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Jungstar aus Israel. Dirigent und Pianist Lahav Shani.

© picture alliance / Marco Borggreve

Berliner Silvesterkonzerte: Die Zuckerfee tanzt Blumenwalzer

Berliner Silvesterkonzerte: Beethovens Neunte mit Vladimir Jurowski im Konzerthaus, Jazzaffines mit Lahav Shani in der Staatsoper.

Der alte Brauch, zum Jahreswechsel die neunte Symphonie von Beethoven zu spielen, feiert in diesem Jahr auch im Konzerthaus seinen 100. Geburtstag. Er geht auf den Gewandhauskapellmeister Arthur Nikisch und dessen Zelebrierung des Werkes in der Silvesternacht nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Weltdokumentenerbe, Europahymne, Begleitung olympischer Spiele und deutscher Wiedervereinigung ist die Musik, bis zur Popversion des „Song of Joy“ eine der populärsten der Klassik überhaupt.

Als Künstlerischer Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin setzt Vladimir Jurowski die Aufführungstradition der Neunten an den letzten Tagen eines jeden Jahres fort. Aber er will nicht, dass die tief problematische Komposition wie ein neutrales Kulturgut konsumiert wird. Als eine Art Meditation über das Leben und die Musik, so Jurowski, sollte man sie im Zusammenhang mit anderen Werken, am besten von unseren Zeitgenossen, hören. In der anspruchsvollen Position, ein solches Werk zu schaffen, befand sich hier nun Georg Katzer.

Ihm hat der Chefdirigent mit seinem RSB den Auftrag erteilt, die Einleitung für den Beethoven zu komponieren. Katzers neues Stück „Discorso“, das uraufgeführt wird, ist eine helle, durchgehörte Partitur aus kontrastierenden Teilen, die sich zuspitzen. Verdichtung ohne Pathos, Geräuschnähe mit klassischem Instrumentarium, Abweichen vom Ton, punktuelles Melos, Splitter: Katzer, Pionier der Avantgarde in der DDR, von der er sich mit einer DDR-kritischen Oper verabschiedet hat, geht seinen Weg mit deutlichem Abscheu vor der „Goldbronze der Unterhaltungsindustrie“. Das schafft gut platzierten Kontrast zu den Gesangsthemen der Neunten und behauptet sich gegen den Verdacht, nur ein Hinhalten der Zuhörer zu sein, die vor allem wegen der Beethoven-Symphonie mit Schillers Ode „An die Freude“ gekommen sind.

Das angesagte Ausnahmewerk. Vom Revolutionären ist diese Komposition in die Wiederholung des oft Gehörten, in die Tradition gedrungen. Ihr Unerhörtes zu erwecken, ist der Auftrag, den der Komponist, ein früher Fanatiker der Interpretation, den Interpreten hinterlassen hat. Vom Pianissimo ins Crescendo der Einleitungstakte bis zum ersten Themeneinsatz zeigt sich schon der Anspruch, den Jurowski und das RSB sich für die Wiedergabe vorgenommen haben.

Ihr Zeichen ist eine beseelte Klarheit, kammermusikalisch orientierte Ausdruckskunst. Daher nimmt det Dirigent das Molto vivace nicht zu schnell, kein hetzendes Scherzo, sondern bis zum Presto Behutsamkeit, dominiert von dem sensiblen Spiel des Solopaukers Arndt Wahlich. Der Gesang der Violinen im Adagio und ihre Variationsfiguren sind abgetönt, gestaltete Struktur. Im Finale klingt das Freudenthema der Celli und Kontrabässe kantabel fließend, nicht raunend. Dann spricht die Energie des Satzes für sich und umschließt im Musizieren die Momente stilistischer Unbekümmertheit. Den Marsch nimmt Jurowski musikantisch mit dem Tenor David Butt Philip, nachdem Paul Gay die rezitativische Aufforderung zu freudenvolleren Tönen sorgsam phrasiert hat. Solistische Frauenstimmen: Iwona Sobotka und Vasilisa Berzhanskaya. Souverän bis ins feine Diminuendo ist der Rundfunkchor dabei.

Der moralische Schwung der Partitur wird sublimiert, weil ihr Wesen bei Jurowski Kantabilität ist. Sybill Mahlke

Mit Gershwin und Filmmusik

Classic goes Jazz beim Silvesterkonzert der Staatskapelle – oder umgekehrt. Was sich als Programm reizvoll liest, offenbart in der Ausführung gelegentliche Tücken. Nicht nur als Dirigent, auch als Pianist nimmt Lahav Shani diese Herausforderung an, nicht ohne Anlaufschwierigkeiten in George Gershwins „Rhapsody in Blue“. Dieses erste spektakuläre Beispiel des symphonic jazz verlangt vom Solopart klassisch-romantische Klaviertechnik wie vom Sinfonieorchester äußerste rhythmische Flexibilität. Das swingt noch nicht richtig, zumal Shani vom Klavier aus dirigierend das schnelle Umschalten nicht immer präzise bewältigt. Auch vier Songs im Arrangement des schwedischen Saxophonisten Magnus Lindgren für Trompete und Orchester bleiben etwas spröde, zumal sie sich gerade von der Substanz der Kurt-Weill-Stücke „My Ship“ und „Speak Low“ sehr weit entfernen. Der berühmte Till Brönner als Solist wirkt da auch mit klarem, geschmeidigem Ton und seinen hochvirtuosen Girlanden eher kühl und artifiziell. Lebendiger geht es zu in Dave Grusins Filmmusik zu „Die drei Tage des Condor“ und Pharell Williams’ „Happy“ aus „Ich – einfach unverbesserlich 2“ mit beweglichem Paukensolo.

Amüsanter ist die direkte Konfrontation der beiden Sphären in Tschaikowskys „Nussknacker“-Suite, auch in der Begegnung der Staatskapelle mit dem Till Brönner Orchestra. Mit seinem klassisch geschulten Assistenten Billy Strayhorn besorgte Duke Ellington 1960 für eine Studioaufnahme eine Bigband-Version. Köstlich, wenn nach der fast zu quirligen Miniatur-Ouvertüre die Bigband in aller Behäbigkeit antwortet, nach dem eleganten und doch leicht betulichen „Tanz der Rohrflöten“ ein ironisch polterndes „Toot Toot Tootsie Toot“. Der temperamentvolle, heftig beklatschte „Russische Tanz“ erfährt als „Volga Vouty“ seine grelle, witzig-ungelenke Umdeutung, im „Chinesischen Tanz“ dominieren lustvoll „falsche Töne“ – überhaupt ist die jazzharmonische Kreativität bemerkenswert. Der Celesta-Zauber der „Zuckerfee“ allerdings lässt sich von der Bläser-Combo nicht einholen. Durchweg faszinieren neben Brönner fabelhafte Saxofon- und Posaunensoli – Staatskapellen-Harfenist Stephen Fitzpatrick steht dem nicht nach, indem er mit opulentem Solo die Silvesterstimmung des „Blumenwalzers“ einleitet. Isabel Herzfeld

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