zum Hauptinhalt
Core of Crisis!: das P14 Jugendtheater der Volksbühne Berlin

© Berliner Festspiele /Jakob Miedner

Berliner Theatertreffen der Jugend: Ganz nah dran

Alle Fragen dieser Welt: Im Festspielhaus treffen sich Schülertheater und Jugendclubs.

„In meinem Zimmer wohnt ein Monster, das bin ich“. Klingst bedrohlich. Zumal dieses Ungeheuer, von dem hier die Rede ist, sich wirklich grauenhaft benimmt. Es popelt, schmeißt Klamotten auf den Boden, tanzt laut und wild zu schleppender Musik. Oder es starrt stundenlang auf einen Bildschirm. Wie domestiziert man so ein Wesen? Beziehungsweise, noch wichtigere Frage: „Wer außer mir könnte dieses Monster lieben?“

Die Kids, die hier schonungslose Selbstbeschreibung mit Grusel-Metaphern unternehmen, gehören dem Jugendclub Banda Agita des Grips Theaters an. „Ganz nah“ heißt die Produktion, in der sie nicht nur pubertätsbefeuerte Konflikte um häusliche Gewohnheiten nebst der üblichen Eltern-Kanonaden thematisieren („Wo warst du, wie siehst du überhaupt aus, hast du getrunken?“). Sondern im weiteren Sinne das schwer abzugrenzende Feld der Privatsphäre zu durchmessen versuchen. Das Gefühl, beobachtet zu werden. Das Risiko, das es bedeuten kann, sich den Blicken der anderen auszusetzen, Schutz- und Rückzugsraum zu verlassen. In einer der stärksten Szenen dieses Stücks auf leerer Bühne, wo nur weißes Klebeband den Grundriss eines Hauses markiert, berichtet eine Spielerin von ihrem Versuch, vor der Klasse ein Poetry-Slam-Plädoyer gegen den allgegenwärtigen Sexismus zu halten. Was in Tränen endete, die statt der eigentlichen Message beklatscht wurden.

„Ganz nah“ zählt zu den acht bemerkenswerten Produktionen, die zum diesjährigen Theatertreffen der Jugend eingeladen sind – dem Festival für Jugendclubs, Theater-AGs von Schulen und freie Gruppen, in denen junge Menschen spielen. Berlin ist dabei mit gleich vier Arbeiten stark vertreten, die übrigen kommen sämtlich aus Nordrhein-Westfalen. Das scheinen gegenwärtig die Epizentren  künstlerischer Nachwuchsarbeit zu sein. Spannend ist das Theatertreffen der Jugend aber natürlich vor allem, weil es zumindest ausschnittweise das Spektrum von Themen abbildet, die eine junge Generation umtreiben. Okay, das „Fridays for Future“-Stück ist diesmal noch nicht dabei, vielleicht im nächsten Jahr. Trotzdem bietet das Programm einen interessanten Mix aus Klassikern des Coming-of-Age, politischer Einmischung und Kanon-Überschreibungen.

Neue Texte - und Bewährtes

Im schönen Stück „Core of Crisis!“ von P14, dem Jugendclub der Volksbühne, geht’s mit schwer geladenen Diskursgeschützen und gezückter Videokamera um den ganz existenziellen Horror – das Aufwachsen in der Familie. Die Geschichte beginnt schon vor der Geburt der Zwillinge Ophelia und Amor, die über die Schädellage als einzigen Ausweg und philosophieren („Ich weigere mich, nach meiner Geburt jemanden kennenzulernen“). Was angesichts ihrer neurotischen Eltern ein verständlicher, wenngleich aussichtsloser Beschluss ist.

Die Berechtigung einer ausgeprägten Sozialphobie wird auch in der Produktion „Die Ungeborgenen“ beglaubigt, mit der das Ensemble „Gruppe aus 6“ des Düsseldorfer Görres Gymnasiums gastiert. Auf der Basis von Martin Sperrs „Jagdszenen aus Niederbayern“ zeigen die Schülerinnen und Schüler in einer klug verdichteten und pointierten eigenen Fassung, dass Menschen in Gesellschaft dazu neigen, sich gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen.

Zu einer ganz ähnlichen Diagnose ist ja schon Molière gelangt. Dessen berühmter Misanthrop Alceste ist ebenfalls beim Theatertreffen der Jugend vertreten, in einer Version mit dem ansprechenden Peter-Weiss-Gedächtnis-Titel: „Der Menschenfeind oder die Verfolgung und Verbannung von Molières Menschenfeind aus den sozialen Medien dargestellt durch das S.O.S. Ensemble der Sozialen Kunst unter Anleitung von Frau Mnouchkine“. Das JobAct® Ensemble Projektfabrik (Berlin und Witten) überträgt Alcestes selbstgerechten Feldzug wider die Heuchelei sehenswert in die Facebook-Welt – in einer Sprache zwischen blumiger und Rap.

Klingt wie ein Hollywood-Märchen

Ins Feld der Poesie weist auf ihre eigene Art auch die Inszenierung „reich der wörter“ von Cactus Junges Theater aus Münster. Das entwirft mit großer Spiellust und szenischer Phantasie, im Sound eines Hollywood-Märchens, die Dystopie eines namenlosen Landes, in dem Wörter nicht mehr erlernt, sondern erworben werden. Was dem Begriff „Wortschatz“ eine ganz neue Dimension verleiht. Wohingegen das Junge Ensemble der Neuköllner Oper in die Unterwelt absteigt. „Orpheus Optimal“ ist eine mitreißend-minimalistische Musiktheaterproduktion (Klavier genügt), die den Liebes-Mythos um Orpheus und Eurydike ziemlich vergnügt in die Gegenwart holt („Sie hat geliked, er hat geliked“). Und außerdem sehr smart die eigenen Produktionsbedingungen mit bespielt – Rollenstress, Proben am Wochenende, Lampenfieber. Und dann reicht’s nicht mal für ein eigenes Bühnenbild. Und die politischen Anliegen der Jugend? Werden zum Beispiel in „Hunger“ vorgebracht, einer Arbeit von spinaTheater – junges ensemble solingen. Die nimmt mit angemessenem Furor die Dekadenz unserer Lebensmittelverschwendung, die Schweinereien großer Nahrungskonzerne und die Scheinheiligkeit des Kults um Bio, Vegan und Fair Trade ins Visier.

In der Inszenierung „real fake“ wiederum – mit der Theatertreffen der Jugend auch eröffnet – geht es um die ebenfalls sehr drängenden Fragen nach Rassismus, Vorurteil, Identität. Der Begriff „Identitätspolitik“ macht ja mittlerweile quer durch die Lager eine beklagenswerte Karriere als Schmähvokabel. Umso wichtiger, mal Menschen zuzuhören, die wirklich Geschichten dazu zu erzählen haben. In „real fake“ vom Import Export Kollektiv am Schauspiel Köln berichtet zum Beispiel ein junger schwarzer Performer, wie er in Hast zu einer Probe unterwegs war. Und prompt von der Polizei angehalten wurde, als vermeintlicher Dealer auf der Flucht. Nur mit einem Flyer der Produktion, den er zufällig im Rucksack hatte, konnte er die Polizisten überzeugen, dass die Dinge anders liegen. Tatsächlich entschuldigten sich die Beamten bei ihm. Soll niemand behaupten, Theater könne die Verhältnisse nicht ändern.

 Info: Theatertreffen der Jugend: vom 24. Mai bis 1. Juni im Haus der Berliner Festspiele

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false