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Hannah Höch nutzte für ihre Collage das Abbild einer steinernen Khmer-Göttin.

© Museum Rietberg / Rainer Wolfsberger

Berlinische Galerie feiert Dada-Bewegung: Der freche Fetisch

Die Berlinische Galerie feiert den 100. Geburtstag der Dada-Bewegung. In "Dada Afrika. Dialog mit dem Fremden" zeigt sie, wie sich die Künstler bei ethnologischen Objekten bedienten – ein großes Finale für die Ausstellung.

„Hugo Ball bot mir die Garantie dafür, dass es sich trotz allen Mummenschanzes und drum und dran doch nicht nur um ein Possenspiel mit dem einzigen Zweck: ,épater le bourgeois‘ handeln könnte“, mit diesen Worten ließ sich Han Coray, Leiter einer reformpädagogischen Schule und Förderer der jungen Kunst, beruhigen, als er seine jüngst eröffnete Galerie auf der vornehmen Zürcher Bahnhofstraße im März 1917 den Dadaisten zur Verfügung stellte.

Nun, den Bürger erschrecken wollten die Künstler durchaus, wurde doch der Weltkrieg, der im August 1914 ausgebrochen war, als Bankrotterklärung der bürgerlichen Gesellschaft schlechthin empfunden. Nachdem Dada als Bürgerschreck seit dem Februar 2016 im Zürcher „Cabaret Voltaire“ zu erleben war, fand die Galerie-Ausstellung unter dem Titel „Dada. Cubistes. Art Nègre“ statt, der auf etwas ganz anderes hindeutet als die Sinn- und Formzertrümmerung, die den Dadaismus zur Sensation der Kriegs- und Nachkriegsjahre machte.

Viel ist über den Zusammenhang zwischen der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, als die der 1. Weltkrieg später apostrophiert wurde, und der Entstehung des Dadaismus geschrieben worden. Dass sich die Dadaisten für außereuropäische Kunst begeisterten, ist hingegen kaum bekannt. Als Nachläufer zu den zahlreichen Jubiläumsfeiern zum hundertsten Geburtstag von Dada im Frühjahr präsentiert die Berlinische Galerie ab morgen (5. 8.) die gemeinsam mit dem Museum Rietberg, dem ethnologischen Museum Zürichs, erarbeitete und dort zuerst gezeigte Ausstellung „Dada Afrika. Dialog mit dem Fremden“, die diese terra incognita erstmals erschließt.

Die Beschäftigung mit dem Fremden hat eine lange künstlerische Tradition

Während das Selbstbild der Dadaisten auf den radikalen Bruch mit der überlieferten Kultur gerichtet war – „Was wir Dada nennen, ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind“, notierte „Cabaret Voltaire“-Mitgründer Hugo Ball –, ist die Beschäftigung mit dem Fremden eingebettet in eine viel breitere Bewegung, zurückreichend bis Gauguin und seiner Flucht in die Südsee.

Hämisch grinsende Maske von Marcel Janko.
Hämisch grinsende Maske von Marcel Janko.

© Museum Rietberg Zürich / Rainer Wolfsberger

Um 1910 beginnt das Interesse an afrikanischer Kultur stark zu wachsen, die nicht länger als exotisch in Völkerkundemuseen bestaunt, sondern als Quelle für die Kunst der unmittelbaren Gegenwart erkannt wird. 1913 findet in Berlin die allererste Ausstellung statt, die diese Zusammenschau bereits in ihrem Titel „Picasso. Negerplastik“ trägt. Die Pariser Kubisten, unmittelbar danach die Expressionisten in Dresden und Berlin entdecken die Welten Außereuropas für sich, nicht in der Ferne, sondern in den Sammlungen der Völkerkundemuseen. 1915 erscheint das bahnbrechende Buch des den Expressionisten nahestehenden Schriftstellers Carl Einstein, „Negerplastik“, das erstmals den ästhetischen Eigenwert dieser Objekte würdigt.

Afrikanische Skulpturen und steinerne Götter

Natürlich liegt dieses Buch in einer der Vitrinen der Ausstellung, die in drei großen Räumen der Berlinischen Galerie nicht als strikter Rundgang, sondern als Folge einzelner Stationen eingerichtet ist. Afrikanische Skulpturen ziehen den Blick auf sich, aber auch der fein detaillierte Bug eines Kriegsbootes der Maori – heute Zürich, früher Berlin – oder der Torso einer steinernen Göttin aus Angkor, der Hauptstadt der Khmer, aus dem 10. Jahrhundert.

