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Euphorisch. Sofia Kourtesis wurde in Peru geboren.

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Berliner Musikerin Sofia Kourtesis im Porträt: Und dann traf ich meinen Zahnarzt im Berghain

Jetzt eine Knallerplatte, große Touren im nächsten Jahr: Für die House-Musikerin Sofia Kourtesis läuft es gerade richtig gut.

Der holzgetäfelte Raum im Funkhaus Nalepastraße in Oberschöneweide, den Sofia Kourtesis aufschließt, ist noch ganz leer. Aber schon in ein paar Tagen wird sich das ändern. Die Berliner Produzentin, die auch als Bookerin im Funkhaus arbeitet, wird hier ihr Studio einrichten, gleich neben dem von Nils Frahm, Berlins populärem Neo-Klassik-Star.

Bislang hat sie daheim in ihrer Drei-Zimmer-Wohnung in Mitte produziert, gegen den Trend beendet sie nun ihre Arbeit im Homeoffice.

"Fresia Magdalena" ist ein Bombenerfolg

An ihrer neuen Wirkungsstätte werde sie nun fleißg sein müssen, sagt sie. Ihre eben erschienene EP „Fresia Magdalena“ (Technicolour) ist ein Bombenerfolg, die Vinyl-Version längst ausverkauft. Und ihr Label wartet nun, nach drei bisher erschienen EPs, auf ihr Debütalbum. In vier Monaten soll es fertig sein, „die sind da ziemlich streng“.

Anfang nächsten Jahres stehen bereits große Touren für sie an, unter anderem durch die USA. Zumindest ist das der Plan, man kann ja nicht wissen, wie genau sich die Pandemie entwickelt.

Ihren Job im Funkhaus werde sie demnächst wohl auch beenden, so Kourtesis, zu vielversprechend verlaufe gerade ihre Karriere als Musikerin. Auch das ist ungewöhnlich in diesen Zeiten, wo viele Künstler froh wären, hätten sie noch irgendeinen Bürojob als zweites Standbein.

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Aber Kourtesis hat auch allen Grund, optimistisch nach vorne zu schauen. „Fresia Magdalena“ ist eine Knallerplatte geworden. Und auch für diese gilt wieder, dass Kourtesis es gerne antizyklisch liebt. House- und Technoproduzenten aus aller Welt bringen gerade lieber Ambientalben heraus als Dance-Tracks, die eh niemand in den geschlossenen Clubs auflegen kann.

Kourtesis dagegen serviert fünf House-Stücke voller Euphorie, die man am liebsten sofort auf der nächsten Party hören möchte. Sie baut ständig raffinierte Samples mit ein in ihre Tracks, lässt hier und dort Percussionsounds aufblitzen und orientiert sich gekonnt am sogenannten French Touch, dem Breitwand-House, den unter anderem Daft Punk zur Weltmarke gemacht haben.

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Kourtesis führt einen weiter in einen der Konzertsäle des Funkhauses, der wie alle Räume hier diesen gewissen Ostcharme hat, der aus der Zeit herübergerettet wurde, als in dem Gebäudekomplex der Rundfunk der DDR untergebracht war. Man nimmt Platz auf einer Sitzgarnitur, die aussieht, als könnte Erich Honecker hier gesessen haben. Und die superfreundliche Sofia Kourtesis fängt gleich an zu reden, ohne dass man ihr groß Fragen stellen müsste.

Die 36-Jährige berichtet, wie sie in einem linksintellektuellen Haushalt in Perus Hauptstadt Lima aufgewachsen ist. Ihr Vater arbeitete als Rechtsanwalt und setzte sich in den Neunzigern, in denen Perus Diktator Alberto Fujimori an der Macht war, für politisch Verfolgte ein. Ihre Mutter kämpft immer noch für Rechte der LGBTI-Community.

Ich hatte in Peru das Gefühl, nicht frei zu sein

Der Vater wurde mehrfach bedroht, es gab Andeutungen, dass man seine Kinder entführen wolle. Die Situation wurde so schlimm, dass er sie zu Verwandten schickte. Sofia Kourtesis landete im Alter von drei Jahren bei ihrer Tante in Rüsselsheim.

