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Peter Brem (links) im Gespräch mit Chefdirigent Simon Rattle.

©  Peter Adamik

Berliner Philharmoniker: Mit Karajan fing alles an

46 Jahre lang war Peter Brem Geiger bei den Berliner Philharmonikern. Nun hat er – zum Abschied – seine Erinnerungen zum Buch gemacht.

Spät im Leben, als ihn die Rückenschmerzen arg quälten, ließ sich Herbert von Karajan Turnschuhe schwarz einfärben. Weil er in den zum Frack gehörigen Lackschuhen ein ganzes Konzert im Wortsinn nicht mehr hätte durchstehen können. Es sind solche Details, die Peter Brems Buch „Ein Leben lang erste Geige“ besonders spannend machen. Weil es sich um Beobachtungen aus nächster Nähe handelt.

Oder diese hier: Zur ersten Probe eines Programms, für das Claudio Abbado seine ehemalige Lebensgefährtin Viktoria Mullova als Solistin engagiert hatte, brachte die Geigerin das gemeinsame Kind mit. So professionell die beiden miteinander umgingen – den Säugling, der bei der Babysitterin in der fünften Reihe von Block A saß, würdigte der Dirigent keines Blickes.

Von Simon Rattle wiederum weiß Peter Brem zu berichten, dass er die Berliner Philharmoniker manchmal seine „wild tigers“ nennt – weil es sich bei den 128 Musikerinnen und Musikern eben um eine nicht so leicht zu bändigende Truppe höchst individueller und mitunter eigenwilliger Charaktere handelt.

"Ich war ein Glückskind", sagt Brem über sich.

46 Jahre lang hat Peter Brem auf der linken Bühnenseite der Philharmonie gesessen, in der Gruppe der Violinen. Mit 18 Jahren gewann der 1951 geborene Münchner das Probespiel für eine Stelle in Deutschlands berühmtestem Orchester. Am 3. September wird er in London seinen letzten Dienst verrichten, bei der philharmonischen Sommertournee in der Royal Albert Hall. Missen möchte er keinen einzigen Tag seines Berufslebens, das wird in den Erinnerungen deutlich. Das sicher auch mal Unangenehme blendet er bewusst aus. Und sagt im persönlichen Gespräch über sein Buch rückblickend: „Ich war ein Glückskind.“

Als Sechsjähriger bekommt Peter Brem eine Kindergeige geschenkt. Und ist sofort so begeistert davon, dass der Vater, Solotrompeter an der Bayerischen Staatsoper, beschließt, dem Bub Unterricht zu erteilen. Von diesem Tag an ist er die nächsten zwölf Jahre dabei, wenn sein Sohn übt – jeden Tag ab 15 Uhr, zumeist drei Stunden lang. Weil der kleine Peter Talent zeigt, wird bald ein professioneller Lehrer engagiert, Ludwig Ackermann, der bis zu seinem frühen Tod 1969 die Ausbildung des Jungen übernimmt. Kurz danach wird Peter Brem in Berlin angenommen. Er besteht die Probezeit, zunächst noch in den zweiten Geigen, und wechselt 1974, nach einem weiteren Probespiel, zu den ersten. Dennoch fühlt sich der junge Mann noch gar nicht reif für den Job – und wagt es, den verehrten Konzertmeister Michael Schwalbé darum zu bitten, mit ihm zu arbeiten. Tatsächlich willigt der ältere Kollege zu Brems freudiger Überraschung auch sofort ein.

Musiker kommen rum: 48 Mal gastierte der Geiger in Japan

Viele tausend Auftritte hat Peter Brem in seiner rekordverdächtig langen Karriere absolviert, unzählige Tourneen mitgemacht – allein 48 Mal war er in Japan. Er lernte die Besten der Besten kennen, und doch blieb Karajan stets sein Lieblings-Maestro. Ausführlich schwärmt er aber auch von Leonard Bernstein, Sergiu Celibidache oder Carlos Kleiber. Kein Wunder, dass Brems Blick auf die heutige Dirigentenszene nostalgische Züge trägt. Offen gibt er zu, sowohl bei der Chefdirigenten-Wahl von Abbado wie von Rattle jeweils für Daniel Barenboim gestimmt zu haben. Weil der nicht bloß eine „Ausnahmebegabung“ sei, sondern auch noch ein „bewundernswerter Mensch“, faszinierend polyglott, liebenswürdig und mit bewegender Lebensgeschichte.

Der Einzige unter denen, „die noch keine 60 sind und zur Weltklasse gehören“, ist in seinen Augen Christian Thielemann. Im Gespräch fallen ihm dann doch noch zwei weitere Namen ein: Andris Nelsons und Daniele Gatti, der 1961 geborene Italiener und künftige Chef des Amsterdamer Concertgebouw-Orkest, der bereits als junger Mann bei den Philharmonikern debütierte, nicht überzeugte und erst bei der zweiten Begegnung mit dem Orchester 18 Jahre später Brem und seine Kollegen vom Hocker riss.

Das Album mit den Scorpions war Brems Projekt

Mit seinem Buch will der Geiger vor allem musikinteressierte Laien erreichen. Und ihnen auch erzählen, was die Berliner Philharmoniker tagsüber so tun: proben – und organisieren. Denn in dem basisdemokratisch verfassten Ensemble entscheiden die Musiker nicht nur, wer wann wo mitwirkt, sondern kümmern sich auch um die Vermarktung. Peter Brem selber übernahm 1992 das zeitintensive Amt des Medienvorstands. Bis 2007 koordinierte er mit einem Kollegen die kommerziellen Aktivitäten des Orchesters, fädelte etwa die Zusammenarbeit mit der Rockband Scorpions ein, ein hoch umstrittenes Projekt, das aber mit dem Verkauf von zwei Millionen Alben versilbert wurde.

Auch als Pensionär wird Brem ein genauer Beobachter „seines“ Orchesters bleiben. Ein Abonnement für die Philharmonie hat er sich bereits besorgt, und das praktische Musizieren will der begeisterte Golf- und Tennisspieler langsam auslaufen lassen. Seine GuadagniniGeige, für die er 1976 einen Kredit über 150 000 Mark aufnehmen musste, hat er bereits verkauft. Eine bewusste Kopf-Entscheidung, getroffen mit Blick auf die Altersvorsorge, aber auch, damit das edle Instrument weiter gespielt wird. Von der nächsten Musikergeneration.

Peter Brem. Ein Leben lang erste Geige. Rowohlt, 265 Seiten, 16,99 €

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