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Nachts auf der Friedrichstraße.

© R. Nippoldt/Taschen

Bilderbuch von Robert Nippoldt: Berlins wilde Zwanziger: Schwarz auf Champagner

Der preisgekrönte Buchkünstler Robert Nippoldt hat das Berliner Leben der Weimarer Republik in Zeichnungen gebannt. Eine Begegnung.

Das ist jetzt fast ein wenig unheimlich. Auf dem Weg zum Kurfürstendamm, zur Verabredung mit dem Zeichner, steigt an der Haltestelle Potsdamer Brücke ein Mann in den Bus. Der Zeichner hat das Berlin der Zwanziger in Buchform gebracht. Der Mann im Bus ächzt, ihn drückt ein schwerer Karton, auf dem in großen roten Lettern „Moka Efti“ steht. Das Moka Efti war ein legendärer Berliner Vergnügungstempel, der allerdings im Zweiten Weltkrieg in Trümmer fiel. So wie die ganze durch die Nationalsozialisten ausgelöschte Unterhaltungskultur.

Allerorten werden Glanz und Elend der ersten deutschen Republik derzeit wieder heftig mystifiziert. Auch in den die historischen Entwicklungen unzulässig vereinfachenden politischen Kommentaren, die angesichts des Erstarkens politischer Extreme, einer aufklaffenden Reich-Arm-Schere und eines zweifellos ermüdend visionsfreien parlamentarischen Betriebs „Weimarer Verhältnisse“ beschwören.

Die immense Aufmerksamkeitswelle für die Fernsehserie „Babylon Berlin“ (siehe links) zeigt es. Der Pappkarton im Bus zeigt es. Der Mythos der Zwanziger will einfach nicht vergehen. In Berlins umtriebiger Swingtänzer-Szene, auf den regelmäßig laufenden „Bohème Sauvage“-Festivitäten im Meistersaal, Wintergarten oder Heimathafen Neukölln, in unzähligen Comedian-Harmonists-Konzertabenden wird er mit immer neuer Begeisterung für Charleston-Tanz, Kakerlaken-Rennen und Absinth-Gelage zelebriert. Und auch seriöse Institutionen wie das Kino Arsenal und die Berliner Filmfestspiele sonnen sich gern in vergangenem Glanze: Am 15. Dezember startet im Arsenal eine umfassende Ernst-Lubitsch-Retrospektive. Und die Berlinale 2018 befasst sich ab dem 15. Februar mit dem Kino der Weimarer Republik.

Nachts auf der Friedrichstraße. Robert Nippoldt schaut den Showgirls in die Garderobe.
Robert Nippoldt schaut den Showgirls in die Garderobe.

© Abb: R. Nippoldt/Taschen

Hat der Illustrator Robert Nippoldt, dessen in nobles Leinen eingebundener Bildband „Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger“ an diesem Montag erscheint, jetzt also auch noch das Coffeetable-Book zum Hype vorgelegt? Ja und nein, wiegt der Zeichner aus Münster da den Kopf. Das sei zwar eine schöne Fügung, sagt er, das Projekt an sich aber bereits vor mehr als fünf Jahren entstanden.

Und wie er da so in brauner Tweedweste, ebensolcher Hose und Schiebermütze auf dem Kopf im Berliner Laden seines Verlags vor eigenen Zeichnungen steht, scheint die Epoche auch modisch nicht spurlos an ihm vorübergegangen zu sein. „Ich habe sogar im Stil der Zwanziger geheiratet“, teilt der Buchkünstler mit, der auch für Zeitungen und Magazine wie „Le Monde“, die „Zeit“ und den „New Yorker“ arbeitet. Allerdings nicht, weil er ein Nostalgie-Nerd ist.

Der 1977 geborene und an der Fachhochschule für Grafik und Illustration in Münster ausgebildete Buchkünstler pflegt einen eigenen, modernen Strich, doch thematisch und ästhetisch hat er sich hartnäckig von dieser Ära vereinnahmen lassen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Amerika. Und das auch noch erfolgreich. Seine Trilogie „Gangster: Die Bosse von Chicago“, „Hollywood in den 30er Jahren“ und „Jazz im New York der wilden Zwanziger“ hat außer Designpreisen auch Auszeichnungen wie „schönstes Buch des Jahres“ (Stiftung Buchkunst) oder „Filmbuch des Jahres“ (Deutsche Kinemathek Berlin) erhalten.

Fotografien vertraut keiner mehr

Bei der Recherche für die Bücher hat er in Chicago und New York in Archiven gewühlt und war beeindruckt. „Von der grafischen Kraft des Schwarzweiß und der eleganten Typografie, in der selbst die mit Tusche illustrierten Modeanzeigen gestaltet waren.“ Ein Ereignis wie das „Valentinstag-Massaker“ bei den Chicagoer Bandenkriegen von 1929 sei damals illustriert worden. „Und zwar so präzise wie eine Infografik.“ Dieser große Stellenwert der Illustration, den dann die Fotografie aushebelte, der hat ihn fasziniert und seinen Stil geprägt. Dank Photoshop sei die Entwicklung inzwischen wieder rückläufig, glaubt er. „Fotografien vertraut ja keiner mehr“. Die in ihrer Abstraktionskraft womöglich sogar wahrhaftigere Illustration dagegen sei auch durch die Renaissance der Graphic Novel wieder auf dem Vormarsch.

