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Kirill Petrenko nach dem Konzert, links von ihm Konzertmeister Daishin Kashimoto.

© Stephan Rabold/Berliner Philharmoniker

Berliner Philharmoniker: Aufforderung zum Tanz

Kirll Petrenko und die Berliner Philharmoniker wirbeln Strawinsky, Zimmermann und Rachmaninow auf.

Gar nicht so einfach, sitzen zu bleiben. Bei aller Geschmeidigkeit, die die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko wieder an den Tag legen, fahren einem die Rhythmen unweigerlich in die Glieder. All die Synkopen, Ausfallschritte und Tutti-Wirbel, die südländischen Tänze, Bolero, Habanera, die exquisiten Klangmischungen mit Celesta und Cembalo, Saxophon und Marimba, Rumbaholz, Rasseln und überhaupt reichlich Schlagwerk – dieser Abend mit Werken von Igor Strawinsky, Bernd Alois Zimmermann und Sergej Rachmaninow vertreibt jede Winterdepression.

Melancholiker kommen trotzdem nicht zu kurz. Wenn in Strawinskys „Symphonie in drei Sätzen“ (1942–45) die Flöte mit ihrer romantisierenden Wehmut die koketten Terzhüpfer der Streicher überwölbt, wenn Zimmermanns Ballettsuite „Alagoana“ mit fünf brasilianischen Caprichos eine schwere Süße entfaltet und spätestens in der Saudade dem Karneval entflieht, mit Oboen-Gesang, FlageolettTrillern und Tremolo-Fetzen, dann weicht die Ekstase einem Elfenballett.

Ohnehin mündet die Wucht der Paukenschläge und Paraden nie in den puren Gewaltakt: Petrenkos Strawinsky hämmert nicht, stampft nicht, verweigert die Erdenschwere. Verblüffend, wie nahtlos Zimmermanns rhapsodisches Jugendwerk daran anschließt, es entstand ein knappes Jahrzehnt später.

Jazz in der Philharmonie – und es zuckt einem in den Gliedern. So wie es Petrenko selber durchzuckt, er mit Schultern, Nacken, Hüften Metren, Akzente und Bewegungsabfolgen markiert.

Nun ist der neue Philharmoniker-Chef ja keiner, der aus einem Bauchgefühl heraus dirigiert. Sondern ein hellwacher Sanguiniker, der jede Ausgelassenheit transzendiert, bis hinein in die Schluss-Apotheosen. Drill und Enthemmung, Schmelz und Schmerz, Tanz und Traum – er hält die Balance. Die orgiastische Klimax im „Alagoana“-Finale mündet in hauchzarte Glissandi, die schneidende Trompete in den Klageton des Englischhorns.

Petrenko animiert die Philharmoniker zur Sinnlichkeit und kraftvollen Klangbildern

Dies-Irae-Fanfaren, Walzertakt, Flamenco-Anklänge: Auch Rachmaninows „Symphonische Tänze“ op. 45 kosten die Spannung zwischen Todessehnsucht und Lustprinzip aus, ein Bacchanal auf dem Vulkan. Obendrein evoziert es neben Jazz-Anklängen den Anblick russischer Weiten und auch der Wiener Salons – mit den Geigenschluchzern von Konzertmeister Daishin Kashimoto. Petrenko kommt aus dem Operngraben, einmal mehr gewinnt die Klangrede der Philharmoniker sinnlich-plastische Konturen, entwickelt bildsprachliche Kraft.

Schade nur, dass Petrenkos Versuch, Rachmaninows finalen dröhnenden Tam-Tam-Schlägen bis zur letzten Schwingung nachzuhorchen, an der Unruhe im Saal scheitert. Vielleicht klappt’s ja an den folgenden Abenden.

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