach. „Die großen mochte ich nicht.“

"Eine Skulptur muss ein bisschen mehr sein als nur ein Porträt"

Schwarzbach stammt aus dem Erzgebirge, aus Schwarzenberg. Dort ist sie auch immer noch verhaftet, schon wegen der Arbeit ihres Vaters, des Formgestalters Hans Brockhage, der im Februar 2009 starb. „Er wollte sich zeit seines Lebens gegen das Erzgebirge zur Wehr setzen“, sagt sie. Eine Hassliebe soll es gewesen sein. Und ein guter Humus. Brockhage mochte die alten erzgebirgischen Schnitzereien. Nachdem er als Soldat im Zweiten Weltkrieg ein Bein verloren hatte, begann er 1945 eine Lehre zum Holzbildhauer und Drechsler. Das Holz war sein Material und blieb es.

Ihr Vater Hans Brockhage war Holzbildhauer - sie lässt die Finger vom Holz

Brockhages Arbeiten sind ebenfalls gerade in Berlin zu sehen, im Mauer-Mahnmal des Deutschen Bundestages. Massive Gebilde aus Stämmen und Blöcken, urwüchsig und spröde. Auch er ging vom Material aus, das in einem unmittelbaren Bezug zu seiner Heimat steht. Es sind Hölzer aus dem Erzgebirge, Mooreichen aus dem Bitterfelder Tagebau oder einfaches Schwemmholz.

„Mein Vater hat das Holz in die Knie gezwungen“, sagt Schwarzbach. „Manchmal mit einer Rigorosität, bei der man Gänsehaut bekam.“ Seinen Studenten habe er eingebläut, dass sich das Material einem unterwerfen müsse. Man dürfe keine Angst davor haben. Schwarzbach hat sich das zu Herzen genommen. Das Holz blieb für sie trotzdem tabu. „Da konnte ich einfach nicht ran“, sagt sie und wird leiser. Brockhage habe die Form nie gesucht, nur gefunden. Bei Schwarzbach ist es genau umgekehrt. Sie sucht die Form, die den Ausdruck bringt. Bei ihren Porträts geht sie von der Person aus, ihrem Wesen, dem des Cellisten Mstislav Rostropovich, den sie in Bronze goss, oder dem der Bauhauskünstlerin Marianne Brandt, der Lehrerin ihres Vaters, die für Schwarzbach ein „regelrechter Eisenofen“ war.

„Skulptur muss in den Himmel greifen, oder in die Hölle oder in die Gischt“, sagt sie. „Es muss einfach ein bisschen mehr sein als nur ein Porträt.“ Das Können sei bei ihr dann auch nicht das Ausschlaggebende. Eher das Wollen. Immer wieder neu anfangen. Wenn Schwarzbach eine Verbindung suchen müsse zwischen ihrem Werk und dem ihres Vaters, dann sähe sie diese am ehesten in der Intensität und der Konsequenz ihrer Arbeiten. „Irgendwo werden sich unsere Linien schon einmal treffen“, sagt sie und schaut hinüber zu ihrem Apfelbaum. „Irgendwo in der Ferne.“

Ausstellung „Menschen“ im Stilwerk Berlin, Kantstr. 17, bis 14.11.15; Bundestags- Doppelausstellung „Prinzessinnen“ (Schadow-Haus) und Hans Brockhage „Lange Schatten“ (Mauer-Mahnmal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus), bis 20.3.16

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