Das gilt auch für das Berlin der Zwanziger, dem der US-amerikanische Comiczeichner Jason Lutes schon vor einigen Jahren die ersten beiden Teile der Trilogie „Berlin – Bleierne Zeit“ gewidmet hat. Auch Volker Kutschers Gereon-Rath-Krimis, die die literarische Vorlage von „Babylon Berlin“ sind, haben den Comic-Zeichner Arne Jysch und die Illustratorin Kat Menschik zu Büchern wie dem jüngst erschienenen Band „Moabit“ inspiriert.

Im Gegensatz dazu liegt Nippoldts konsequent in Schwarz und einem Hellbronzeton namens „Champagner“ gehaltenem ideenreichen Bilderbogen aus 765 Zeichnungen aber kein literarischer Text zugrunde. Die differenzierten, die Stadt keineswegs beweihräuchernden Überblickstexte zur historischen, kulturellen, sozialen, infrastrukturellen Situation Berlins hat Boris Pofalla geschrieben. Ihm gelingen dichte Kurzbiografien zu den 57 Porträts zeitgenössischer Persönlichkeiten, die hinlänglich bekannte Größen wie Marlene Dietrich neben den heute vergessenen Varietéstar Thea Alba, „die Frau mit den zehn Gehirnen“, stellt.

Der Zeichner Robert Nippoldt im Selbstporträt.
Der Zeichner Robert Nippoldt im Selbstporträt.

© R. Nippoldt/Taschen

„Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger“ ist der Versuch, die Zeit, die Stadt und die Menschen in einem sinnlichen Kompendium zu erfassen. Mit einer erlesenen, teils handgeletterten, zeitgenössische Vorbilder paraphrasierenden Typografie. Mit doppelseitigen Grafiken, die Mode- und Tanzstile erläutern, die „Zeitungsstadt“ dokumentieren, einen Querschnitt des legendären Amüsiertempels Haus Vaterland zeigen – oder die Konterfeis der deutschen Reichskanzler „von links nach rechts“. Hier verhält sich die Größe des Kopfes proportional zur Verweildauer im Amt – und der übermächtigen Rübe von Adolf Hitler wird als Ausschnitt nur die Kinnpartie mit Mund und Bärtchen gewährt.

Alle 28 Rolltreppen bei Karstadt fuhren aufwärts

Außer Karten und Infografiken haben es Robert Nippoldt von Kindesbeinen an auch Quartettkarten samt den darauf zu findenden Infokästchen angetan. Also stattet er auch seine Zeichnungen von Menschen und Häusern damit aus. Dort finden Fakten Platz: „Die 28 Rolltreppen von Karstadt am Hermannplatz fuhren nur aufwärts, erst eine Stunde vor Geschäftsschluss wurde die Fahrtrichtung umgekehrt.“ Als Ordnungssystem dienen Miniaturgestalten und Ziffern im Fließtext. Sie verweisen auf Einzelporträts und den Sound der Großstadt. Der findet sich auf der hinten im Buch integrierten CD, die Nippoldt mit dem Berliner Swing-DJ Stephan Wuthe zusammengestellt hat. Eine weitere Ausbaustufe der transmedialen Zwanziger-Aneignung ist die Show „Ein rätselhafter Schimmer“, die Nippoldt als Livezeichner in Begleitung eines Musikertrios über deutsche Bühnen führt.

Der Titel des übrigens nicht durchgehend das nächtliche Berlin beschreibenden Buchs reflektiert durchaus den Untergang der aus den Trümmern der Monarchie hervorgegangenen und dann von der NS-Diktatur zerschlagenen Freiheit. Die letzten Bilder gehören Hitler, Hindenburg und dem brennenden Reichstag. „Dass die Leute das damals nicht haben kommen sehen!“, staunt Robert Nippoldt, wohl wissend, dass sich das in der Rückschau über jede Generation sagen lässt. Und doch wird auch ein Teil seiner Faszination von dem heute grassierenden Unwohlsein gespeist, dass die restriktive Gesellschaft nur einen Wimpernschlag von der liberalen entfernt sein könnte.

Robert Nippoldt, Boris Pofalla: Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger, Taschen, Hardcover mit CD, 224 Seiten, 49,99 €. Ab 14. Dezember werden Robert Nippoldts Zeichnungen im Taschen Store, Schlüterstr. 39, in Charlottenburg ausgestellt. Ausstellungseröffnung ist um 19 Uhr.

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