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Die Streicher sitzen hinten: Iván Fischer dirigiert die BErliner Philharmoniker

© Monika Rittershaus

Berliner Philharmoniker: Rettet das Feuer

Absage an jegliche Routine: Iván Fischer dirigiert die Berliner Philharmoniker, Christian Gerhaher singt Lieder von Hugo Wolf.

Iván Fischer ist ein äußerst rarer Dirigent, nur hat man das in Berlin noch nicht wirklich verstanden. Als Ehrendirigent kehrt er regelmäßig zum Konzerthausorchester zurück, sonst widmet er sich seinem Budapest Festival Orchestra und komponiert. Wenn das Concertgebouw oder die Berliner Philharmoniker anrufen, dann ist ein Konzert pro Saison drin, das war’s. Fischer ist kein reisender Pultstar, vielmehr ist er zu der Überzeugung gelangt, dass es tiefer Bindungen bedarf, um jenseits des Mainstreams zu musizieren. Wer ihn mit seinen ungarischen Musikerinnen und Musikern erlebt hat, weiß, dass das keine hübsche Floskel ist.

Auch sein aktuelles Programm bei den Berliner Philharmonikern kann man als Absage an jegliche Routine lesen: Antonín Dvořáks „Legenden“ gehören ebenso wenig zum philharmonischen Kanon wie Hugo Wolfs Orchesterlieder. Und wenn es im zweiten Teil mit Franz Schuberts großer C-Dur-Symphonie doch einen Klassiker gibt, wirbelt Fischer die Sitzordnung auf dem Podium derart auf, dass selbst die Philharmoniker sich erst einmal neu umhören müssen. Mit dem Bariton Christian Gerhaher gesellt sich ein Solist hinzu, der stets auf Messers Schneide singt – beste Voraussetzungen für einen anregenden Abend.

Seelenlandschaftsmomente

Tatsächlich möchte man am liebsten sogleich alle zehn „Legenden“ hören, die Dvořák zu seinem Opus 59 zusammengefasst hat. Seelenlandschaftsmomente, eingefangen in einem Erzählton, der vom Eswareinmal fortschwingt ins Nochimmerwahr. Fischer meidet die rauschhafte Brillanz der „Slawischen Tänze“, raut die Klangoberfläche leicht auf, und das orchestrale Leuchten bricht sich wie im Novembernebel. Keine schlechte Einstimmung auf die von Dunkelheit durchzogenen Lieder mit Orchesterbegleitung von Hugo Wolf, die Christian Gerhaher singt. Dass er sich schwerer damit tut als erwartet, kann man nicht nur dem Zusammenspiel mit dem Dirigenten anlasten. Sicher, die beiden finden selten ein gemeinsames Legato, auch drohen Orchestereinwürfe Gerhahers Stimme zu schlucken. Doch es schlummert etwas in Wolfs Musik, das sich diesmal nicht wirklich zeigen mag, auch wenn „Der Feuerreiter“ ekstatisch durch den Saal lodert.

Für Schubert ordnet Fischer, der leidenschaftlich mit Orchesteraufstellungen experimentiert, die Philharmoniker neu an: Vorne spielen Oboen, Flöten, Fagotte und Klarinetten, dahinter die Hörner, erst dann die großzügig besetzten Streicher. Damit werden Balancen verschoben, was den großen Gesangsbogen von Schuberts letzter vollendeter Symphonie zusätzlich mit Spannung aufladen könnte. Es stellen sich auch wirklich einige schöne Momente von zarter Schroffheit ein, etwa im zweiten Satz. Doch Fischers Klangkonzept, wundervoll mit seinem Budapester Orchester auf CD realisiert, öffnen sich die Philharmoniker nur halb. Manches gerät unversehens trotzig – und das ist eine Stimmung, in der Tänze sich hinziehen können (noch einmal am heutigen Samstag, 19 Uhr).

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