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Der koreanische Pianist Sunwook Kim, Jahrgang 1988, gab am Samstag sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern.

© Marco Borggreve

Berliner Philharmoniker: Volle Kraft voraus

Endlich wieder großes Orchester: Die Berliner Philharmoniker musizieren mit Sakari Oramo und dem jungen Pianisten Sunwook Kim.

Was für ein Gedränge. Schon in den ersten Takten von Unsuk Chins Klavierkonzert wuselt und flirrt es derart heftig, dass sofort klar ist, was einem seit Beginn der Pandemie gefehlt hat: die Menge, die Tutti, ja sogar die drangvolle Enge.

Das viersätzige Werk der in Berlin lebenden Koreanerin, entstanden 1996/97, birst nur so von vielgestaltigen Klängen. Mal spielt das Klavier in extremen Lagen, dröhnende Bässe paaren sich mit schrillen Spitzentönen. Mal explodieren die Farben, mal schichten sich statische Flächen übereinander und münden in Perpetuum-Mobile-Spiralen.

Unsuk Chin schafft luzide Traumbilder, wenn sich am Beginn des zweiten Satzes zu Celesta, Mandoline, Harfe und Klavier die Flöte gesellt, ebenso lebt das Konzert von ihrer Lust am Perkussiven. Das ganze Orchester ein Schlagwerk, und wer die Augen schließt, wähnt sich zwischen Lichtgewittern und donnerndem F-Ostinato im Finalsatz mitunter im Klangbad elektronischer Musik.

Aber wer möchte schon die Augen schließen, wenn das Podium der Philharmonie vollbesetzt ist und sich tausend Zuschauer im Saal versammeln, zum zweiten Mal in diesem Jahr nach dem Pilotprojekt-Abend im März unter Kirill Petrenko mit einem Tschaikowsky-und Rachmaninow-Programm. Die Kontrollen von Coronatests und Ausweisen verlaufen so flott, als gehörten sie längst zur Konzertroutine.

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Wieder freut sich Intendantin Andrea Zietzschmann über den Gänsehaut-Moment des Wiedersehens, wieder steigert sich der Applaus schon beim Einzug der Philharmoniker fast zur Ovation. Ein berechtigter Vorab-Jubel über die meisterliche Fähigkeit der Orchestermusikerinnen und -musiker, der dicht gewebten Komposition Transparenz zu verleihen und sich dennoch dem Überschwang der unentwegt changierenden Farben und verschachtelten Formen hinzugeben. Ebenso zu feiern ist bald auch Sunwook Kims leichthändige Interpretation des tückischem Klavierparts. Bei seinem Philharmoniker-Debüt spielt der junge Koreaner als Zugabe ein Intermezzo von Brahms, als wolle er sagen, ich kann nicht nur sportlich-rasant, sondern auch sehr romantisch.

16 erste Geigen, sieben Kontrabässe, was für ein Glück

Volle Kraft voraus. Wenn Gastdirigent Sakari Oramo dann die zweite Symphonie seines finnischen Landsmanns Jean Sibelius in Angriff nimmt, erweist er sich als der denkbar Richtige für diesen Abend. Ein Anfeuerer, der aus dem Vollen schöpft, mit ausgreifender Gestik expressive Fortissimi evoziert und noch den Generalpausen Inbrunst verleiht.

Schon beim eröffnenden Drei-Ton-Motiv des Allegrettos weiß er eine gehörige Glut zu entfachen. 16 erste Geigen, sieben Kontrabässe, satte Blechbläser-Choräle, was für ein Glück: Endlich mal keine kleine Besetzung und keine Corona-Kammerspiele, endlich klingelt es wieder in den Ohren, endlich Schläge in die Magengrube. Als das impertinente Moll im Schlusssatz in D-Dur umschlägt und dem Drei-Ton-Motiv die erlösende Quart folgt, dieser über all die Zeit schmerzlich ersehnte vierte Ton, ist Musik wieder das, was sie nur im Konzert sein kann: eine Heimsuchung, eine körperliche Erfahrung. Des Guten zu viel? Aber ja, und gerne mehr davon.

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