Nach drei Jahren kehrte sie zurück nach Peru. Dort, so berichtet sie, hatte sie es nicht leicht. In der Schule küsste sie irgendwann ein Mädchen. Das war ein echter Skandal und sie flog von der Schule. „Man sagte meinen Eltern, ich sei der Teufel“, so Kourtesis. An einer deutschen Schule sei es dann besser geworden, „aber ich hatte in Peru immer das Gefühl, keine Freiheit zu haben.“

In Ludwigsburg will sie Film studieren

Mit 17 kehrte sie zurück nach Deutschland. Sie wollte Film in Ludwigsburg studieren, wurde aber nicht zugelassen. Dann landete sie in Hamburg, hatte dort zeitweilig eine Hip-Hop-Combo, bevor sie nach Berlin weiterzog. „Peru ist meine große Liebe“, erzählt sie nun über ihre transkulturelle Biografie, „aber Deutschland hat mir meine Sprache wiedergegeben. Hier kann ich sagen, was ich will, mich frei entfalten."

Und dann berichtet sie noch von ihrem großen Erweckungserlebnis in Berlin: „Einmal war ich im Berghain. Und da kam um vier Uhr morgens mein Zahnarzt aus dem Darkroom und hat gerade Sex gehabt. ,Was machst Du denn hier, Du musst jetzt schlafen gehen, ich habe gleich um 8 Uhr einen Termin bei Dir‘, habe ich zu ihm gesagt. Ein paar Stunden später hat er mir perfekt meinen Weisheitszahn herausgeholt. Seitdem bin ich verliebt in Berlin.“

Ich denke cinematisch

Die Liebe zum Kino hat sich Kourtesis, trotz ihrer traumatischen Ablehnung in Ludwigsburg, erhalten: „Ich bin eine frustrierte Filmemacherin, sage ich immer. Und ich denke und arbeite ziemlich cinematisch. Ich mache nun eben Filme durch meine Musik, in der ich versuche, Geschichten zu erzählen.“

Tatsächlich scheint das Kino ein ständiger Begleiter ihres Denkens zu sein. Ihr Vorstellungsgespräch im Funkhaus für ihren Job als Bookerin beschreibt sie „wie eine Szene in einem Woody-Allen-Film“. Das sterile Zimmer ihres Vaters, der im letzten Jahr an Leukämie gestorben ist, erinnert sie an Einstellungen aus Stanley Kubricks „2001“.

Und ihre eigene Musik ist für sie eine Mischung aus dem Drama, das Pedro Almodódovar in seinen Filmen erzeugt und Stanley Kubricks „Elementen, über die man nachdenken muss, die man nicht gleich versteht.“

Sie verarbeitet in den Tracks auch den Tod des Vaters

Tatsächlich lohnt es sich, auch bei ihrer Musik genauer hinzuhören. Oberflächlich gehört, handelt es sich dabei um Tanzmusik. Doch entlang der verwendeten Samples und Field-Recordings auf „Fresia Megdalena“ erzählt Kourtesis tatsächlich Geschichten, persönliche Geschichten. Letztlich verarbeitet sie hier den Tod ihres geliebten Vaters, den sie bis zum Schluss gepflegt hat.

Im Track „Nicolas“ hört man dann auch die Stimme ihres Vaters, kurz vor seinem Tod. „Ich will, dass er so noch immer bei mir ist“, so Kourtesis, „und ich will, dass sich durch den Track auch die Kinder meiner Kinder noch an meinen Vater erinnern können“.

Baerbock soll Kanzlerin werden

Aus des Schmerz, den sie aufgrund des Todes ihres Vaters erlebt habe, erwachse aber auch neue Hoffnung, sagt sie dann noch. Und dieses zwiespältige Gefühl wolle sie auch auf ihrer Platte ausdrücken. Bevor es zu traurig wird, noch eine Frage zur Bundestagswahl, die heiter zu werden verspricht.

„Annalena Baerbock soll Kanzlerin werden“, sagt sie, „aber ich mochte auch die Angie so sehr“. Angela Merkel sei nie korrupt gewesen, glaubt sie. „In Peru dagegen ist jeder Politiker korrupt.“

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