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Denken macht müde. Bernard-Henri Lévy in "Looking For Europe".

© Yann Revol

Bernard-Henri Lévy in Berlin: Drei Aspirin und eine Kurpackung Husserl

Frankreichs Starintellektueller Bernard-Henri Lévy hält in Berlin einen Monolog für Europa.

Von Gregor Dotzauer

Zum Teufel mit Brüssel und seinen derzeitigen Institutionen. Verlegen wir den Verwaltungssitz Europas nach Sarajevo, wo 1914 das Herz unseres derzeit so unglücklichen Kontinents zum ersten Mal zu schlagen aufhörte. Die europäische Zentralbank zieht um nach Babyn Jar, jene ukrainische Schlucht, in der Sondereinheiten der SS 1941 Zehntausende von Juden umbrachten. Der Europarat tagt künftig auf Lampedusa. Und Charpentiers als Eurovisionshymne abgenudeltes Prélude aus dem Te Deum wird durch Mozarts „Don Giovanni“ ersetzt.

So stellt es sich Bernard-Henri Lévy vor – oder einer, der mit ihm starke Ähnlichkeiten hat. Denn der temperamentvolle Intellektuelle, der da mit mächtigen Armamplituden auf der Bühne der Urania herumrudert und sein halb verzweifeltes, halb ermutigendes Donnerwort an die „amis de Berlin“ richtet, ist eine literarische Fiktion. Zwei Stunden vor einer Konferenz in Sarajevo, die den „dritten Selbstmord“ Europas verhindern soll, sitzt er in seinem Hotelzimmer und rauft sich die Haare, worüber er seine Eröffnungsrede halten soll.

Eine Migräne hat von ihm Besitz ergriffen, die er mit drei Aspirin und einem ordentlichen Schluck Whisky wegzuspülen versucht. So, wie er sich abwechselnd in die Wut einer enttäuschten Liebe hineinsteigert und dann das Lob einer unzerstörbaren Kultur singt, ist er eigentlich eine multiple Persönlichkeit – und seine Ein-Mann-Show der gelebte Plural eines Kampfes mit Gespenstern, den ein Einzelner gar nicht gewinnen kann. Insofern ist sein auf Französisch stattfindender Abend „Looking for Europe“ von Anfang an klüger als jener Verlautbarungshumanismus, dem er sich unter dem Markenlogo BHL sonst hingibt: ein ganz auf Performance getrimmtes Kompetenzversprechen, das immer allzu genau zu wissen vorgibt, was zu denken und zu meinen ist. Hier taumelt der auch mit 71 Jahren noch mitreißend jugendliche BHL von Aufschwung zu Abbruch und fährt sich regelmäßig in die eigene Parade.

Anruf von Salman Rushdie

Auf die Schwächen dieses Monologs kann man sich schnell einigen. Dass Lévys Europabild bei seiner tour d'horizon durch die nationalen Kulturen sowohl in Richtung Norden wie in Richtung Osten, wo nach Lichtgestalten wie Václav Havel nun vor allem Viktor Orbán sein Unwesen zu treiben scheint, blinde Flecken enthält. Dass der Schauspieler mit dem Rhetor nicht Schritt hält. Dass es überhaupt immer wieder angestrengt theatert, wenn es an der Türe klopft oder ein Videoanruf von Salman Rushdie das Geschehen auflockert. Und dass er mit seinen Predigten offene Türen einrennt.

Die Stärken lassen sich genauso wenig leugnen. Wie BHL gerade das geistig Heterogene und Hybride als europäische Bindekraft entwirft, gibt ihm die Freiheit, gegen Vereinfacher aller Couleur auszuteilen. Die Rechtspopulisten der AfD kriegen in Gestalt von Alexander Gauland, Jörg Meuthen und Alice Weidel ebenso ihr Fett weg wie die Linkspopulisten der spanischen Podemos oder Jean-Luc Mélenchon von der französischen Parti Gauche, die „Krawallmacher“ von Chemnitz oder die gewalttätigen Chaoten unter den „gilets jaunes“.

Das alles ist reich an spezifisch deutschen Einlassungen und eingebettet in einen Diskurs, der einen Bogen von der griechischen Mythologie über den mittelalterlichen Talmudismus bis zum deutschen Idealismus schlägt. Kopfschüttelnd fragt er sich, wie der ressentimentgeladene Peter Sloterdijk das Erbe von Fichte und Hegel antreten konnte, und wenn er als aktuelle SMS verliest, dass vor der Deutschen Oper gerade eine Schlägerei zwischen Anhängern von Wagner und von Mozart stattfinde, schleicht sich sogar ein ungewohnter Witz in sein urfranzösisch bebendes Pathos ein.

Eloge auf Angela Merkel

Dann wieder setzt er an zu einer Eloge auf Angela Merkel, wie sie seit Jahren nicht mehr zu hören war. In der Migrationsfrage und ihrem päpstlichen „Wir schaffen das“ habe sie die Ehre Europas und die Tradition von Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller gerettet. Aber bevor es ihn in seinem Plädoyer für eine „Politik der Gastfreundschaft“ davonträgt, bricht er schon wieder ab. Edmund Husserls nicht zuletzt gegen seinen Schüler Martin Heidegger gerichteter Vortrag über „Die Philosophie in der Krisis der europäischen Menschheit“ aus dem Jahr 1935 rückt in den Blick, und gleich darauf der Prager Rabbi Löw – beides Figuren, auf deren Schultern er einem mit der Duldung von Baschar al-Assad und Vladimir Putin auf die schiefe Bahn geratenen Europa einen Neubeginn zutraut.

Der Weg in den Untergang begann aus seiner Sicht vor einem Vierteljahrhundert in Sarajevo. Nach der Anerkennung von Bosnien und Herzegowina durch die EU brach dort ein völkermörderischer Bürgerkrieg los, in dem sich BHL bedingungslos auf die Seite der bosnischen Muslime und ihres Führers Alija Izetbegovic schlug. Damals entstanden das Tagebuch „Le lys et la cendre“ (Die Lilie und die Asche) sowie der Dokumentarfilm „Bosna!“. In „Looking for Europe“ flackern immer wieder Filmszenen aus jener Zeit auf, und er kokettiert damit, dass das Akronym seines Namens auch für „Bosnie Hercégovine Libre“ stehe.

Selbst nach knapp zwei Stunden ist allerdings keine brauchbare politische Handlungsanweisung in Sicht. Das mag nicht die Aufgabe eines solchen Abends sein. Doch wer wie BHL von einer Regierung der Vereinigten Staaten von Europa träumt, in der Dichter und Denker Ministerien verwalten, sollte zumindest eine Ahnung haben, wie sich deren Status mit den Anforderungen praktischer Politik verträgt. Unter anderem würden bei BHL der Aufklärer John Locke das Ministerium für Menschenrechte übernehmen, Goethe das Kulturressort, Thomas Mann und die Seinen das Familienministerium, George Soros (zusammen mit Mutter Teresa!) die Finanzen, Henri Bergson das Lachministerium. Und Michel Houellebecq, mit dem er sich in „Volksfeinde“ (DuMont) einen scharfen Briefwechsel lieferte, der linken Gerechtigkeitssinn und reaktionären Skeptizismus idealtypisch aufeinanderprallen lässt, das Tierrechtsministerium. In solchen Momenten scheint er selbst nicht ganz gegen die einfachen Rezepte gefeit, die er anderen zurecht vorwirft.

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