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Gustavo Dudamel und die Berliner Philharmoniker am 8.6.2017

© Monika Rittershaus

Berliner Philharmoniker: Wofür es sich zu kämpfen lohnt

Gustavo Dudamel dirigiert John Adams' "City Noir" sowie Antonin Dvoraks 9. Sinfonie bei den Berliner Philharmonikern

Lange, allzu lange hat Gustavo Dudamel geschwiegen zu den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in seiner Heimat Venezuela. Aus Rücksicht auf das von staatlichen Subventionen abhängige el sistema, das weltweit einmalige Jugendmusikprogramm, dessen bekanntester Absolvent der Dirigent ist.

Erst als ein 17-jähriger „Sistema“-Bratscher bei einer der fast täglich tobenden Straßenschlachten getötet wurde, verbreitete der 36-jährige Klassikstar auf Facebook einen Aufruf zum zivilen Miteinander: „Wir schulden unserer Jugend eine Welt voller Hoffnung und ein Land, in dem wir uns frei bewegen können, auch im Dissens, mit Respekt, mit Toleranz, im Dialog.“ Es war nicht mehr als eine Symbolgeste, die aber dennoch viele seiner Fans wieder mit Dudamel versöhnte.

John Adams macht Los Angeles zur Soundcollage

Am Donnerstag in der Philharmonie ist Venezuela dann wieder sehr weit weg. 6000 Kilometer nämlich, denn das erste Stück des Abends spielt in Los Angeles. John Adams, der aktuelle composer in residence der Philharmoniker, komponierte sein Stadtporträt „City Noir“ 2009, für Dudamels Antrittskonzert als Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic. Adams hat eine Soundcollage geschaffen, ausufernd wie die Stadt selber, bei der die einzelnen Abschnitte nicht säuberlich aneinander gefügt sind, sondern sich überlappen, so dass es immer wieder zu akustischen Parallelhandlungen kommt.

Das ist durchaus unterhaltsam anzuhören: Da gibt es virtuose Big Band-Passagen und kakophonischen Metropolenlärm, da haben Saxophon und Trompete ihre gefühligen Soli, mal klingt es impressionistisch, dann wieder nach MGM-Soundtracks, die Streicher dürfen süß singen, müssen aber auch als Rhythmusgruppe ackern.

Das Scherzo birst vor Energie, das Finale wird zum Tongemälde

Wie sehr Gustavo Dudamel in den letzten Jahren als Künstler gereift ist, wird anschließend bei Dvoráks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ deutlich. Wo sich Dudamel früher ganz vom Gefühl leiten ließ, hat jetzt der Verstand die Oberhand gewonnen. Wunderbar schwebend gelingt ihm der Beginn, absolut souverän die Steigerung zum ersten Höhepunkt. Und noch nobler, kammermusikalischer, in feinstem Piano-Glanz schimmernd lässt sich das Largo kaum denken.

Klingen die beiden ersten Sätze fast zu kontrolliert, birst dann das Scherzo geradezu vor toller Energie, entsteht im Finale ein grandioses Tongemälde des blankgefegten Himmels über den endlosen Weiten des Mittleren Westens. Im wirbelnden Strom der Töne wird er geradezu körperlich spürbar, der Zukunftsoptimismus der damals jungen Nation USA, die gerade so alt aussieht.

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