Der Torso war 1929 im „Querschnitt“ abgebildet, dort sah das Foto Hannah Höch, die es ausschnitt und für eine Collage ihrer Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ verwendete. 1929 war Dada längst Geschichte, aber der Impuls, Disparates zusammenzubringen und neue Sinnzusammenhänge zu stiften, war nicht verloren. Zugleich macht die Einbeziehung solch späterer Arbeiten des einstigen Dada-Wunderkindes Höch deutlich, dass die Ausstellung ihr Thema vom ersten Wellenschlag bis zum sanften Verebben im Blick behält. Enorm viel Forschungsfleiß ist darauf verwendet worden, nimmt man nur den eindrucksvollen Katalog mit seinen bald zwanzig Aufsätzen zur Hand, die doch nie ausufern, sondern den zahlreichen, sinnvoll gruppierten Abbildungen den Vortritt lassen.

Abbildung vom Torso einer steinernen Khmer-Göttin.
Abbildung vom Torso einer steinernen Khmer-Göttin.

© bpk / Centre Pompidou, Rainer Wolfsberger

In Berlin kommt die Ausstellung zum großen Finale

In der Ausstellung selbst tappt man des Öfteren in die Falle und verwechselt auf den ersten Blick Afrikanisches und Dadaistisches, so sehr haben sich die Künstler den bewunderten Zeugnissen einer damals noch wahrhaft fremden Fremde angenähert. Sophie Taeuber-Arp schneiderte sich ein „cubistisches Kostüm“, zu dem sie eine afrikanische Maske aufsetzte. Der gleichfalls in Zürich lebende Marcel Janco zeichnet mit schweren Kohlestrichen Figuren, die das statuarische Vorbild aus dem Kameruner Grasland verlebendigen, für ein Plakat zu „Le chant nègre“ im Cabaret Voltaire. In Masken von seiner Hand finden sich allerdings auch Anregungen aus Japan und sogar von einer Fassnachtsfratze aus dem Schweizer Lötschental. Volkskunde und Völkerkunde gingen Hand in Hand.

Fratze aus dem Schweizer Löschenthal.
Fratze aus dem Schweizer Löschenthal.

© bpk / Centre Pompidou, Rainer Wolfsberger

Ist die Ausstellung bis hierhin Zürich-lastig, so kommt Berlin zur Ehre des großen Finales: Die gesamte Rückwand des dritten und letzten Raumes ist mit Arbeiten aus der „Ersten Internationalen Dada-Messe“ in der Galerie Otto Burchard am Lützowufer vom Sommer 1920 bedeckt. Ko-Kurator Ralf Burmeister räumt in seinem Katalogbeitrag zwar ein, dass „der Reflex auf außereuropäische Kunst und Kultur in der politisch aufgeheizten Situation von Dada Berlin gering“ war. Doch zeigen die tagesaktuellen Montagen von John Heartfield oder Hannah Höch und die Figurinen von Rudolf Schlichter, Heartfield und George Grosz, wie sehr sich die Protagonisten von Dada in den unterschiedlichsten Städten von Zürich über Paris bis Berlin auf ihr jeweiliges Umfeld einstellten.

Dann ist da noch die erste, zeitgenössische Fotografie vom „Mechanischen Kopf“, der legendenumwobenen Assemblage an und um einen Perückenkopf, die Raoul Hausmann – der damalige Gefährte von Hannah Höch – nach späterem Bekunden 1919, wohl aber erst gegen 1922 geschaffen hat. Da war Dada schon tot. Und doch ist Hausmanns Werk, das in der Ausstellung in absentia mit dem durchaus als Vorbild denkbaren Typus einer Nagelskulptur aus dem Kongo zusammengebracht ist, ein Nachhall der dadaistischen Neugier. Ebenso die Collagen Hannah Höchs aus ihrer ursprünglich dreißig Arbeiten umfassenden Reihe „Aus einem ethnographischen Museum“. Sie bewahren am schönsten den unvoreingenommenen, spielerischen, im besten Sinne freien Zugang Dadas zur Welt.

Ein schönerer Abschluss der Dada-Feierlichkeiten als diese sinnreich komponierte, von david saik studio kongenial eingerichtete Ausstellung lässt sich gar nicht denken.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, bis 7. November. Der im Verlag Scheidegger & Spiess erschienene Katalog kostet 34,80 €.

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