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Kirill Petrenko am Mittwoch Abend mit den Berliner Philharmoniker.

© Monika Rittershaus

Berliner Philharmoniker: Am Wörthersee scheint keine Sonne

Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker in einem dichten Klangfarbengemälde von Bernd Alois Zimmermann - und enttäuscht bei Brahms.

Stücke wie „Photoptosis“ (Lichteinfall) von Bernd Alois Zimmermann umschreibt man gerne als „Klangfläche“ – was in erster Linie auf die langen Liegetöne vor allem in den Streichern abzielt. Zimmermann selbst greift zu einer anderen Metapher, spricht von Farbfäden und Farbschichten. Denn seine zehnminütige Komposition von 1968 war inspiriert von einem Werk der bildenden Kunst, einem Fries in leuchtendem Ultramarin von Yves Klein im Foyer des Gelsenkirchener Musiktheaters. Da die eruptiven Ausbrüche, die schließlich zu einem wahren Medusentanz führen, erst gegen Ende des Stücks auftauchen, bleibt Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern in der Philharmonie zunächst vor allem die Dynamik, um zu strukturieren. Das gelingt vorzüglich, auch wenn das Gemälde, das vor dem geistigen Auge auftaucht, eher einer schaurigen Landschaft im nächtlichen Nebelmeer gleicht, einem Mordor der Musik. Zu gerne hätte man in die Gesichter der Sparkassenvorstände von Gelsenkirchen geblickt, die das Werk damals in Auftrag gegeben und mit Sicherheit etwas anderes erwartet haben. Und ist sich mit Zimmermann einig, wie grandios es ist, dass in Deutschland auf diese Weise solche Kunst entstehen kann.

Jede Geste eine Setzung

Petrenko dirigiert, wie man es von ihm kennt: Rücken extrem gerade und aufrecht, hochdiszipliniert, mit der Aura absoluter Entschlossenheit, dabei auch sinnlich. Jede Geste eine Setzung. Der kleinteiligen Motorik von Witold Lutosławskis erster Symphonie kommt das entgegen. Was Zimmermanns Stück an Motivik, Figurationen und melodischen Dimensionen entbehrt (und was es durch Atmosphäre ausgleicht), ist hier im Überfluss vorhanden. Getrieben durch ein Tanzmotiv peitscht schon der erste Satz voran, der langsame zweite ist wohlweislich nur mit „poco“ adagio bezeichnet. Neoklassizistisch hat Lutosławski selbst sein Frühwerk genannt, in seiner Klangfarbigkeit trifft es sich durchaus mit Zimmermann. Gerade im Finale jedoch bekommt die Getriebenheit auch etwas Statisches: nervöse Musik, die auf der Stelle tritt.

Hetzen statt Atmen

Große Enttäuschung dann bei Brahms: Petrenko hat es offenbar nicht geschafft, in der Pause zur Ruhe zu finden, und peitscht die zweite Symphonie in einem Affentempo voran. Kaum je wird dem musikalischen Fluss dieser wahrscheinlich schönsten Symphonie von Brahms mal ein Ritardando gegönnt, alles scheint auf ein imaginäres Ziel hin ausgerichtet, das selbst aber im Dunkeln bleibt. Die Philharmoniker hetzen, statt zu atmen, zu schwelgen und die weiten, herrlichen Melodiebögen dieses im Licht des Wörthersees entstandenen Werks auszukosten, vieles wird nur abgehandelt und bleibt zwangsläufig oberflächlich. So wird erst zum Schluss klar, dass der Abend mit Zimmermanns Stück bereits seinen frühen Höhepunkt gefunden hat. Offenbar will Petrenko mit seinem Vorgehen Brahms‘ Modernität – das ganze Konzert folgt dem Motto „Wege in die Moderne“ – beweisen. Doch wählt er ziemlich fragwürdige Mittel dazu. Enthusiastischer Jubel beim Publikum.

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