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Christian Gerhaher singt Mahlers Rückert-Lieder, mit den Berliner Philharmonikern unter Antonello Manacorda.

© Monika Rittershaus

Berliner Philharmoniker: Ich gegen den Rest der Welt

Antonello Manacorda debütiert mit Verve am Pult der Philharmoniker. Und Christian Gerhaher stimmt radikal intime Töne an.

Zwei Welten stoßen aufeinander, und es ist keine zerstörerische, sondern eine wundersame Kollision. Attacke und Dissidenz, der Zupackende und der Zerbrechliche, Antonello Manacorda und Christian Gerhaher bilden ein ungleiches, aber faszinierendes Paar an diesem Abend in der Philharmonie.

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Gleich mit den ersten wütenden Tuttischlägen von Beethovens Coriolan-Ouvertüre ruft Manacorda zum finalen Angriff. Der Taktstock wird zum Generalstab bei seinem Debüt in der Philharmonie. Messerstichen und Schwerthieben gleich, saust der Stab durch die Luft, der Orchesterklang nimmt eine für die Philharmoniker ungewöhnliche, schneidende Schärfe an.

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Ein homogenes, unerbittliches Kollektiv – und wenige Minuten später sagt Christian Gerhaher radikal Ich. Bei Gustav Mahlers Rückert-Liedern zeigt der Bariton, der Philosoph unter den Liedsängern, die Brüchigkeit des Daseins auf. Ein Mann in der Defensive, ohne Vibrato in der mittleren, nach innen gekehrt in den hohen Lage, mit vereinzelten expressiven Forti.

Die Philharmoniker umhegen Gerhaher mit lindenduftigem Streichertimbre, Dominik Wollenwebers Englischhorn becirct das Publikum beim berühmtesten der fünf Lieder, „Ich bin der Welt abhanden gekommen“.

Intimität als höchstes Gebot, es funktioniert nicht immer: Mitunter zerfasert Gerhahers Gesang. Die Lagenwechsel erscheinen unkontrolliert, seine Schlichtheit kippt mal ins Flache, mal ins Prätentiöse.

Manacorda, gefeierter Leiter der Kammerakademie Potsdam, animiert die Musiker dann aber auch bei Schönbergs Kammersymphonie Nr. 2 und bei Schuberts Unvollendeter zu pointierten Gegensätzen. Tänzerische Vitalität, stechender Schmerz, versprengte Bläser- und Streichersoli (auf dem Konzertmeister-Stuhl sitzt Jan Mrácek von der Tschechischen Philharmonie), die zunehmend Abstraktion weichen: Das letzte Aufbäumen der Tonalität bei Schönberg wird zum schmerzhaften Ereignis.

Die Klangschönheit von Schuberts h-moll- Symphonie betört am Ende dafür um so mehr. Dank der verwegenen Liaison von Anmut und Plastizität (und dank Albrecht Mayers sublimer Oboe) erstrahlt der Repertoirehit in neuem Licht.

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