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Tihana Lazović in Dalibor Matanićs Episodenfilm „Zvizdan“, der drei kroatisch-serbische Liebesgeschichten erzählt.

© Kinorama

Bilanz zum Filmfestival Sarajevo: Die Hoffnung ist weiblich

Starke Geschichten aus der jüngsten Geschichte: Eindrücke vom 21. Filmfestival Sarajevo, bei dem das türkische Schwesterndrama "Mustang" den Hauptpreis gewann.

Es lief schlecht zwischen Serbien und Kroatien im August. Politiker und Publizisten tauschten harsche Worte aus, auf beiden Seiten steigerte sich der Nationalismus in fiebrige Temperaturen. Der Hauptgrund dafür war der 20. Jahrestag der Operation „Oluja“, mit der die kroatische Armee die einjährige Existenz der Republik Serbische Krajina auf kroatischem Territorium beendet hatte. Die serbische Bevölkerung war gewarnt worden, weshalb die Zahl der Todesopfer verhältnismäßig gering blieb, doch zwischen 180 000 und 200 000 Menschen mussten vom einen auf den anderen Moment fliehen. Bis heute ist die Gegend dünn besiedelt, wenige Serben trauen sich, in ihre alte Heimat zurückzukehren.
Man kann sie verstehen, wenn man die Militärparaden und Feierlichkeiten verfolgt hat, mit denen in Kroatien an den Sieg erinnert wurde. Im Serbien wiederum proklamierte Premier Aleksandar Vučić den 5. August trotzig zum nationalen Trauertag, und Präsident Tomislav Nikolić verglich Kroatien mit dem faschistischen Ustascha-Staat, der zwischen 1941 und 1945 existiert hatte.

Wenn sich Geschichte wiederholt

Zu den wenigen Lichtblicken während dieses unerfreulichen Szenarios gehörte ein Film, der den Wettbewerb des 21. Filmfestival von Sarajevo eröffnete: Die serbisch-kroatisch-slowenische Koproduktion „Zvizdan“ („The High Sun“), inszeniert vom kroatischen Regisseur Dalibor Matanić. Das Drama ist in drei Episoden unterteilt, die jeweils im Abstand von zehn Jahren in einer ländlichen Gegend Kroatiens spielen. Beginnend 1991, als der Krieg ausbrach, steht drei Mal steht ein anderes kroatisch-serbisches Liebespaar im Mittelpunkt, das aber immer von denselben Schauspielern (Tihana Lazović und Goran Marković) verkörpert wird. Das irritiert kurzzeitig, illustriert jedoch auf einleuchtende Weise die Universalität der erzählten Schicksale sowie Matanićs Überzeugung, dass sich Geschichte wiederholt. Er selbst, so beschrieb er es nach der Festivalpremiere, habe in seiner Familie oft gehört, wie von „Anderen“ gesprochen wurde. „Auf dem Balkan scheint eine Art Code des Hasses und der Intoleranz zu existieren. Davon hatte ich die Nase voll“.

Die Tür bleibt einen spaltbreit offen

Sein sorgsam fotografierter Film voller wunderschöner Sommerlandschaften, der bereits in Cannes den Jury-Preis der Reihe „Un Certain Regard“ gewann, ist auch der Versuch, einen Ausweg aus der Hassspirale zu zeigen. In der ersten, Romeo-und Julia-artigen Episode gelingt das noch nicht, sie endet für den kroatischen Mann tödlich, ebenso wenig in der zweiten 2001 spielenden Geschichte zwischen einer serbischen Rückkehrerin und einem kroatischen Handwerker. Doch 2011 gibt es schließlich einen Spalt breit Hoffnung: Das Schlussbild zeigt eine offene Tür – die Serbin lässt sie für den Kroaten offen, der sie und ihr Baby einst im Stich gelassen hat.

Die Zerfallskriege Jugoslawiens und ihre Folgen spielen auf dem Festival, das noch während der serbischen Belagerung Sarajevos gegründet wurde und den Fokus Filme aus Südosteuropa legt, stets eine wichtige Rolle. So fällt das Wort Krieg in Ines Tanovićs ebenfalls im Wettbewerb gezeigter Debütspielfilm „Naša svakodnevna priča“ („Our Everyday Life“) schon während der ersten 15 Minuten drei Mal. Was gar nicht nötig wäre, denn man begreift auch so, dass die im Zentrum stehende Mittelschichtfamilie aus Sarajevo exemplarisch für viele ähnliche Familien steht, die mit den widrigen Verhältnissen der Nachkriegsgesellschaft ringen. Vater Muhamed (Emir Hadžihafizbegović) wird nach der Privatisierung seiner Firma vorzeitig zum Pensionär. Seinen Frust lässt er an seinem arbeitslosen, apathischen Sohn Saša (Uliks Fehmiu) aus, dessen Körper von großen Narben gezeichnet ist. Mit Zigaretten, Tabletten und Alkohol mildert der 40-Jährige seine körperlichen und seelischen Schmerzen.

Präzise Dialoge, direkt aus dem bosnischen Alltag

Hoffnungsträgerinnen sind die Frauen: die schwangere Schwester, die einst mit einem Kindertransport aus der Stadt gebracht wurde und eine ebenfalls als Kind geflüchtete Künstlerin, die jetzt in den USA lebt. Die Stärke der in Sarajevo lebenden Ines Tanović, die bisher vor allem Dokumentationen und Kurzfilme gedreht hat, sind die genaue Allagszeichnung und die präzisen Dialoge. Sie verleihen dem Werk eine fast dokumentarische Qualität, die beim lokalen Publikum einen unmittelbaren Wiedererkennungseffekt auslöste.

