Bildhauerei und Architektur: Die Avantgarde mit Grünpflanzen
Das Krefelder Haus Lange zeigt Werke von Mies van der Rohe, Lehmbruck und Georg Kolbe.
Für die gern als „Weltausstellung“ bezeichnete „Internationale Ausstellung von Barcelona“ im Jahr 1929 entwarf Ludwig Mies van der Rohe den Pavillon des Deutschen Reiches, einen Bungalow am Hauptweg des Ausstellungsgeländes. Das temporäre, nichts als seine kostbare Ausstattung ausstellende Bauwerk erlangte nicht zuletzt durch vielfach publizierte Fotografien den Ruf als eines der Meisterwerke der Architektur-Avantgarde der Zwischenkriegszeit. Das nach Ausstellungsende abgebaute Haus wurde 1986 wiedererrichtet, ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Moderne.
Der Blick des Besuchers fiel damals und nun erneut durch eine gläserne Wand auf ein ummauertes Wasserbecken, in dem auf einem Sockel, asymmetrisch an den linken Rand versetzt, eine Skulptur steht, der „Morgen“ des Berliner Bildhauers Georg Kolbe. Das Zusammenspiel der in hohem Maße abstrakten Architektur und der figurativen Plastik wird seit jeher als besonders geglückt angesehen. Die Frage, warum Mies nicht einer gleichermaßen abstrakten Plastik den Vorzug gab, wird kaum je gestellt.
Merkwürdig – stand Mies doch in engem Kontakt mit der künstlerischen Avantgarde, so wenige Jahre zuvor bei der Arbeit an der programmatischen Zeitschrift „G. Material zur elementaren Gestaltung“, in der er seinen Entwurf eines gläsernen Hochhauses veröffentlichte. Berlin war in den frühen zwanziger Jahren, als auch Mies seine Hinwendung zur äußersten Moderne vollzog, ein Kreuzungspunkt künstlerischer Strömungen zumal aus dem Osten Europas, von wo wesentliche Anstöße zur Abstraktion ausgingen.
Mies besaß hingegen seit früher Zeit ein enges Verhältnis zu figurativer Skulptur. Es rührte aus seiner Bekanntschaft mit Wilhelm Lehmbruck, den er 1912 in Paris kennengelernt hatte und mit dem er 1915/16 in Berlin vertrauten Umgang pflegte. Für die Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ in Stuttgart 1927 – dem Jahr der von Mies geleiteten Weißenhofsiedlung – schuf Mies gemeinsam mit seiner damaligen Arbeits- und Lebenspartnerin Lilly Reich den „Glasraum“, der Entwurfsgedanken des Barcelona-Pavillons vorwegnimmt. Hinter Glasscheiben war dort Lehmbrucks Torso „Mädchen sich umwendend“ in einer im Freien zu denkenden Gebäudeecke aufgestellt.
Womöglich wollte Mies auch für Barcelona eine Skulptur des 1918 verstorbenen Lehmbruck erlangen; das gelang nicht. Die Entscheidung für Kolbes Skulptur, die heute als „Morgen“ bekannt ist, damals aber keinen Namen trug, fiel unter Zeitdruck kurz vor Fertigstellung des Pavillons. Es war „eine Art Zufallswahl in letzter Minute“, wie der Kunsthistoriker Dietrich Neumann in seiner jüngst erschienenen Monografie zum Barcelona-Pavillon ausführt. Nach Spanien verschifft wurde ein Gipsabguss; erst mit der Rekonstruktion 1986 wurde ein Bronzeabguss aufgestellt.
