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Chris Dercon, der neue Intendant der Berliner Volksbühne.

© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Volksbühne: Dercon: Fehlgriff oder Volltreffer

Ex-Kulturstaatssekretär und SPD-Bundestagskandidat Tim Renner holte Chris Dercon an die Volksbühne. Und schließt nun sein Scheitern nicht aus.

In Wilmersdorf lächelt Tim Renner seit Tagen von den Plakaten. Statt des obligatorischen Sakkos trägt der SPD-Bundestagskandidat darauf eine lässige Harrington-Jacke. Sein Image als Wunderkind der Popproduktion mit subkultureller Note pflegt Renner auch im Wahlkampf. „Niedrigschwellig“ nennt er das.

An einem lauen Sommerabend tritt Renner bei einer Diskussionsveranstaltung über die Verantwortung von Pop in der Politik im SPD-Bürgerbüro am Rüdesheimer Platz auf. Aus der Musikwelt habe er gelernt, dass man Menschen mit einer „warmen, emotionalen Ansprache“ abholen müsse. Die Sozialdemokraten seien stets am erfolgreichsten gewesen, wenn sie eng mit Künstlern kooperierten. Brandt und Warhol. Schröder und Grass. Und jetzt: Renner und Dercon?

Renner holte Dercon an die Volksbühne

Es scheint, als habe der Förderer von Rammstein und Tocotronic im Berliner Kulturbetrieb derzeit nicht viele Verbündete. Noch immer verfolgt ihn seine Entscheidung als Kulturstaatssekretär, Chris Dercon als Nachfolger von Frank Castorf an die Volksbühne geholt zu haben. Bei der Premiere des Rammstein-Konzertfilms „Paris“ Ende März im Salon der Volksbühne überschüttete der Schauspieler Alexander Scheer ihn gar mit Bier.

Einen ehemaligen Punk bringe ein bisschen Bier genauso wenig aus der Fassung wie einen durch Castorf gestählten Kritiker eine siebenstündige Inszenierung, sagte Renner damals. Heute sagt er: „Ich kann nicht ausschließen, dass Dercon ein totaler Fehlgriff war, aber es könnte sich genauso gut als Volltreffer herausstellen.“

Mit Jesus durch den Wahlkampf

Den Kritikern wolle er sich gern stellen: „Ich finde es legitim, wenn Menschen sagen: Tim Renner ist scheiße. Das muss ich als Politiker aushalten können.“ Die Vorverurteilung von Dercon und die damit einhergehenden Anfeindungen seien hingegen „schlichtweg albern“. Man müsse doch erst einmal ein bis zwei Spielzeit abwarten.

Zum Abschied gibt es eine Bibelstunde. Tim Renner verrät das Erfolgsrezept für aufstrebende Bands: Die erste Platte werde meist gefeiert wie der Einzug Jesu Christi am Palmsonntag. Mit dem zweiten Album finde die Kreuzigung statt. Und mit dem dritten Werk erfolge die Wiederauferstehung. Eigentlich wollte Renner damit SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz Mut machen. Biblischen Beistand aber braucht auch Chris Dercon, wurde er doch bereits vor seinem Einzug in die Stadt gekreuzigt.

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