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Stuart Skelton als Tristan, Eva-Maria Westbroek als Isolde in Badsen-Baden.

© dpa/Uli Deck

Berlins Philharmoniker mit "Tristan" in Baden-Baden: Und ewig schäumt das Meer

Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker eröffnen ihre Osterfestspiele mit „Tristan und Isolde“ in Baden-Baden. Mariusz Trelinski inszeniert - und greift tief in die Symbolkiste.

Wenn die Möwen kommen, kann nichts mehr schiefgehen. Dann weiß der Zuschauer, dass Tristan und Isolde jetzt wieder abheben, in die Traumwelt ihrer Liebe abdriften und sich damit den Freiraum erobern, den ihnen eine gnadenlos auf ihren Verpflichtungen bestehende Realität verweigert. Die flatternden Tierchen, körperlose Projektion des Videokünstlers Bartek Macias, sind nicht das einzige Klischee, das uns an diesem Eröffnungsabend der Baden-Badener Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker erwartet.

Regisseur Mariusz Trelinski vom Teatr Wielki Warschau überfrachtet Richard Wagners bahnbrechende Oper mit Symbolen. Da dreht sich ein Schicksalsrad auf dem noch geschlossenen Vorhang, wenn Sir Simon Rattle am Philharmoniker-Pult die ersten feinen, filigranen, zartschimmernden Fäden des „Tristan“-Vorspiels quasi aus dem Nichts erstehen lässt. Oder ist es ein Fadenkreuz? Eine Zielscheibe? Ein Schiffsbug wird darin erkennbar, und natürlich schäumt das Meer. Ach ja, des Meeres und der Liebe Wellen. Und so schwappt es auf und nieder, dräuen finstere Wolken, wabern unheilvolle Nebel – an den Schlüsselstellen des Werkes kann man sich darauf verlassen.

Natürlich spielt das Meer eine wichtige Rolle, denn „Tristan und Isolde“ ist eigentlich die Geschichte einer Schiffsreise, auf der die irische Königin Isolde von Tristan, den sie heimlich liebt, obwohl er ihren früheren Geliebten erschlug, zu dessen Ziehvater König Marke als Braut und Kriegstrophäe gebracht werden soll. Trelinski will hier eine aktuelle militärische Komponente betonen, mit Insignien wie Uniformen (Kostüme: Marek Adamski), Suchlichtern, Monitoren. Boris Kudlicka hat ihm drei enge Kästchen gebaut, in denen sich das Liebespaar umschleicht, zurückweist und erst nach Brangänes Liebestrank blitzartig erkennt. Manchmal werden ihre Gesichter überdeutlich auf Bildschirmen gezeigt. Enge Gitterstäbe, ein Treppengewirr daneben, das sind oft gesehene Inszenierungs-Ingredienzien, die eine Welt der Unterdrückung und Kontrolle brandmarken sollen.

Der Wust an Bildmaterial lässt wenig Raum für Personenführung

Das alles ist nicht unplausibel und doch zu viel des Guten. Der Regisseur, selbst ursprünglich aus der Filmbranche, will das Operngeschehen filmgerecht zuschneiden. In Guckkästen verkleinert er es auf Bildschirmformat, erzeugt Brechung der großen Gefühle ohne kritischen Erkenntnisgewinn – und zerstört das doch angestrebte Gesamtkunstwerk durch zu viel unserer Medienwelt entstammendes Bildmaterial, das wenig Raum für Personenführung lässt und zudem vor allem der Musik eklatant widerspricht.

Denn die hat schon alles, was die Bildebene zwar symbolisch verdoppelt, als Beziehung auf der Bühne aber fast nie zeigt: Das Fluten und Wogen der Gefühle, die feinen Zwischentöne der Anziehung und Abstoßung, das organische Anwachsen und wieder Zusammenfallen. Was Sir Simon im Graben zaubert, ist die Frucht einer langen Reise mit seinem Orchester durch französische Klangwelten, einer konsequenten Erziehungsarbeit. Hell und funkelnd klingt sein „Tristan“ wie die Vorstufe des „Pelleas“, der er ja de facto auch war, bei aller Wagner-Ablehnung Debussys. Im polyphon durchbluteten Klanggewebe prunken erlesene Soli; nur selten schäumt das Orchester machtvoll auf, bei der „Nacht der Liebe“, in „Isoldes Liebestod“. Die hochpräzise unterstützten Sängerstimmen können sich so wunderbar entfalten. Eva Maria Westbroek ist eine starke, selbstbewusste Isolde, die gerade dadurch auch Schwäche und Begehren zeigen kann. Ihr schwerer Sopran bleibt trotz eines großzügigen Vibratos erstaunlich klar, bezeugt glaubhaft emotionale Intensität. Am schönsten die flirrenden Spitzentöne in lyrischer Zurücknahme, die sich betörend mit dem schlanken, nuancenreichen Tenor Stuart Skeltons als Tristan vereinen. Der gibt eine bodenständige Figur, der man lieber die anfängliche pflichtbewusste Gleichgültigkeit glaubt als die Liebesraserei. Stimmlich jedoch ist er durchaus zur Leidenschaft fähig, so dass der zweite Akt zum berührenden Herzstück des Abends wird – wenn sich die Szene auch Ekstase versagt und im entscheidenden Moment wieder Zuflucht zum Videokitsch explodierender Galaxien nimmt.

Musikalisch bewegend, szenisch fragwürdig

Schade, dass den Protagonisten bei den mörderischen Anforderungen des dritten Aktes dann doch die Kraft ausgeht, dessen Längen sich auch durch „Tristan als Kind“ zu seiner melancholischen Herkunftserzählung nicht schlüssig bebildern lassen. Sarah Conollys Brangäne bleibt trotz interessanten Timbres chargierend blass; Stephen Milling ist ein warm und edel tönender, großherziger König Marke. Michael Nagy als Kurwenal, Roman Sadnik als Tristans Widersacher Melot, Thomas Ebenstein als Hirt und Seemann sowie Simon Stricker als Steuermann – sie alle sind stimmlich und darstellerisch untadelig. Musikalisch ist dieser „Tristan“ überzeugend und bewegend, szenisch unterhaltsam, doch inhaltlich und ästhetisch fragwürdig.

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