Die Beziehung zwischen Architektur und Bildhauerei
Es gibt nun aber ein Gebäude, das Mies als tatsächlich zu nutzendes Wohnhaus entwarf und in dem er die Aufstellung von Skulpturen vorsah: Haus Lange in Krefeld. In dem großzügig dimensionierten Haus eines wohlhabenden Fabrikanten und Kunstsammlers, das seit der Schenkung durch Langes Erben dem Krefelder Kaiser Wilhelm Museum zugehört, ist jetzt die Ausstellung „Lehmbruch – Kolbe – Mies van der Rohe“ zu sehen, die mit acht Skulpturen von Lehmbruck und sieben von Kolbe verdeutlicht, wie Mies die Beziehung zwischen Architektur und Bildhauerei beispielhaft gestaltete. Sogar die Wandsockel, die Mies in der Wohnhalle anbringen ließ, wie auch die in die Wände eingelassenen, verglasten Vitrinen wurden eigens wiederhergestellt. Für Architekturbegeisterte bietet die Ausstellung die einmalige Gelegenheit, dieses Zusammenspiel zweier künstlerischer Gattungen am authentischen Ort zu erleben.
Sylvia Martin, die die Ausstellung und den vorzüglichen Katalog erarbeitet hat, will einen Gegensatz zwischen abstrakter und figürlicher Plastik nicht gelten lassen. Über die beiden Bildhauer schreibt sie, „ihre figürlichen Skulpturen zielen auf Reduktion und Konzentration: Natürliche Haltungen werden zu plastischen Körpern umgesetzt und zugleich mit geistigen und seelischen Energien aufgeladen“. Das „kulturelle Klima, das Mies van der Rohe in den 1920er Jahren einatmet“, so Martins Urteil, „besteht nicht nur aus Avantgardekunst und radikalen Innovationen, sondern auch aus einem modifizierten klassischen Erbe, das im Spektrum der damaligen Kunstlandschaft großen Raum einnimmt“.
[Krefeld, Haus Lange, bis 29. August. Katalog im Hirmer Verlag, 35 €. www.kunstmuseenkrefeld.de – Dietrich Neumann: Zufall und Vision. Mies van der Rohes Barcelona Pavillon. Birkhäuser, Basel 2021, 49,95 €.]
Dafür spricht, dass Kolbes „Morgen“ bereits 1927 in einer Ausstellung im Münchner Glaspalast gezeigt worden war. Im Haus Lange dominiert der „Morgen“ in einer Gipsabformung des Berliner Originals, das für die Wohnanlage „Ceciliengärten“ geschaffen worden war, die Wohnhalle, fast dass die Hände die Decke berühren. Im angrenzenden „Zimmer der Dame“ steht Lehmbrucks „Mädchen“-Torso in rot getöntem Steinguss, dazu birgt die Wandvitrine Grünpflanzen, wie sie als Bestandteil neusachlicher Interieurs geradezu Mode waren.
Es ging um die Bestimmung von Architektur
Eine andere Gestaltungsvariante, die Mies und Lilly Reich einsetzten, ist in einem weiteren Wohnraum zu erleben: Dort steht Lehmbrucks „Mädchenkopf auf schlankem Hals (Kopf der Sinnenden)“ von 1913 vor einem sorgfältig gefältelten Vorhang aus semitransparentem Voile-Gewebe.
Bauherr Lange war in der Seidenindustrie tätig, und mehrfach gestalteten Mies und Reich Gewerbeausstellungen für Textilien wie auch für Glas. Der damals vieldiskutierte Gedanke der Übereinstimmung natürlicher und technischer Formen hat Mies beschäftigt. Vor allem aber ging es ihm um die Bestimmung von Architektur.
So führte er 1924 in einem Vortrag aus: „Die Mechanisierung kann niemals Ziel sein, muss immer Mittel bleiben. Mittel zu einem geistigen Zweck.“ Wenn Ausstellungskuratorin Martin anhand des „Mädchenkopfs“ über Lehmbruck schreibt, „sein Ziel ist jedoch, das Wesenhafte, Geistige der menschlichen Natur in materieller Form zu ergründen“, so kann man diesen Satz wohl auf das Ganze übertragen, das Mies mit seiner Architektur und deren Verbindung mit Skulptur im Sinn gehabt haben mag.
Haus Lange mit seinen edlen Materialien wie Travertin oder Makassar-Holz und dennoch beinahe ganz aus Backstein erbaut, findet im Zusammenklang mit den Skulpturen Lehmbrucks und Kolbes zu seiner Bestimmung als einem, wie Mies es ausdrückte, „geistigen Zweck“.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- showPaywallPiano:
- false