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Protest. Theaterschaffende vor der russischen Botschaft Unter den Linden in Berlin.

© dpa

Bewährungsstrafe für Kirill Serebrennikow: Urteil zur Abschreckung

Der Theaterregisseur Kirill Serebrennikow wurde schuldig gesprochen. Weltweit gibt es Protest.

Vor dem Gerichtssaal flossen Tränen, als Richterin Olessja Mendelejewa am Freitag das Urteil in dem Prozess gegen den Regisseur Kirill Serebrennikow und seine Mitarbeiter verkündete. Der Künstler und seine zwei Mitangeklagten seien schuldig, „einen Betrug in besonders großem Ausmaß“ begangen zu haben. Sie sollen umgerechnet rund 1,7 Millionen Euro an staatlichen Geldern unterschlagen haben, die das Kulturministerium für das Theaterprojekt „Platforma“ zur Verfügung gestellt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte am Montag sechs Jahre Gefängnis für den Regisseur beantragt. Das Gericht entschied auf eine Bewährungsstrafe von drei Jahren.

Das Verfahren gegen Serebrennikow machte von Beginn an den Eindruck, hier sollte ein Exempel statuiert werden, um kritische Intellektuelle einzuschüchtern und zu disziplinieren. Doch zwischenzeitlich schien es, als könnten die Traditionen russischer Justiz durchbrochen werden, nach denen die Anklage in mehr als 90 Prozent der Fälle mit dem Urteilsspruch identisch ist. Hinter dieser Übereinstimmung steckt der Gedanke, dass sich zwei Staatsorgane, die Staatsanwaltschaft und die Richter, ja nicht widersprechen dürfen. Für Serebrennikow gab es eine Welle internationaler Solidarität, aber auch in Russland selbst, und dort sogar von einer Reihe kremlnaher Intellektueller. In einem ersten Verfahren wurde der Regisseur überraschend freigesprochen.

Doch die Staatsanwaltschaft ließ es nicht darauf beruhen und strengte ein neues Verfahren an, in dem sie nun ihr Ziel erreichte. Das Gericht bezeichnete es als erwiesen, dass die Angeklagten eine „kriminelle Gruppe“ gebildet hätten, deren Anführer Serebrennikow sei. Die erste Instanz hatte in dem Verfahren auf derselben Ermittlungsgrundlage die Beweisführung der Staatsanwaltschaft als unzureichend für eine Verurteilung erachtet.

Der Regisseur bezeichnete das Kulturministerium „giftiges Kontor“

Der treibende Faktor dieses Verfahrens war nur vordergründig der Vorwurf des Subventionsbetrugs, in Wahrheit ging es um Zensur. Der Fall Serebrennikow macht die Unterschiede zwischen sowjetischer und putinscher Zensur sichtbar. Die sowjetische war brachial und berechenbar. Ideologiesekretäre der Partei und die Kulturbürokratie zogen Grenzen und gingen nach Regeln vor. Die Kulturbürokratie zu überlisten, war die intellektuelle Herausforderung für die Künstler.

List ist jedoch kein Mittel gegen die aktuelle Zensur, weil die auf den ersten Blick nicht über ideologische Grundsätze funktioniert. Die gibt es aber doch, sie werden nur subtiler in Anschlag gebracht. Die Methode ist Verunsicherung, ihre effektiven Werkzeuge – wie sich jetzt erneut herausstellt – sind Finanz- und Strafverfolgungsbehörden. Gleichzeitig wirkt der immer stärker werdende konservativ-autoritäre Diskurs, der nicht nur auf eine verbale, sondern auf eine tatsächliche Verbannung aus der Mehrheitsgesellschaft zielt.

Serebrennikow musste zur Strecke gebracht werden, weil er sich als kritische Stimme gegen die russische Kulturpolitik zu erkennen gegeben hatte. So fehlt beispielsweise seine Unterschrift unter der Ergebenheitsadresse, die russische Intellektuelle Wladimir Putin nach der Präsidentenwahl 2012 darbrachten. Seine Kritik erneuerte er am Dienstag vor Gericht dann ein weiteres Mal. Das Kulturministerium bezeichnete er darin als „giftiges Kontor“. Sein Projekt „Platforma“ sei dem „ganzen System einer Kultur der Bürokratie und Loyalität ontologisch fremd“.

Zuletzt rezitierte Serebrennikow dann noch ein Gedicht von Josif Brodsky, „Das Ende einer schönen Epoche“. Da scheint der Künstler den Ausgang schon geahnt zu haben. Die vierte Strophe beginnt: „Bewegungslos ist dieses Land. Bedenkt man nur einmal den Kropf/der Schutzwälle Eisen und Blei, da schüttelt man blöde den Kopf,/denkt an frühere Macht, auf Säbel gepflanzt und auf Peitschen.“ (Nachdichtung: Eric Boerner)

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