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Besetzt kurz nach der Wende: die Liebigstraße 14 in Berlin-Friedrichshain. Mit Farbbeuteln werden restaurierte Altbauten beworfen, um gegen Mieterhöhungen zu protestieren. Aufgenommen am 4. Dezember 2009.

© Kitty Kleist-Heinrich

Besetzung der Berliner Volksbühne: Als die "Bewegung" noch Bedeutung besaß

Die 68er und die Hausbesetzer der Wendezeit hatten politische Visionen. Die Besetzer der Volksbühne treibt eine eher diffuse Sehnsucht an.

Was waren das für Zeiten: Da bellt der Professor die aufmüpfigen Studenten an, er gebe ihnen „fünf Minuten Zeit. Entscheiden Sie, ob meine Vorlesung stattfinden soll oder nicht!“ Nein, sollte sie nicht. Drei Studentinnen treten vor, entblößen ihre Busen – und der Professor, Aktenmappe vorm Gesicht, flieht entgeistert aus der Tür.

Der Ort war die Frankfurter Uni, der Tag der 22. April 1969, die Vorlesung galt der „Einführung in das dialektische Denken“. Der Professor hieß Theodor W. Adorno. Drei Wochen später war der 65-Jährige tot, gestorben an einem Herzinfarkt, für den die Nachwelt die Studenten mitverantwortlich machte. Jedenfalls war aus dem Happening bitterer Ernst geworden. An die Stelle der theoretischen Reflexion war reale, wenn auch symbolisch vermittelte Gewalt getreten.

Immerhin, die Studenten eigneten sich die Universität an, den Lehrbetrieb, in dem sie bis dahin nur als Objekte vorgekommen waren. Das war der Kern und der bleibende Gehalt von Studentenbewegung und 68er-Krawallen: Es ging darum, aus der alten Ordinarienuniversität eine mitbestimmte Lehr- und Lerneinrichtung zu machen. Dass die Hochschulreformen der frühsiebziger Jahre sich alsbald im Dickicht der Drittelparität verhedderten, sei nicht verschwiegen. Der Impuls all der Instituts- und Rektoratsbesetzungen war ein anderer – einer derjenigen, die die bundesdeutsche Gesellschaft ruckweise in die gesellschaftliche Moderne stieß. In West-Berlin gab es Ende der Siebziger neuerlich Besetzungen, diesmal aber von Wohnhäusern mit leer stehenden Wohnungen, während Familien, Studenten, Alleinerziehende händeringend Wohnungen suchten. Im Dezember 1980 kam es zu einer ersten Straßenschlacht in Kreuzberg. Das war dann schon sehr reale Gewalt; später gab es einen Toten bei einer Demonstration.

Nun also die Volksbühne - wofür stehen die Besetzer?

Bis Juni 1981 wurden 165 Häuser besetzt oder „instandbesetzt“, ein Hinweis auf den planmäßigen Verfall, dem die Eigentümer die Häuser aussetzten, um deren Abriss zu erzwingen. In anderen westdeutsche Städten wurden gleichfalls Häuser oder leer stehende Gewerbebauten besetzt; nach der Wende kamen ostdeutsche Städte hinzu. Immer ging es zum einen um preiswerten Wohnraum, zum anderen um „selbstbestimmte“ Räume, um Freiflächen für Kunst, Aktionen, Theater.

Auch hier ruckte die Gesellschaft ein gutes Stück voran: Der klandestine Zusammenhang von Stadtsanierung und Spekulation wurde – jedenfalls in Kreuzberg-„SO36“ – zerrissen, die „behutsame Stadterneuerung“ das Modell der Stadtpolitik, ja die Verantwortung der Politik für die Unterbringung der Bevölkerung wieder zu Bewusstsein gebracht, nachdem zuletzt der Filz immer dicker gewuchert war, nicht allein in West-Berlin.

Nun also die Volksbühne. Noch ist nicht recht klar, wer die Besetzer sind; hinter ihnen steht nicht, wie seinerzeit, ein intellektuell artikulierter SDS, auch nicht, wie bei den Hausbesetzern, eine eher brachiale „Szene“ unter dem Motto „Macht kaputt, was euch kaputt macht“.

Ein Theater ist ein Theater und kein Spekulantenwohnhaus

Was die Besetzer an großen Zielen vorschieben, bis hin zum allgegenwärtigen Schreckgespenst der „Gentrifizierung“, klingt im linken Milieu natürlich prima. Aber auch nur einen Moment lang. Denn es fehlt der Aktion ein fassbares Gegenüber. Die 68er kaperten die Universität – das war ihr Lebensraum. Die Hausbesetzer besetzten Wohnraum, da ging es erst recht um vitale Interessen. Nicht jede Besetzung, ob Institut oder Abrisshaus, mochte im Einzelfall zu einem guten Ende führen. Doch die Gesamtheit dessen, was man als „Bewegung“ bezeichnen mochte, besaß allgemeine Bedeutung, brachte ein gesellschaftliches Problem und den Unmut darüber zum Ausdruck, wirkte als Katalysator – ja doch – des gesellschaftlichen Fortschritts.

Darin liegt der große Unterschied zum Volksbühnen-Spektakel. Nicht einmal symbolisch kommt hier das Ringen um eine „gute“ Politik zum Ausdruck. Ein Theater ist ein Theater und eben kein Spekulantenwohnhaus. In der Studentenbewegung wurde derlei als „Sektierertum“ gegeißelt.

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