Wie intensiv die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den Ländern Ex-Jugoslawiens ist, zeigten auch diverse Dokumentation. Jeweils zwei Filme befassten sich beispielsweise mit dem Massaker von Srebrenica, das sich gerade zum 20. Mal jährte. Zwei weiter thematisierten das Attentat von Gavrilo Princip auf den österreich-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie. Herausragend war hier „Jedan dan u Sarajevo“ (Ein Tag in Sarajevo) der Berlinale-Gewinnerin Jasmila Žbanić, die den 100. Jahrestag des Anschlags zum Anlass nahm, ihre Mitbürgerinnen- und bürger dazu aufzurufen, ihr private Videos von diesem 28. Juni 2014 zuzuschicken. Sie kombinierte eine Auswahl des Materials mit eigenen Aufnahmen von dem Trubel an diesem Tag sowie historischen Spielfilmszenen, die Franz Ferdinands Tod nachstellen.

Aufnahmen aus dem geschlossenen bosnischen Landesmuseum

Uliks Fehmiu (l.) und Emir Hadžihafizbegović als Sohn und Vater in "Naša svakodnevna priča".
Uliks Fehmiu (l.) und Emir Hadžihafizbegović als Sohn und Vater in "Naša svakodnevna priča".

© Dokument

Die kurzweilige Collage zeigt nicht nur teils völlig konträre Einschätzungen des Ereignisses, sondern wirft auch einen liebevollen Blick auf den Alltag der Stadt: im Taxi, beim Friseur, in der Schlange beim Bäcker, bei einer alte Dame, die auf ihrem Balkon Mundharmonika spielt. Besonders eindrucksvoll sind die Aufnahmen, die der Leiter der Archäologischen Abteilung des bosnischen Landesmuseums beigetragen hat. Während seine Kamera über leere Vitrinen schweift, erklärt er, dass das Museum am Tag des Anschlags auf Franz Ferdinand hätte eröffnet werden sollte. Trotz des schlechten Starts arbeitete es im letzten Jahrhundert erfolgreich – bis es vor drei Jahren geschlossen wurde. Der Staat stellte die Finanzierung des Museums ein, das die Geschichte des Landes zeigt. Die Angestellten kamen trotzdem weiter zur Arbeit, um die vier Millionen Objekte der Sammlungen vor Diebstahl und Verfall zu schützen. Unbezahlt. Während des Filmfestivals starten sie eine viel beachtete Aktion, mit der sie um Unterstützung warben. Viele Künstler, Sportler und Bürger kamen und demonstrierten für eine Wiederöffnung des Hauses.

Weg mit den stereotypen Frauenfiguren

Die Existenz des Filmfestivals ist ebenfalls keine Selbstverständlichkeit. Obwohl es sich zum wichtigsten der Region entwickelt hat und regelmäßig Hollywood-Stars zu Gast sind – diesmal stellte Benicio Del Toro seinen neuen Film vor –, muss Direktor Mirsad Purivatra jedes Jahr um die Finanzierung kämpfen. Der staatliche Zuschuss zum diesjährigen Budget von 1,1 Millionen Euro lag bei rund einem Drittel, der Rest kam von Sponsoren.

Das Filmfestival hat neben seiner (film-)wirtschaftlichen und künstlerischen eine immense symbolische und politische Bedeutung, weil es Bosnien von seiner strahlenden, leistungsstarken und fortschrittlichen Seite zeigt. Programmatisch war in dieses Hinsicht schon der diesjährige Auftakttag mit einer internationalen Konferenz zur Situation von Frauen in der Filmindustrie, bei der sowohl für eine größere Präsenz von Regisseurinnen als auch für mehr unstereotype Frauenfiguren geworben wurde. Um beides bemüht sich das Festival vor allem im Wettbewerbsprogramm seit langem. So stammten diesmal drei der zehn Filme von Frauen, hinzu kam Anna Muylaerts Eröffnungsfilm „Der Sommer mit Mamã“, der gerade hierzulande angelaufen ist.

Im Siegerfilm "Mustang" kämpfen fünf Schwestern um ihre Freiheit

Die Jury um den rumänischen Berlinale-Gewinner Călin Peter Netzer entschied sich ebenfalls für Frauenpower und zeichnete „Mustang“ der türkischen Regisseurin Deniz Gamze Ergüven mit dem Hauptpreis aus und prämierte zudem das Darstellerinnenensemble. Die fünf Mädchen und jungen Frauen spielen Schwestern, die von ihrer Familie im eigenen Haus wie Gefangene bewacht werden. Was zunächst wie eine Variation auf Sofia Coppolas „Virgin Suicides“ aussieht, entwickelt sich bald zu einem spannenden Ausbruchsdrama mit märchenhaften Zügen. Getragen von der hinreißenden Günes Sensoy in der Rolle der jüngsten Schwester, zeigt „Mustang“: Mädchen mit Mut können alles schaffen. Vielleicht inspiriert das ja ein paar junge Zuschauerinnen, es selbst mal mit dem Filmemachen zu probieren. Wiedersehen in Sarajevo nicht ausgeschlossen.

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