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Berliner Schaubühne: Der kleine Horrorladen

Wahnsinn mit Methode: Alle außer Hamlet spielen Doppelrollen. Thomas Ostermeier inszeniert den Klassiker an der Schaubühne.

Der Alte will einfach nicht unter die Erde. Warum auch? Nach ihm wird nichts Nennenswertes kommen, wer wüsste das nicht aus historischer wie großkoalitionärer Erfahrung. Und hätte die schöne blonde Sonnenbrillen-Witwe geahnt, dass das Staatsbegräbnis so lange dauert, hätte sie mit ihrem Schwächeanfall sicher noch ein wenig gewartet. Auch der Witwenversteher und designierte Neugatte an ihrer Seite – Bruder wie Mörder des zu Grabe Getragenen – ist auf eine derartige Trauer-Dauer nicht eingestellt.

Der Totengräber bekommt eine akrobatische Panikattacke nach der nächsten, nur eben den Holzkasten nicht in die ausgehobene Grube. Dass sein Kollege sich wenige Schritte entfernt mit einem Gartenschlauch aufgestellt hat und es daraus stoisch auf die Trauergemeinde regnen lässt, macht die Sache nicht einfacher. Auf dem Torfboden, den Bühnenbildner Jan Pappelbaum in die Berliner Schaubühne gebaut hat, lässt es sich mit zunehmendem Nässegrad prächtig ausrutschen.

„Theater, Theater“: Den schmierenkomödiantischen Katja-Ebstein-Schlager wird Hamlet später mit grimmiger Inbrunst anstimmen. Thomas Ostermeier lässt in seiner Shakespeare-Inszenierung, die nach der Premiere beim Hellenic Festival in Athen und anschließender Zwischenstation in Avignon jetzt die Saison in der Schaubühne eröffnet, keinen Zweifel daran, dass er Recht hat. „Sein oder Nichtsein“, das ist hier nicht so die Frage. Sondern ein gut abgehangener Zitatenschatz aus romantischeren Zeiten, als man solche Existenzialismen noch ungestraft in die Runde werfen konnte. Lars Eidinger bietet den Gassenhauer als Kronprinz Hamlet in mehreren Varianten, benutzt ihn mal als parodistische Steilvorlage für den hohen Burgschauspieler-Ton und probiert ihn später als regressiven Gestus aus. Steht ihm alles nicht schlecht.

Den Befund, dass die modernen Zeiten für Grübler nicht die angesagtesten sind, teilt Ostermeier mit etlichen Kollegen. Auch Jan Bosses Zürcher Hamlet, der beim Theatertreffen gastierte, war nicht gerade von des Gedankens Blässe angekränkelt. Joachim Meyerhoff schleuderte ihn als Spätpennäler aus sich heraus: ein Selbstdarsteller, der alles in Spiel auflöst. Auch Lars Eidinger wird zum Ego-Shooter, krankt aber an einer Art idealistischem Restposten: Unter dem Aktionismus ist eine ordentliche Portion Verzweiflungsfuror am Werk.

Bei seinem Hamlet, der schlecht gelaunt mit einem Dosenbier in der Hand zuhören muss, wie seine frisch verwitwete Mutter für den Neuen im schicken Brautkleid einen Carla-Bruni-Song ins Mikro charmiert, löst das Erscheinen des väterlichen Geistes ein lupenreines Borderline-Syndrom aus. Kein Wunder, ist es doch niemand anderes als der Königsmörder und neue Staatschef Claudius selbst (Urs Jucker), der aus der Gruft steigt und den Racheauftrag erteilt.

Natürlich hat der Wahnsinn Methode: Mit nur sechs Darstellern – bis auf Eidinger alle in Doppelrollen – macht der Regisseur den Königshof von Helsingör zum kleinen Horrorladen. Hamlets fesche Mama (Judith Rosmair) mutiert nach drei, vier Zuckungen und dem Abwurf der Blondhaarperücke zur sittsamen Ophelia, Hamlets Kumpel Horatio (Sebastian Schwarz) mit noch weniger Aufwand zum Spitzel Güldenstern, Ophelias Bruder Laertes (Stefan Stern) zu dessen Kollegen Rosenkranz und der Hausdiener und Ophelia-Erzeuger Polonius (Robert Beyer) – unverkennbar ein Vater jener Generation, die vom antiautoritären Erziehungsmodell noch unbehelligt blieb – zum Goldjäckchen-Träger Osrik.

Außenpolitische Händel und metaphorischer Überbau bleiben in Ostermeiers gestraffter Variante nach Marius von Mayenburgs pragmatischer Neuübersetzung weitgehend ausgespart: Es geht um die königliche Kernfamilie an der Festtafel, die vom Blick des bockigen Kronprinzen quasi zur Kenntlichkeit verzerrt wird. Und weil moderne covergirlverdächtige Mamas ihre Parties mit Mineralwasser und garantiert fettfreier Milch feiern, ist Gewichtszunahme ein wirksames Distinktions- und Protestmittel – weshalb Hamlet mit fortschreitendem Wahn mehr und mehr verfettet.

Regietechnisch ist so ein BorderlineSyndrom eine gute Sache: Weitgehend vom Plausibilitätszwang befreit, kann man seinen Inszenierungseinfällen freien Lauf lassen und bietet für einen Schauspieler wie Lars Eidinger Steilvorlagen en masse. Der bedankt sich mit einem Hochleistungsritt. Viel Trash ist zu sehen, der – mal mehr, mal weniger lustig – in überraschendem Gegensatz zu den neorealistischen Glasfassaden-Inszenierungen steht, wie man sie von Ostermeier kennt. Aber nach dem mehr versprechenden Auftakt tritt das Geschehen auf der Stelle, wie in einer Endlosschleife. Zumal Hamlets Gegenspieler überraschungsarm bleiben. Selbst wenn diese Eindimensionalität Methode haben sollte: Ermüdend ist sie über zweieinhalb Stunden schon.Wieder heute bis 21. 9., jeweils 20 Uhr

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