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Viel vor. Chefdirigent Kirill Petrenko will in seiner zweiten Saison präsenter sein.

© Monika Rittershaus

Berliner Philharmoniker: Das große Vielleicht

Was die Philharmoniker für 2020/21 planen.

Selbst den hartnäckigsten Optimisten unter den Klassik-Fans fällt es ja mittlerweile schwer, Vorfreude auf die kommende Saison zu empfinden. Großartige Pläne haben die Berliner Philharmoniker für die Spielzeit 2020/21, das zeigt schon ein erster Blick in die am Montag veröffentlichte Vorschau. Doch solange wegen der Pandemie die aktuellen Abstandsregeln aufrechterhalten werden müssen, lässt sich nichts davon realisieren.

Selbst auf die große Philharmonie-Bühne passt dann keine normale Sinfonieorchesterbesetzung. Und wie, bitteschön, soll man die Abläufe für die Zuschauer so organisieren, dass stets 1,50 Meter Distanz gewahrt bleiben? Mäntel könnten mit in den Saal genommen werden, um Gedrängel vor den Garderoben zu vermeiden, man könnte die Konzerte ohne Pause spielen, so dass ein Schlangestehen vor den Bars und Toiletten entfällt.

Wie soll ein Besucher auf seinen Platz in der Reihenmitte gelangen?

Im Saal aber mögen noch so viele Sitze frei bleiben – wie soll ein Besucher unter Wahrung des Sicherheitsabstands seinen Platz in der Mitte einer Reihe erreichen, wenn sich am Rand bereits jemand auf dem seinen niedergelassen hat? Soll das Aufsichtspersonal die Leute einzeln aufrufen, streng geordnet von innen nach außen? Wo und wie aber halten sich die Wartenden dann vor den Türen so auf, dass sie sich nicht auf den Füßen stehen?

„Was ich nicht zwingen soll, danach zu verlangen machst du mir Lust?“, klagt der Gibichungen-König Gunther in Richard Wagners „Götterdämmerung“. So fühlt sich nun auch der Leser der Philharmoniker-Vorschau. Mit zehn Programmen wird Kirill Petrenko in seinem zweiten Chefdirigentenjahr deutlich präsenter sein als zuvor. Zum Sommer gibt er die musikalische Leitung der Bayerischen Staatsoper ab, um dann nur noch für seine Philharmoniker da zu sein.

15 Komponistinnen wurden beauftragt

Beim Kernrepertoire will er sich vor allem auf Brahms und Mendelssohn fokussieren, dazu viel Unbekanntes vorstellen, Orchesterwerke von Josef Suk und Erich Wolfgang Korngold, selten gespielte Opern wie Rachmaninows „Francesca da Rimini“ und Tschaikowskys „Mazeppa“ in konzertanter Form.

Zeitgenössisches ist ihm wichtig, auf Initiative der Intendantin Andrea Zietzschmann wurden 15 Komponistinnen mit neuen Werken beauftragt. Eine Uraufführung der Isländerin Anna Thorvaldsdottir wird Petrenko selber präsentieren, außerdem dirigiert er zwei Familienkonzerte und das Laienorchester „Be Phil“.

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Das Geld vom Bund, das die Philharmoniker seit der Neuverhandlung des Hauptstadtkulturvertrags erhalten, investieren sie 2021 unter anderem in zwei neue Festivals: Das eine ist der europäischen Barockmusik gewidmet, die schon im 18. Jahrhundert mühelos Grenzen überwand, das andere den „Goldenen Zwanzigern“.

Um die ganze Vielfalt der damaligen Kulturszene auffächern zu können, haben sich die Philharmoniker mit der Komischen und der Deutschen Oper, dem Berliner Ensemble sowie dem Deutschen Symphonie-Orchester zusammengetan. An 18 Tagen gibt es neben klassischen Konzerten auch Chansons und eine literarische Revue, Live-Filmmusik und eine Dada-Performance.

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Viele alte Freunde sind als Gastdirigenten eingeladen, von Barenboim und Blomstedt über Janowski und Mehta bis zu Thielemann und Rattle, die jüngere Generation wird allein durch Lahav Shani vertreten. Zwei Projekte leiten mit Marc Minkowski und Jean-Christophe Spinosi Spezialisten aus der Alten Musik – und schließlich darf auch eine Dirigentin vor das Spitzenorchester treten, nämlich Susanna Mälkki. Artist in Residence wird die Bratschistin Tabea Zimmermann.

Ob das alles wirklich so kommt, ob die Philharmoniker im November zu einer USA-Tournee aufbrechen können und ob das Europakonzert wie geplant in der Sagrada Familia von Barcelona stattfinden kann, das hängt davon ab, wie sich bis zum Herbst der Kampf gegen den unsichtbaren Feind entwickelt.

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